Gangnam Style Und Tischgespräch

Es war mal wieder so weit: Maries Muddi fragte, ob wir noch einmal einen Sauna-Sonntag im Garten verbringen wollen. Sie war mit ihrem Mann am Samstagabend dran, bei Kerzenschein und Schneetreiben. So eine Frage lasse ich mir doch nicht zwei Mal stellen, Cathleen und Jana auch nicht so waren wir für den frühen Sonntagmorgen viel zu gut drauf und auf de Weg zum Müsli-Orangensaft-Frühstück.

Natürlich ging direkt vor uns noch die Bahnschranke zu. Neben uns in der zweiten Spur hielt ein voll krasser Dreier-BMW als Cabrio mit offenem Verdeck. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Zwei obercoole Typen mit Schirmmützen drin, die allerdings beide schon einen Hörsturz haben mussten, da sie „Gangnam Style“ in der Version von PSY so laut gedreht hatten, dass ich für einen Moment lang überlegt hatte, ob der Zug schon kommt. Neben mir auf dem Beifahrersitz fing Cathleen an, die Unterarme gekreuzt herumzuschwingen und im Rhythmus ihre Mähne wild hin und her zu werfen. Als der Refrain kam, sang sie den Text mit: „Eh Sexy lady, eh eh eh eh!“

Jana fragte von hinten: „Soll ich das Fenster runtermachen und fragen, ob sie hinten noch einen Platz für dich haben?“ – Cathleens einzige Antwort: „Oppan Gangnam Style!“

„Gucken sie rüber?“, fragte ich Jana, die hinter mir hinter einer abgedunkelten Scheibe saß und somit die beiden beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Sie sagte: „Jepp! Der eine starrt in deine Richtung und leckt sich andauernd mit der Zunge über die Oberlippe.“ – „Nicht wirklich.“ – „Doch, guck doch hin!“

Cathleen rockte immernoch zu der in unserem Auto bei geschlossenen Fenstern und Türen und laufender Heizung deutlich wahrnehmbaren Geräuschkulisse ab und sprach im Takt mit: „Gangnam Style!“

Ich guckte rüber. Der Beifahrer zwinkerte mir zu und machte einen Kussmund. Ich tat so, als würde ich träumen und ihn gar nicht wahrnehmen. Jetzt hupte der andere noch. Cathleen sagte: „Die sind auf LSD. Jede Wette. Gangnam Style!“

Ich sagte: „Ich überlege, ob ich meinen blauen Parkausweis in die Scheibe halten sollte. Und dann mal gucken, ob er immernoch zwinkert.“ Jana krümmmte sich vor Lachen bei der Vorstellung. Die Schranke öffnet sich. Der Motor des BMW heulte mehrmals auf. Wollte er damit jetzt ein Wettrennen gegen einen Touran beginnen? Bei dem Wetter? Und unabhängig davon wäre ich mir nicht mal sicher, ob meine Karre nicht sogar schneller auf 100 wäre als Gangnam Style.

Nein, wir fahren vernünftig. Als wir in Maries Straße einbogen, hiel sich ein Mann, schätzungsweise Anfang 20, an einer Birke fest und reiherte. Zweihundert Meter weiter krabbelte eine Frau mit halb zerrissener Strumpfhose auf allen Vieren durch den Schnee. Barfuß. Sah uns, wollte aufstehen, fiel aber gleich wieder um. Die Party schien etwas länger gedauert zu haben. Schnapsbuddel Nummer Drei sahen wir, al wir vor Maries Haus hielten und darüber diskutierten, ob wir wirklich in die Kälte aussteigen wollten. Man konnte den Mann sehen, wenn man schräg durch die Büsche hindurch guckte, er stand etwa fünf Häuser weiter und versuchte, die Haustür aufzuschließen, was sich schwieriger gestaltete als ihm in dem Moment lieb war. Er hibbelte von einem Bein auf das andere und presste mehrmals eine Hand in den Schritt. Dann lehnte er sich mit dem angewinkelten Arm gegen die Tür, die Stirn gegen den Arm und schaute an sich herunter. Und hibbelte nicht mehr. Cathleen grinste mich an: „Das ist aber auch fies. Nun hat er sich stundenlang gequält, und dann ist der Weg am Ende doch drei Meter zu lang.“

