Die Nummer 26 war es

Endlich haben wir eine gefunden. Die Rede ist von einer (weiteren) Assistentin für Maria, die wir seit Wochen suchten. Nach 25 Bewerbern und wochenlanger Suche ist sie seit Montag dabei und sie scheint ein absoluter Glücksgriff zu sein. Es geht nicht um Pflege, sondern um Assistenz, also nicht um Waschen, Nahrungsaufnahme, Klogang, ins Bett bringen, sondern um alles andere, was Menschen täglich machen, wobei Maria aber Hilfe braucht.

Die Bewerberin, die bis zum 30.06. noch als Praktikantin da ist und ab 01.07. fest anfängt, kommt eigentlich aus der Pflege, ist also eine examinierte Kraft, ist aber mit gerade 24 Jahren bereits genervt von der
Fließbandarbeit im Krankenhaus und hat sich ausdrücklich auf die Assistenzstelle (und nicht auf einen Pflegejob) beworben. Sie meint, sie
sei sich (wörtlich) fürs Arsch-Abputzen nicht zu schade, aber wenn man vor lauter Ärschen keinen Mund mehr sehe, kränkelt das System. Sie meinte, sie war vorher auf einer Station für 48 Patienten zuständig und habe fast ausschließlich Betten bezogen. War sie mit dem letzten fertig,
ging es beim ersten wieder los. Zum Reden sei sie nie gekommen, sie habe mehrmals einen Schrittzähler dabei gehabt und habe in einer Schicht
rund 25 Kilometer Fußweg abgerissen… nur Druck, nur Leistung, nur Gemecker. Kenne ich irgendwoher, höre ich nicht zum ersten Mal.

Sie ist ein absolutes Energiebündel. Wie ein Pingpongball. Keck, laut, freche Hamburger Schnauze, lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen, Pippi-Langstrumpf-Pigtails (allerdings in blond), etwa 160 groß,
Jeans, Top, Sneakers. Oder barfuß. Null Berührungsängste, pragmatisch, erfrischend unkompliziert, offen für alles. Nicht lange sabbeln, sondern
tun. Aber trotzdem geduldig, bescheiden, zurückhaltend, wenn es um Maria geht. Maria sagt: „Sie nimmt mich absolut ernst, aber die hat null
Respekt vor meiner Behinderung. Und genau das finde ich gut.“ – Maria hat ihre neue Assistentin nach wenigen Stunden ins Herz geschlossen.

Die Assistentin meinte: „Ich habe noch nie einen Assistenzjob gemacht. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das im Alltag ist.“ – Und dann warf sie gleich die erste Frage in den Raum: Als Krankenschwester wäscht und pflegt sie einen Patienten so wie sie es gelernt hat. Günstigerweise erklärt sie ihm vorher, was sie macht. In einigen Einrichtungen bestimmt auch der Patient oder darf zumindest mitreden. Als Medium würde sie Bauchschmerzen bekommen, wenn Maria einer boxt. Und
als Assistentin ist sie irgendwo dazwischen: Sie blättert auf Kommando die Zeitungsseite um, beantwortet eine Mail, wählt die Telefonnummer, die Maria anrufen möchte, geht mit ihr shoppen und hilft ihr beim Klamotten anprobieren, backt nach ihrer Anweisung mit ihr zusammen einen
Kuchen, druckt Einladungen zur Geburtstagsfeier aus und verschickt sie,
putzt die Schuhe, schraubt eine neue Glühbirne ein, heftet die Stromrechnung weg, …

Was ist aber, wenn Maria von ihr illegale Dinge möchte? Damit sei jetzt nicht unbedingt gemeint, dass sie Maria dabei hilft, bestimmte Pornos aus dem Internet auf die Festplatte zu kopieren. Sondern wenn Maria loszieht und einen Brückenpfeiler mit Graffiti vollsprühen will. Wenn sie das in Marias Auftrag macht, als ihre Assistentin – wird sie dann auch bestraft? Oder nur Maria, weil, sie ist ja eigentlich nur die handelnde Hand? Weil Marias Hand das nicht kann.

Ein interessanter Ansatz. Die Antwort ist klar, nur es zeigt sehr deutlich, wo dieses Assistenzmodell an seine Grenzen stößt: Sobald es um
Handlungen geht, die ein Arbeitgeber nicht von seinem Arbeitnehmer verlangen kann. Weil es Gewissens- oder Glaubenskonflikte gibt, um Ehre oder sexuelle Selbstbestimmung. Oder nur um sichere Arbeitsmittel. Oder Strafbarkeit.

Und damit steht und fällt eine brauchbare Assistenz mit der Assistentin oder dem Assistenten selbst. „Schmeiß meinen Ex raus, tritt ihm in den Hintern, mach die Tür zu, steche anschließend mit meinem Taschenmesser in das Foto von ihm an meiner Pinnwand und wirf drei Gläser an die Wand. Und dann machst du das Fenster auf uns schmeißt seine Rosen samt Vase im hohen Bogen nach unten.“

Das kommt vielleicht nicht ständig vor. Aber mal Hand aufs Herz: Wieviele Dinge macht man täglich, von denen man froh ist, dass man sie nicht nur alleine kann, sondern auch, dass sie niemand mitbekommt?! Fängt beim Nasepopeln an.

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