Trainingscamp In Niedersachsen

Am letzten Wochenende war ich endlich mal wieder auf einem Trainings-Camp. Nachdem die letzten beiden Termine gecancelt worden waren, weil mal wieder kurzfristig alle möglichen Leute wieder abgesagt haben, fand dieser Termin nun tatsächlich mal statt. Veranstalter war ein befreundeter Verein aus Niedersachsen, das Angebot richtete sich nicht nur an Triathleten, sondern ausdrücklich auch an Paratriathleten. Der Schwerpunkt war auf das Schwimmen gesetzt.

Am Freitag war die Anreise, nach Möglichkeit sollten wir um 11 Uhr auf der Matte stehen. Berufstätige durften auch später anreisen. So standen Marie und ich kurz vor 11 Uhr nach knapp dreistündiger Autofahr in einem Büro eines Sportzentrums. Nachdem wir dort alle möglichen Anmeldeunterlagen und einen sechsseitigen Belegungsvertrag ausfüllen mussten („Wünschen Sie sich täglich eine kostenlose Probepackung Sportlernahrung auf Ihr Zimmer?“, „Wünschen Sie eine Ernährungsberatung während Ihres Aufenthaltes?“, …) und dann noch mit allen möglichen Flyern und bunten Handzetteln versorgt wurden („Die Entspannungsmassage kann auch morgens vor dem Frühstück auf Ihrem Zimmer stattfinden“, „Bitte werfen Sie keine Papiertücher in die WC-Becken“, „Bitte verzichten Sie auf die Einnahme von Mahlzeiten im Nassbereich der Schwimmhalle“, „Die Verwendung von Haft- und Sprühklebern in der Sporthalle ist untersagt, zuwider Handelnde zahlen eine Vertragsstrafe von 500 €“, „Die Mitnahme von Speisen und Getränken aus der Sportlerkantine stellen wir als Lunchpakete in Rechnung.“), bezogen wir unser Zimmer.

Nach und nach rollten einige bekannte und unbekannte Gesichter über den Flur, bevor wir gemeinsam zum Mittagessen in einen Raum aufbrachen, an dessen Tür „Speisesaal“ klebte, der aber nach den Worten von Nils, einem zu Fuß gehenden Teilnehmer Mitte 30 aus Schleswig-Holstein, eher an eine Fressbude erinnere. In der Salatbar bewiesen zwei auffallend blinkende digitale Ziffern, die gemeinsam eine „16“ ergaben, dass irgendwas mit der Kühlung nicht ganz in Ordnung war, einen Tresen weite wurde die Hauptmahlzeit in einem Wasserbad heiß gehalten. Laut Beschriftung sollte es sich um Kaisergemüse handeln, laut Nils waren es „Blähbohnen, Knallerbsen und Futtermöhren“, wobei ich ihm bei den Futtermöhren sofort zustimmen musste. Als famoses Zartgemüse aus der taschengroßen Weißblechdose konnte das auf keinen Fall durchgehen und der Mais, der ebenfalls als Bestandteil namentlich auf dem Schildchen benannt war, war vermutlich bei der legendären Gemüseparade in die falsche Richtung abgebogen.

Das Schnitzel war nach Art des Hauses, was, laut Sternchen-Fußnote i Acht-Punkt-Schrift „Geschnetzeltes, überwiegend aus der Schweine-Oberschale, in Flüssigpanade (Mehl, Bio-Eier, Semmel, Gewürze) eingelegt und anschließend von Hand schonend goldbraun gebraten“ bedeutete. Am besten war der Hinweis: „Enthält Gluten, kann Spuren von Senf enthalten.“ – Nils meinte, es handele sich um Fleischabfälle, die mit Eierpanade zusammengeklebt worden seien. Es hätte seinen Grund, warum dort „Geschnetzeltes, überwiegend aus der Schweine-Oberschale“ stünde und nicht „Schweineschnitzel aus der Oberschale“ oder wenigstens „Geschnetzeltes vom Schwein, überwiegend aus der Oberschale“. Somit sei laut Nils, der Hinweis auf die Senfkörner eher als Zynismus zu verstehen, und der Wellensittich sei vor seiner Weiterverarbeitung hoffentlich gerupft worden. Ich kann so etwas zwar immer nur schlecht beurteilen, aber selbst aus dem Blickwinkel einer Nachwuchssportlerin, die notfalls auch auf einer Turnmatte übernachtet, den Kopf auf einem Pullover oder Handtuch, war mir das alles nicht ganz geheuer. Um den Nachtisch in ein Schüsselchen füllen zu können, musste man mit einem Esslöffel in einem großen Eimer herumrühren – entsprechend sah der Esslöffel, den vor mir schon 50 andere Leute in der Hand hatten, und de immer wieder auf einen Teller gelegt wurde, aus.

