Machen

Fahre mit einem Rollstuhl, fahre mit öffentlichen Verkehrsmitteln in einer Großstadt – und es gibt nichts, was man nicht noch erleben könnte. Ich war heute morgen früh auf dem Weg zu Marie, saß in der S-Bahn, als in Rothenburgsort ein Typ einstieg. Anfang 20, gut gekleidet, baumlang, hübsches Gesicht, braungebrannt, tolle Figur. Jemand, nach dem ich mich auf der Straße nochmal umdrehen würde, wenn ich jemand wäre, der Leuten hinterher schaut. Er setzte sich auf die Bank, die direkt neben mir war, legte den Kopf schief und lächelte mich an. Ich lächelte zurück.

„Na?“, sprach er mich sofort an. Nun ist „na“ zwar nicht der herzlichste Gruß, aber im Norden auch alles andere als unfreundlich. Ich
erwiderte kurz und bündig: „Na?“ Und lächelte weiter. Mal schauen, was draus wird.

Seine erste Frage kam sofort: „Machen?“ – Ich dachte, ich hätte ihn nicht verstanden und fragte: „Wie bitte?“ – „Machen?“ – „Was meinst du?“
– „Na, machen!“

Wollte der mich verarschen? Lohnte es sich, darauf einzugehen? Oder sollte ich abwenden und den Rest der Fahrt aus dem Fenster gucken? Ich entschied mich, noch einmal nachzufragen: „Was machen?!“

Er antwortete: „Na was wohl? Ficki ficki! Machen.“

Mir fiel alles aus dem Gesicht. Ich antwortete: „Nee, nicht ficki ficki machen.“ – Er erwiderte mit einem Grinsen im Gesicht: „Na komm, ist gut gegen Pickel. Behebt jede Hormonstörung. Oder hast du gerade deine Tage? Kriegt man als Behinderte überhaupt seine Tage?“

Der Typ wollte mich nur provozieren. Erstens habe ich keine Pickel im
Gesicht (oder zumindest nicht so derbe, dass das das Erste ist, was einem auffällt oder was so bemitleidenswert aussieht, dass man mich deswegen unterwegs befruchten müsste), zweitens ist er sich ja sicher, dass ich keinen Sex habe, weiß aber nicht, ob Behinderte ihre Tage kriegen. Klingt logisch, oder?

Während ich versuchte, mich zu entscheiden, ob ein Gegenangriff besser wäre als ihn zu ignorieren, setzte sich eine Frau, die aussah wie
Renate Künast, auf die Bank gegenüber, quasi direkt neben mich. „Ist das nicht ein herrliches Wetter?“, fragte sie mich. Ich erwiderte: „Draußen ja.“

Die Frau grinste. Der Typ fragte: „Ist das deine Mutter oder was?“ – Frau Künast antwortete betont laut: „Töchterchen, ich hör schon wieder Stimmen. Weißt du noch, wann Mutti den nächsten Termin beim Psychiater hat?“ – „Wir sind direkt auf dem Weg dorthin.“ – „Ich hätte es wissen müssen. Schätzelein, du weißt, ich bin immer für dich da.“ – „Das ist lieb, Muddi.“

Am Hauptbahnhof stieg der widerliche Typ aus. Frau Künast sagte: „Was
fürn Arschloch, ey. Ich komme gerade aus dem Nachtdienst, ich arbeite für eine Frau, die einen sehr hohen Querschnitt hat. Wissen Sie, was die
in Ihrer Situation gesagt hätte?“ – „Nee?!“ – „Können Sie dem mal bitte
ins Gesicht spucken?“

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