Ich weiß, wir sind unmöglich. Aber es kommt noch schlimmer. Als wir am Frühstückstisch saßen, fragte Jana Marie: „Sag mal, warst du schon mal so breit, dass du auf allen Vieren nach Hause gekrabbelt bist?“ – „Ich krabbel immer auf allen Vieren, egal ob ich breit bin oder nicht“, antwortete sie schlagfertig. Wusste aber gleich, worauf Jana anspielte: „Habt ihr die Leute vom Haus Nummer .. getroffen? Die sind jeden Sonntagmorgen breit.“

Cathleen sagte: „Der eine kotzte gegen die Birke, die zweite krabbelte auf allen Vieren in Strumpfhosen durch den Schnee und der dritte bewässerte seine Fußmatte.“ – Maries Mutter sagte: „Das ist unglaublich, die sind jeden Samstag auf irgendeiner Party und kommen Sonntagmorgen sternhagelvoll nach Hause. Ein paar Mal haben Nachbarn mich schon aus dem Bett geklingelt, aber inzwischen rufen sie gleich de Rettungsdienst. Was anderes kann ich ja auch nicht machen.“

Marie fragte entsetzt: „Hat der wirklich gegen seine Haustür gepinkelt?“ – Jana antwortete: „Naja, in die Hose. Und stand dabei halt auf seiner Fußmatte.“

Woraufhin Marie meinte: „Sowas bescheuertes, dann würde ich mich doc schnell irgendwo hinhocken oder meinetwegen ins Gras setzen, bevor das alles in die Schuhe und über die Fußmatte läuft, das kriegst du doch ni wieder sauber!“ – Maries Mutter kommentierte: „Sie hörten einen Tipp aus dem Alltag einer Blasenlähmung. Er kann die Fußmatte ja künftig unter sein Auto legen, vielleicht hilft ihm das gegen Marderbisse.“ – Marie antwortete: „Apropos, kennt ihr den? Stehen zwei Männer vor ihren Pissoiren, einer guckt zum anderen rüber und sieht, dass der vierstrahlig pinkelt.“

Maries Mutter verdrehte die Augen. Cahtleen meinte: „Ich kenne den nicht! Erzähl!“ – Marie erzählte weiter: „Wie ist denn das passiert? De Mann antwortet: Beim Urologen, bei mir wurde eine Zystoskopie gemacht und der Assistenzarzt hatte ein paar Mal in der Vorlesung gefehlt und wusste nicht, was ‚unter Sicht‘ bedeutet.“

„Häh, was?“, fragte Cathleen nach. Maries Mutter klärte auf: „Blasenspiegelung. Beim Mann wird das Endoskop immer unter Sicht vorgeschoben. Unter Sicht bedeutet, dass du gucken musst, wohin du manövrierst, damit du die Harnröhre nicht durchstichst. Und der Mann vo dem Pissoir war an der Stelle wohl etwas perforiert und hatte mehr als einen Strahl.“

„Oh Scheiße, gibt es sowas wirklich?“, fragte Cathleen. Maries Mutte schüttelte den Kopf. Cathleen fragte: „Was macht man denn, wenn man da durchsticht?“ – „Durchstechen ist ganz schlecht, dann muss der Chirurg ran und das alles bei einer OP freilegen. Wenn du es nur verletzt, kann es reichen, über einige Tage einen Katheter reinzulegen und zu hoffen, dass das möglichst ohne Narben abheilt.“

Marie fuhr fort: „Okay. Nach ein paar Tagen steht er also wieder vor einem Pissoir, neben ihm pinkelt einer sechzehnstrahlig. Er fragt wieder: Wie ist denn das passiert? Antwort: Der Urologe hat bei der Vorlesung nicht aufgepasst und wusste nicht, was ‚unter Sicht‘ bedeutet Drei Wochen später kommt er wieder zu einem Pissoir, steht ein Mann davor, pinkelt 64strahlig. Ist das auch bei einer Operation passiert? Antwort: Nee, mein Reißverschluss klemmt.“

Tolle Gespräche am Frühstückstisch. Anschließend waren wir locker sieben oder acht Stunden mit Sauna, draußen bei Schneegestöber und eiskaltem Wind bis zum Hals eingemummelt schlafen, schwimmen, Obstsalat essen, trinken, quatschen und Seele baumeln lassen beschäftigt. Was mal wieder absolut toll war. Heute abend geht es mir schon wieder sehr viel besser. Gangnam Style!

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