Ich habe lange nichts Kurioses erzählt. Für meine Verhältnisse. Es ist mal wieder an der Zeit, wie ich finde.
Marie und ich wollten gestern abend kochen und haben beschlossen, einen Nudelauflauf zu machen. Vorher waren wir noch in jenem Supermarkt, von dem ich kürzlich bereits erzählt habe.
Gestern jedenfalls warten wir an der Kasse. Es sind kaum Leute im Laden. Aus den völllig überforderten Lautsprechern an der Decke plärrt „Ordinary Lives“ von den Bee Gees. Plötzlich wird das Gedudel jäh von einem lautem, nahezu übersteuerten Jingle unterbrochen und eine betont freundliche Frauenstimme erzählt lächelnd, dass es wieder da ist, unser Einkaufsradio. Jetzt weiß ich, was mir gefehlt hatte.
Bald sei wieder Pfingsten, erzählt die freundliche Stimme, und Pfingsten sei ein christliches Fest, das seit etwa 130 nach Christi Geburt gefeiert werde. Pfingsten bedeute „der fünfzigste Tag“, so dass Pfingsten immer 50 Tage nach Ostern gefeiert werde. Eigentlich feiere man mit dem Pfingstfest die Gründung der Kirche, denn nach der Apostelgeschichte sei am Pfingstag der Heilige Geist auf betende Jünger herabgekommen.
Gleichzeitig werde Pfingsten aber auch als Friedensfest gefeiert und trage sehr viel Symbolik in sich. Beispielsweise werde die Taube als Symbol des Friedens häufig im Bezug zum pfingstlichen Frieden verwendet Nach christlicher Überlieferung hätte eine Taube das Ende der Sintflut angekündigt, als sie mit einem frischen Olivenzweig im Schnabel zu den auf Noahs Arche eingeschlossenen Lebewesen zurückkam.
In dem Moment sagt einer von zwei jungen Männern hinter uns, beide eher vornehm gekleidet: „Pass auf, der Kreis schließt sich gleich, indem auf die tiefgekühlten Taubenhälften für fünfneunundneunzig das Stück hingewiesen wird.“ – Worauf der andere der beiden erwiderte: „Die liege gleich neben den Pferdepopos.“
Die Stimme aus den Lautsprechern fährt fort: „So hatte man ab dem Jahr 1450 regelmäßig im Pfingstgottesdienst Tauben freigelassen.“
Einer der beiden Männer sagt: „Besser wäre natürlich gewesen, sie hätten die Tauben gar nicht erst eingesperrt. Dadurch kamen die Kriege doch erst zustande!“
Ich gucke Marie an, sie machte eine gelangweilte Geste. War nicht gut, der Witz.
Der Dialog geht weiter: „Siehste, ich wusste es schon immer: Die Behinderten kriegen wieder für alles die Schuld.“ – „Die Behinderten?“ „Ja, die Tauben!“ – „Das darf man nicht sagen, die heißen jetzt ‚Gehörlose‘. ‚Taub‘ ist politisch unkorrekt.“ – „Aber eingesperrt hat man die Tauben trotzdem.“ – „Aber auch wieder freigelassen.“ – „Das stimmt. Aber nur zu Pfingsten.“
Die Durchsage ist fertig, ein weiterer Jingle erklärt uns, dass wir mit dem Service unseres Einkaufsradios immer bestens informiert sind.
Wir sind endlich an der Reihe, als einer der beiden Männer den Kassierer anspricht: „Entschuldigung, aber dieser Radiosender ist politisch nicht korrekt. Da wird von Tauben gesprochen, obwohl man ‚gehörlos‘ sagen müsste. Das ist diskriminierend.“
Darauf sagt der Kassierer: „Das tut mir Leid, das dudelt hier den ganzen Tag, ich hör da gar nicht mehr hin. Aber wir können das nicht abstellen, das wird von unserer Zentrale automatisch eingespielt. Aber wenn Sie möchten, kann ich das mal aufschreiben und dort mal anrufen.“
Das hätte er besser nicht angeboten. Der Mann sagt: „Wenn Sie das mal eben machen könnten … haben Sie einen Stift da?“
Marie dreht sich um: „So, ihr Experten, jetzt haltet hier bitte nicht den ganzen Betrieb auf mit Eurem Klamauk. Es ist von Vögeln die Rede und nicht von gehörlosen Menschen.“
Was sie besser nicht gesagt hätte, denn: „Ach was, von vögeln? Jetzt wird es auch noch obszön! Na, ob ich hier noch einmal einkaufen möchte…“