Wie langweilig

Es hat sich viel verändert. Das wurde mir heute gerade mal wieder bewusst. Nicht nur in meinem Leben, sondern auch in diesem Blog. Das Layout, den Schreibstil – und vor allem die Leserschaft. Wenn ich meine Leser mal ganz nüchtern einfach so beschreiben darf.

Als ich noch im Gefängnis war im Krankenhaus lag, hatte mir meine Psychologin, die ich jetzt seit fast vier Jahren kenne, geraten, ein Tagebuch zu schreiben. Stinkesocke, scheiße drauf, hat erstmal endlos gegenan geredet, dann irgendwann doch damit angefangen und es irgendwann auch online gestellt. Nach wie vor schreibe ich das Tagebuch nur für mich und lasse andere Menschen an meinem Leben teilhaben. Einige Leute aus meinem persönlichen Umfeld kennen es, die meisten aus meiner WG, einige beim Sport, einige aus meiner alten Schule … aber bisher hat es noch niemand von sich aus im Netz entdeckt und mir dann später bei einer realen Begegnung zugeordnet. Alle Leute, die meinen Blog und mich kannten, kannten erst mich und bekamen dann von mir (oder einer Freundin) die Adresse meines Blogs.

Bei zur Zeit bis zu 10.000 Besuchern am Tag ist es unvermeidbar, dass mich früher oder später der erste auf meinen Blog anspricht. Solchen Momenten sehe ich mit sehr gemischten Gefühlen entgegen, denn diejenige oder derjenige kennt fast mein ganzes Leben, während ich nicht weiß, wie er tickt. Welche Motivation dahinter steckt, mich anzusprechen. Soll heißen: Es gibt neben den vielen Menschen, die sicherlich nur nett und höflich sind, auch genügend, die etwas im Schilde führen. Und vor denen habe ich, zugegebenermaßen, große Angst.

Aber heute war es nett. Marie und ich kamen in die Uni, wo wir ja zur Zeit unser (später anrechenbares) Probesemester absolvieren, um herauszufinden, ob wir das mit dem Studieren hinbekommen. Falls nicht, mache ich ab August mein Abi nach, falls doch, fangen wir im August ganz regulär mit unserem Studium an (unter Anrechnung der im Probesemester erreichten Leistungen).

Kurz bevor wir um die Ecke bogen und durch die geöffnete Tür rollten, vernahm ich ein deutliches: „Sie kommen.“ – Was passiert jetzt? Wasserbombe? Konfetti? Irgendein Quatsch? Die Antwort lautet letzteres. Einige Leute hatten sich im Halbkreis aufgestellt, gegenseitig untergehakt, tanzten und sangen: „So a Stückerl heile Welt hab‘ ich beim
Himmel heut‘ bestellt…“ – Ich lief dunkelrot an, versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen. Zwei Mädels sprangen auf uns zu, eine nahm meine Hände und fing an, mit mir zu dem Gesang Gegröle der anderen zu tanzen. Augenblicklich guckten mich gefühlte 150 Leute schüchtern lächelnd und fragend an.

Oh. Mein. Gott. Als wir unsere unfreiwillige Showeinlage inmitten Dutzender im Takt klatschender Leute halbwegs würdevoll beendet hatten, sagte die Professorin, die inzwischen hinter uns stand: „Was ist denn hier los?“ – Ich kam gar nicht zu Wort. „Wir freuen uns und feiern.“ – „Was gibt es denn zu feiern?“

Jemand fragte: „Haben unsere beiden Rollis Geburtstag?“ – „Bestimmt!“ – „Nee sach ma! Was denn?!“ – „Die sind über Nacht berühmt geworden.“ – „Wieso das denn, wegen ihrer Krankheit?“ – „Ja genau.“ – „Welche Krankheit haben die denn?!“ – „Jule hat die BOBs. Wurde kürzlich infiziert und …“

Die Professorin mischte sich ein: „Ich will ja nicht stören, aber könnt ihr das auf später verlegen? Ich würde gerne anfangen.“ – Meine Erlösung. Ich mag so viel öffentliche Aufmerksamkeit nicht. Da wird mir immer ganz schwindelig…

Ende vom Lied: Meine Kommilitonen mussten mir nach der Vorlesung nacheinander vorführen, dass sie meinen Blog zumindest zum Teil gelesen hatten. „Hallo Stinkesocke!“, waren da noch die harmlosen Auswirkungen, Fragen, ob mein Delfin noch lebt, kamen auch schon. Und was auch unbedingt sein musste: „Jetzt weiß ich endlich, wer hier immer so viel pupst. Ich hatte mich schon gewundert, wieso das in eurer Ecke immer so stinkt.“

Haha, sehr nett. Ich verdrehte die Augen. Es stimmt ja gar nicht, dass ich mehr pupse als andere Leute. Nur wenn, dann habe ich das nicht so unter Kontrolle. Allerdings hörte den Spruch diejenige Kommilitonin mit, die vor der Vorlesung schon gefragt hatte, welche Krankheit wir hätten, und fragte weiter: „Ach ist dieses BOBs-Dings irgendwas mit dem Darm? Muss man denn viel pupsen? Aber wieso muss man dann im Rolli sitzen, das gibt doch gar keinen Sinn!“

Der Kommilitone, der sie vorher schon aufgezogen hatte, wollte weiter reden, aber ich sagte: „Ich bin für einen Preis im Internet nominiert worden und das haben einige Leute mitgekriegt. Mehr nicht.“ – „Ach soooo, wie langweilig.“

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