Allerbeste Freundin

Liebes (Online-) Tagebuch, ich brauche gerade mal jemanden zum Auskotzen. Es ist sehr spät in der Nacht und ich kann nicht schlafen, weil meine Gedanken mich einfach nicht in Ruhe lassen. In mir kreisen jede Menge Zweifel und Ängste, die sich mit ein paar vernünftigen Überlegungen nicht abstellen lassen.

Immer, wenn es mir so geht, wie es mir gerade geht, merke ich, wie sehr ich mich an meiner Ordnung festhalte. Ich bin jemand, und ich habe das Gefühl, mit zunehmendem Alter prägt sich das immer stärker aus, der sehr viel Wert darauf legt, mir wichtige Dinge in sicheren Verhältnissen zu wissen.

Mir sind beispielsweise Freunde besonders wichtig. Allgemein, welche zu haben, einerseits; noch viel mehr meine ich aber andererseits, dass ich mit meinen Freunden gerne harmonische Beziehungen führe. Umso mehr wirft es mich aus dem Gleichgewicht, wenn eine enge Freundin mich plötzlich enttäuscht und, vielleicht aus einem Missverständnis heraus, vielleicht aber auch nicht, Dinge formuliert, die ich nie für möglich gehalten habe. Dinge, die so viel bedeuten wie: „Ich möchte künftig mit dir nur noch eine oberflächliche Freundschaft pflegen.“ – Nachdem wir uns seit Jahren kennen. Und als Grund dafür anführt, dass sie einer anderen Freundin bereits die beste Freundschaft versprochen hat. Zum Glück (im Unglück) ist es keine der Freundinnen, mit denen ich täglich oder wöchentlich zu tun habe; ich habe sie fast ein halbes Jahr nicht gesehen. Aber dennoch ist es bitter.

Ich sortiere doch weder meine Freundschaften noch meine Freunde nach der Intensität unserer Beziehung. Ich habe keine beste, keine allerbeste und auch keine aller-aller-beste Freundin. Entsprechend verstehe ich auch nicht, wie man diesen „Titel“ nur (oder überhaupt) einmal vergeben kann – oder, noch krasser, eine intensivere Freundschaft aus solchen „formalen Gründen“ ablehnt. Ich möchte nicht fies sein, aber ist ein solches Verhalten nicht ziemlich unreif? Definiert sich eine Freundschaft nicht aus der Nähe und der Wärme, die man für- und miteinander empfindet? Und findet man erst danach einen Namen für diese Gefühle, wenn man sie denn unbedingt beschreiben will?

Und irgendwie schwindet in letzter Zeit meine Selbstsicherheit ganz extrem. Wenn ich mich so im Spiegel ansehe, frage ich mich, wo das geblieben ist, auf das ich mal sehr stolz war. Ich habe manchmal das Gefühl, ich denke zu wenig an mich selbst. Ich kümmere mich zu viel um andere. Umso verwirrter bin ich, wenn mir ernsthaft vorgeworfen wird, egoistisch zu sein. Nicht von meinen Freunden, aber von jemandem, der mich eigentlich gut genug kennen müsste. Meine Freunde sagen dazu: „Du hast deine Schwächen wie jeder Mensch – aber Egoismus gehört ganz sicher nicht dazu.“ – Trotzdem will ich sowas nicht hören, schon gar nicht von
Leuten, von denen ich glaube, dass sie es besser wissen müssten.

Dann wohnt in unserem Wohnprojekt aktuell eine Frau, ebenfalls eine Rollstuhlfahrerin, etwas älter als ich, die permanent lügt. Sie packt es nicht, Verantwortung zu übernehmen, für das, was sie tut oder das, was sie nicht tut. „Ja, hab ich verbockt“, ist doch ein Satz, zu dem man stehen können müsste. Kann sie nicht. Stattdessen sagt sie: „Ich?! Nie im Leben! Das war ich nicht, das kann gar nicht sein.“ – Boa, ist das anstrengend. Weil jeder inzwischen weiß, dass 50% dessen, was sie von sich gibt, nicht stimmt. Und man ihr bei den anderen 50% eigentlich kein Unrecht tun möchte. Inzwischen ist es mir aber egal, ich habe es nach endlosen Diskussionen mit ihr aufgegeben, beschränke mich auf den oberflächlichsten Dialog und baue absolut nichts auf ihre Aussagen. Es ist trotzdem nervig, weil mir jedes Gespräch vorkommt wie verlorene Zeit.

Und im Moment habe ich das Gefühl, ständig kritisiert zu werden. Negativ kritisiert. Entweder ist das gerade eine Phase, die irgendwann auch mal vorrüber geht, oder ich habe den Anschluss zur Realität verloren. In der Uni kann ich zur Zeit niemandem was recht machen, im Sportverein auch nicht, die Abfuhr meines heiß begehrten Typen kratzt auch an meinem Ego – dazu kommt der zeitliche Stress, den mein Studium gerade mit sich bringt und der mir kaum mehr Zeit lässt für entspannte Dinge; nein, es ging mir wirklich schon mal besser. Seelisch.

Keine Sorge, ich springe jetzt nicht gleich vom Balkon: Ich kann ja gar nicht springen. Auch sehe ich mich jetzt nicht in einer depressiven Verstimmung. Aber vor Freude jauchzen, dazu kann ich mich gerade nicht durchringen. Dieses bescheuerte Wetter und die viel zu früh einsetzende Dunkelheit tragen auch noch was bei. Ich hoffe, es wird bald wieder besser.


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