50 Sätze und andere Kuriositäten

Schon öfter, ich will nicht „regelmäßig“ sagen, habe ich über kuriose Begegnungen im Alltag geschrieben. Inzwischen gibt es auch die „Fünfzig
Sätze, mit denen ich als Rollstuhlfahrerin in der Öffentlichkeit von wildfremden Menschen mehr als einmal konfrontiert wurde
„, auf die ich an dieser Stelle dezent hinweisen möchte.

Zum Leben jeder Rollstuhlfahrerin gehört, regelmäßig mit solchen kuriosen Dingen konfrontiert zu werden. Das wird sich auch nicht ändern, solange es in den Köpfen der Menschen zu einem bestimmten Thema (hier: Behinderung) teilweise extremst verschieden aussieht.

Letzte Woche: Marie und ich fahren mit unseren Handbikes (die Vorspannbikes für den normalen Alltagsrolli) zur Uni. Ist ja schönes Wetter. Plötzlich springt eine Frau, um die 50, noch nie vorher gesehen, völlig aufgeregt vor uns in den Weg, so dass wir beide scharf abbremsen müssen. „Hey, hey, wartet mal! Mir ist vor etwa 20 Minuten in [Stadtteil, der rund 5 Kilometer entfernt ist] ein junges Mädchen entgegen gekommen, die hatte auch so ein Teil wie ihr. Wollt ihr mit der vielleicht einen Ausflug unternehmen?“ – „Ähm, nee, wir sind gerade auf dem Weg zur Uni.“ – „Achso, ich dachte ja bloß.“

Am Montag: Jana, Marie, Sofie und ich stehen an einer Bushaltestelle und warten auf den Bus. Der kommt, die hintere Tür geht auf, der Fahrer senkt den Bus ab, wir rollen rein, stellen uns gegenüber der Tür auf – zum Glück ist Platz für vier Rollis. Inzwischen wurden die Stellflächen für Kinderwagen und Rollstühle in vielen Bussen in Hamburg vergrößert. Ein Typ, um die 70, kommt auf uns zu und macht eine fordernde Handbewegung: „Die Fahrausweise bitte.“ – „Sind Sie vom Prüfdienst?“ – Ich halte die Frage für berechtigt, wenn der Mann weder eine Uniform trägt noch einen Dienstausweis vorzeigt oder irgendwo befestigt hat. Da brüllt er los: „Fahrausweise!!!“ – Alle Leute gucken sich um. Der Fahrer guckt in seinen Innenspiegel. Sofie sagt: „Keifen Sie mich gefälligst nicht so an.“ – „Anders verstehen Sie es jawohl nicht!“ – „Können Sie sich bitte mal ausweisen?“ – „Fahrausweise hab ich gesagt!!!“, brüllt der Typ nochmal. Der Bus hält mitten zwischen zwei Haltestellen an, auf der Busspur der Grindelallee, die hintere Tür geht auf. Der Busfahrer steht auf, kommt aus seinem Käfig rausgekrochen, kommt auf uns zu. Ein ziemlicher Schrank, Goldkettchen um den Hals, tätowierte Unterarme. Ich sitze da mit offenem Mund, keine Ahnung, was jetzt passieren würde. Der Busfahrer sagt kein Wort, nimmt den Typen am Oberarm, schiebt ihn aus dem Bus, bringt ihn über zwei Fahrstreifen bis auf den Gehweg, steigt ohne ein Wort wieder ein, setzt sich wieder hin, macht die Tür zu und fährt weiter. Alle möglichen Leute klatschen. Peinlich ohne Ende.

Am Mittwoch: Die S-Bahn fährt im dicksten Berufsverkehr mal wieder als Kurzzug, ist rappelvoll. Ich halte mich an einer Mittelstange fest, hinter mir hampeln einige Jugendliche rum, kiechern, sind albern. Ich wusste schon, die führen irgendwas im Schilde. In meinem Rucksack sind nur Schwimmsachen, also nichts, was es sich für einen Diebstahl lohnt. Als ich aus der Bahn springe, greife ich nach meinem Rucksack, er ist noch da und verschlossen. Als ich im Schwimmbad ankomme und meine Badesachen rausholen will, liegen eine leere Bierdose, alte Fahrkarten, ein angebissener Apfel, eine Bananenschale, eine zusammengeknüllte Brötchentüte mit irgendwas ekligem drin sowie eine leere Plastikflasche zwischen den Badesachen. Haben die also im Gedränge meinen Rucksack aufgefummelt und den Inhalt des daneben befestigten Mülleimers umgefüllt.

Gestern bin ich im Hauptbahnhof, auf dem Bahnsteig der U2, als mich eine Frau auf den einfahrenden Zug anspricht: „Entschuldigung, können Sie mir sagen, ob der Zug nach Billstedt fährt?“ – Dazu muss man sagen, dass die Frage schon ziemlich dumm ist, weil nicht nur „Billstedt“ am Zug und an der Anzeige dran steht, sondern zwei Sekunden vorher auch noch laut und deutlich für die blinden Menschen unter uns angesagt wurde: „Zug nach Billstedt“ – Bevor ich aber überhaupt antworten konnte (ich hätte einfach gesagt: „Ja, der ist richtig!“, wer weiß, vielleicht ist sie nur unsicher), fährt von der Seite eine Frau dazwischen und pöbelt: „Woher soll die Behinderte das denn wissen?!“

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