In Schokolade Gebadet

Landung in einem völlig verschneiten Hamburg. Ich glaube es nicht. Ich habe noch Sand und Meersalz in den Haaren – und dann dieser Alptrau hier. Nach einer völlig entspannten Urlaubswoche bei strahlendem Sonnenschein, Temperaturen zwischen 23 und 29 Grad tags und entspannten 12 bis 18 Grad nachts sowie einem himmlisch warmen und kristallklaren Meer, hat mich der Alltag zurück zwischen weißer Pest, spiegelglatten Straßen und hektischen Leuten. Ich will zurück!

Nach 7 Stunden Flugzeit ohne Zwischenstopp in einer Boeing 777 … achso, Moment. Als wir los flogen, war ja noch nicht Urlaub. Schon vor der Sicherheitskontrolle in Hamburg fiel uns ein Mann mittleren Alters auf, mit hochrotem Kopf, der sich mit einer Frau anlegte, die ihm angeblich den Sitzplatz auf einer Bank weggenommen hätte. Er hätte sich einfach einen der mindestens 95 anderen freien Plätze aussuchen können, aber es gab halt lautstarken Streit um eben diesen einen. „Hoffentlich sitzt der nicht sieben Stunden neben uns“, meinte Marie, woraufhin ihre Mutter antwortete: „Den lassen sie mit dem Blutdruck gar nicht erst in den Flieger.“

Nachdem wir alle wussten, wo die Notausgänge sind, dass wir beim Aussteigen aus dem Fenster die Schwimmwesten erst draußen aufpusten sollen und wann die Sauerstoffmasken aus der Decke fallen, hob der Flieger ab. Dieses Kribbeln im Bauch ist jedes Mal aufs Neue wieder faszinierend. Wir waren vielleicht zwanzig Minuten in der Luft, als die eben noch so entspannt lächelnde Stimme aus dem Lautsprecher plötzlich sagte: „Meine Damen und Herren, falls sich ein Arzt unter unseren Fluggästen befindet: Bitte melden Sie sich umgehend bei unserer Crew. Ich wiederhole: Ist ein Arzt an Bord? Bitte melden Sie sich bei unserer Crew. Vielen Dank.“

Ich guckte Maries Mutter an, sie verdrehte die Augen und sagte: „Ich bin nicht da.“ – Nach zehn Sekunden guckte sie sich um, murmelte: „Kein eifriger Kollege an Bord? Immer bleibt so ein Scheiß an mir hängen.“

Dann war sie weg. Nächste Durchsage: „Meine Damen und Herren, aufgrund eines medizinischen Notfalls werden wir in wenigen Minuten in Berlin zwischenlanden. Bitte stellen Sie Ihre Rückenlehnen senkrecht, klappen Sie die Tische hoch und schnallen Sie sich an. Bleiben Sie bitt sitzen, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben und die Anschnallzeichen über Ihren Sitzen erlöschen. Weitere Informationen erhalten Sie in Kürze. Für die entstehenden Unannehmlichkeiten bitten wir um Entschuldigung.“

Um das nicht weiter spannend zu machen: Mit 90 Minuten Verspätung hoben wir dann ein zweites Mal ab. Maries Mutter war wie aus dem Wasser gezogen. Sie meinte, ob der Typ das überlebt, sei fraglich. Das Flugzeu hatte zwar einen Koffer mit einer großen Auswahl an Notfallmedikamenten, Intubationsbesteck, Infusionen und was nicht alles an Bord, aber der Typ war vorher schon so schwer herzkrank, dass die Belastung mit dem Flug nur noch das Tüpfelchen auf dem „i“ gewesen war. Es handelte sich übrigens um genau den Typen, der im Hamburger Airport um einen der 95 freien Plätze gekämpft hatte.

Stinkesocke, die noch nie in den Tropen gewesen ist, staunte natürlich nicht schlecht, dass es Bäume gibt, die weder Nadeln noch kleine Blätter haben. Mit 23 Grad war es bei unserer Ankunft im Vergleich zu Deutschland zwar himmlisch warm, allerdings für die dortigen Verhältnisse eher schattig. Die Luft war angenehm, in dem Hote hatten Maries Eltern eine Suite gemietet, in der es zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer mit Kochecke sowie ein Bad mit Dusche und Badewanne sowie ein separates Klo gab. Außer dass die Spülung etwas merkwürdig zu betätigen war und die Klobrille vorne eine Aussparung hatte, war das alles nicht anders als in Deutschland. Die Räume waren klimatisiert, insgesamt war es ruhig. Das Haus hatte vier Etagen, wir waren ganz oben und hatten einen großen Balkon, auf dem es auch Schatten gab, eine groß Grünanlage mit Pool und ein eigenes Restaurant, wo es allerdings ausschließlich Speisen mit Reis, Joghurt, Früchten und Federvieh gab. Allerdings ohne die Federn und alles sehr sehr lecker.

