Wir stehen bei der Arbeitsagentur gerade hoch im Kurs mit unserem Wohnprojekt und einigen Stellen, die für Assistenzkräfte zu vergeben sind. Von denen ist gerade eine frei, wir stocken auch immernoch auf, und da schickt uns (auch) die Arbeitsagentur geeignete Bewerber.
Manchmal kommt man sich da vor wie in dem Film „Ziemlich beste Freunde“, in dem ein Arbeitsloser zu einem Halsquerschnitt kommt, sich auf eine Assistenzstelle bewirbt und von vornherein durchblicken lässt, dass er eigentlich nur den Stempel für das Arbeitsamt haben möchte.
Ganz so krass, dachte ich, ist es in Zeiten, in denen Leistungen auch
gerne mal gekürzt werden, nicht mehr. Ich habe keinen Vergleich zu dem,
wie so etwas früher gelaufen ist, aber es waren gestern vier Bewerberinnen bei uns und alle vier wollten lediglich ihren Stempelabdruck abholen.
Ich saß mit Sofie, Frank und Maria in einem Zimmer, und wir hatten uns jeweils eine halbe Stunde Zeit für die vier Bewerber genommen. Keine
war länger als 10 Minuten drin und natürlich ist es unfair, das Bewerbungsgespräch auf den Ablehnungsgrund zusammen zu fassen, aber dennoch mache ich es mal:
Die erste musste, just in dem Moment, als sie dran war, mit ihrem Handy telefonieren, ging ins Treppenhaus und durch eine geschlossene Rauchschutztür waren deutlich die Ausdrücke „Du verdammtes Stück Scheiße“ und „Missgeburt“ zu vernehmen. Wer mit solchen Worten diskutiert, ist für uns nicht die Richtige.
Die zweite suchte einen Job bis zum Sommer, weil sie dann mit ihrem Freund nach Baden-Württemberg zieht. Das steht dann auch so in der Ablehnungsbegründung, ich bin mal gespannt, welche Auswirkungen das hat.
Die dritte interessierte sich ausschließlich dafür, wieviel Urlaub sie hat, wieviel Geld sie bekommt, ob es Pausenräume gibt, ob sie vom Arbeitsplatz auch privat telefonieren dürfte (!!) – fragte aber nichts über ihre Aufgaben. Auf Sofies Frage, ob sie denn eine Vorstellung habe,
was auf sie zukäme, meinte sie: „Naja, so schlimm wird es schon nicht werden, oder? Sagen Sie nicht, dass es schlimm wird.“
Die vierte laberte sich um Kopf und Kragen, indem sie uns gegenüber erzählte, dass sie ja so unheimlich erfahren im Umgang mit behinderten Menschen sei. Sie sei bereits in der Grundschule in einer integrativen Klasse gewesen und habe auch ein Praktikum als Schülerin in einer Behinderteneinrichtung gemacht. Was erstmal durchaus positiv klingt. Nur
wenn dann kommt: „Ich weiß genau, wie man mit denen umgehen muss und so
… und was die so wollen … und wie man sie zum Beispiel dazu kriegt, wenn sie ihr essen nicht essen wollen …“ – „Ähm, Sie wissen, dass es sich hier um Menschen handelt, die körperlich eingeschränkt sind?“ – „Ja, aber auch die brauchen ja einen speziellen Umgang, selbst wenn sie sich alle immer einen möglichst normalen Umgang wünschen.“ – Ihr gegenüber sitzen vier Leute im Rollstuhl. Vergiss es.
Und so sind wir Freitag wieder dran mit Bewerberinnen und Bewerbern aus der Zeitung. Und über Vitamin B. Und irgendwie bin ich mir sicher, dass wir am Freitag jemanden finden werden. Völlig ohne Vorurteile und ohne jede Voreingenommenheit. Aber irgendwas läuft in diesem System falsch. Vielleicht. Vielleicht auch nur bei diesen vier Personen. Ich weiß es nicht.