Man konnte sich mit Englisch eigentlich überall verständigen, die Menschen, nicht nur im Hotel, waren sehr nett und auffallend gastfreundlich. Fast schon überschwänglich. Einzig viel nackte Haut sollte man außerhalb des Hotelpools nicht zeigen, nackt am Strand liege könnte zur Verhaftung führen, erklärte man uns gleich. Also haben wir das mal sein lassen…

Unser Hotel lag unweit der Landeshauptstadt, während es abseits dieser keinen öffentlichen Nahverkehr gab, kam man in der Hauptstadt mi Bus und Metro überall hin. Etliche Stationen waren ebenerdig erreichbar, wo das nicht der Fall war, fanden sich sofort Leute, die un helfen wollten. Ganz anders als in Deutschland. Man brauchte sich nur vor die Treppe zu stellen und einen Typen vorsichtig anzusprechen, ob e wüsste, wie man mit dem Rollstuhl in das Gebäude oder über die Trppe kommt, dann lief der los und sprach irgendwelche Leute an. In der Landessprache klang das dann immer sehr aufgeregt, etwa so als würde in Deutschland jemand loslaufen und rufen: „Hey, da vorne brennt es, kommt alle zum Löschen!“ – Etwas ulkig war, dass die anderen Männer, die dann mit dem Typen zurück kamen, ebenfalls laut redeten und die Sätze auch mehrmals wiederholten. Ich bin nicht dahinter gekommen, was das sollte, es war, als würden die immer wieder rufen: „Wir löschen jetzt das Feuer wir löschen jetzt das Feuer.“

Und während am Anfang der Treppe vier Männer am Rollstuhl anfassten, also an jeder Ecke einer, waren es am Ende der Treppe alle Männer, die in der Zwischenzeit vorbei gekommen waren. Es war fast schon peinlich, weil alle eben auch genauso laut mitredeten. Und wenn es bereits so viele Leute waren, dass die sich fast schon gegenseitig über den Haufen rannten, gab es immer noch welche, die dazu kamen und sich an den Rockzipfel der anderen Männer gehängt haben. Einmal waren es locker zwanzig. Das ganze Spektakel ging grundsätzlich in atemberaubender Geschwindigkeit, der langsamste Schritt war Laufschritt. Beim ersten Ma hatte ich große Angst, wir würden dort kopfüber die Treppe runtersegeln, aber dagegen gab es ja stets genug Helfer. Grundsätzlich haben nur Männer geholfen, wenn Frauen dabei waren, standen die an der Seite und schauten zu. Und was auch auffällig war, immer bedankte sich der, den wir gefragt haben, bei den anderen unbekannten Menschen, bevor diese wieder weitergingen. Die anderen warteten quasi darauf, von ihm einen Dank zu bekommen, bevor sie verschwanden. Uns selbst haben sie jedoch nicht mal angeschaut. Eine beinahe schon skurrile Atmosphäre, allerdings war dieses Spektakel irgendwie leichter anzunehmen als das aus Deutschland bekannte Gebettel, dass dann oft in bösen Blicken, unauffälligem Ignorieren, einem „Ich darf Ihnen nicht helfen“, „Mein Rücken ist kaputt“, „Mein Zug fährt gleich“, oder in einem „So jung und schon behindert“, „Ich kenn mich aus, mein Nachbar hatte auch mal ein Gipsbein“ endet. Ja, ich bin undankbar, ich weiß. Nein, es gibt auch viele nette und hilfsbereite Menschen in Deutschland. Aber zurück zu unserem Urlaub:

Andere Rollstuhlfahrer haben wir verhältnismäßig selten gesehen. Wenn, waren sie immer in Begleitung. Insbesondere in den Bahnhöfen gab es barrierefreie Toiletten, immer sauber, in den meisten der riesig großen Einkaufscentern gab es immer auch barrierefreie Umkleidekabinen. Was mich sehr überrascht hat, war ein Erlebnis bei McD. Ja, das gab es dort auch und einmal mussten wir es ausprobieren. Es gab zwei Tische, die keine fest installierten Stühle hatten, sondern bei denen man die Stühle wegschieben konnte. Bei allen anderen Tischen waren die Stühle i Boden verschraubt. Das wussten wir aber vorher nicht. Wir haben unsere Bestellung auf Englisch am Tresen aufgeben, und bevor wir irgendwas tun konnten, kam ein junger Typ angewetzt, ich schätze ein Auszubildender, es hieß, er „führe uns an unseren Tisch.“ Bevor wir irgendwas sagen konnten, hatte er unser Tablett in der Hand und stiefelte los. Direkt z einem der beiden Tische, die aber beide besetzt waren. Er sagte irgendwas, und leider wirkt der Tonfall der Landessprache sehr schroff und heftig. Es hörte sich an wie: „Hey, weg da, ihr sitzt auf einem Behindertenplatz! Aber zackig!“

Und während in Deutschland nach so einer Ansage in 50% der Fälle die ersten Colabecher diagonal durch den Raum geflogen wären, sprangen die vier Leute von ihren Stühlen hoch, rafften ihr Zeug zusammen, drehten sich zu uns um, senkten mit geschlossenen Augen kurz ihren Kopf in unsere Richtung, nahmen in Windeseile ihr Tablett und setzten sich ohne ein Wort woanders hin. Das war uns so derbe peinlich, dass wir am liebsten ohne Umwege das Restaurant verlassen hätten. Allerdings: Es schien völlig normal zu sein. Niemand guckte, die vertriebenen Leute setzten sich an einen anderen Tisch und aßen und redeten weiter, als wäre nichts geschehen.

Insgesamt war es ein total toller und erholsamer Urlaub. Marie und ich haben jeden Tag mindestens drei Stunden am Stand gelegen, oft stundenlang im Meer gebadet. Es waren zwar einige andere Badegäste da, aber es war insgesamt sehr übersichtlich. Und ich bin gut gebräunt. Der erste Kommentar, als ich die Tür zu meiner WG aufschloss: „Boa! Hast du in Schokolade gebadet?“

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