Als eine Küchenmitarbeiterin um die Ecke bog, fragte Nils, warum die Karotten denn so groß wie Telefonzellen seien müssten und ob es irgendw noch die angekündigte Kartoffel zu finden gäbe. Die Frau zuckte mit de Schultern. „Wenigstens eine vernünftige Kelle für den Nachtisch sollte bei einem Neun-Euro-Sechzig-Mittag drin sein, finden Sie nicht?!“ – Marie und ich rollten ohne zu essen wieder raus, auf zum nächsten Supermarkt, uns erstmal mit ein paar Keksen und Getränken eindecken. Übrigens waren die folgenden zwei Mittagessen auch nicht besser. Insbesondere dass an allen drei Tagen immer Brechbohnen zwangsläufig im Gemüse verschnibbelt waren, nervte nicht nur mich, die davon ständig pupsen muss und das deswegen gar nicht erst auf ihren Teller füllt, sondern auch mindestens einen anderen Teilnehmer, der eine Lebensmittelallergie hatte und überhaupt keine grünen Bohnen vertrug.

Bei einem Abendessen, das ebenfalls 9,60 € kostet, hatte ich mehr erwartet als Brot und Brötchen mit drei Wurst- und einer Käsesorte. Daz Mineralwasser und Tee. Dabei möchte ich nicht falsch verstanden werden: Ich finde es völlig ausreichend, zur Abendmahlzeit Brot zu essen. Aber dann reicht auch ein Preis von 2,50 €. Marie und ich hatten aber keinen Bock, uns darüber zu beschweren – und alle anderen schien das nicht genug zu stören. Möglicherweise mussten die ihre Teilnahme auch nicht selbst bezahlen und wussten daher nicht, was das kostet. Oder wir sind inzwischen zu verwöhnt.

Wie immer, wenn man ausgiebig über das Essen meckert, war alles andere toll. Das Zimmer mit einem Kingsize-Bett und einem riesigen Fernseher und einer barrierefreien Dusche, nachts schön dunkel und sehr ruhig gelegen, war klasse. Das Schwimmbad war gut, lediglich stank es mehr nach Chlor als die Halle, in der wir sonst trainieren und teilweis waren für meinen Geschmack auch zu viele Leute drin. Aber die Traineri war gut. Insgesamt hatten wir sechs Einheiten im Wasser, davon vier Ausdauereinheiten mit jeweis 3.000 bis 4.000 Metern und zwei Technikeinheiten. Wir waren auf dem Zug- und auf dem Rollergometer.

Am ersten Abend hatten Marie und ich noch eine Begegnung mit einem 17jährigen Fußgänger aus Schleswig-Holstein, der dort mit einer Schwimmgruppe war. Wir saßen mit einigen Leuten um einen Tisch und spielten Kakerlakenpoker. Da das Sofa sehr bequem war, hatten sich Mari und ich umgesetzt. Unsere Rollstühle hatte jemand aus Platzgründen an den Nachbartisch geschoben. Besagter 17jähriger setzte sich neben mich und fragte, ob er mal zuschauen könnte, kam immer dichter. Ich glaube, er fand mich nett, allerdings nur solange, bis er merkte, was mit mir los war. Als nämlich mein Handy klingelte und ich denjenigen, der am nähsten an meinem Rolli dran war, bat, ob er mir das mal eben rübergebe könnte, guckte mich der 17jährige entsetzt an und fragte mich: „Ist da dein Rollstuhl?“

Später erzählte mir dann ein anderer Rollstuhlfahrer, dass er auf ei Gespräch der Schleswig-Holsteiner aufmerksam wurde, das die im Umkleideraum führten. „Das kann auch nur … passieren, dass er sich ausgerechnet zu einer Behinderten aufs Sofa setzt und die auch noch angräbt.“ – Tja. Was soll man dazu sagen?

Der Samstagabend stand ganz im Zeichen einer Bierstaffel. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Trainingscamps bildeten Mannschaften bunt gemischt durch die Vereine, und traten gegeneinander an. Aufgabe: Eine halbe Schwimmnudel als „Staffelholz“ durch die 50-Meter-Bahn treiben, drüben rausklettern, am Tisch einen Drittelliter Bier auf Ex runterkippen, möglichst ohne sich dabei die Hälfte über den Badeanzug z kleckern, zum Beckenrand zurück gehen oder krabbeln, die Nudel, die nicht mit aus dem Wasser genommen werden durfte und im glücklichsten Fall noch in derselben Bahn war, einsammeln und zurück schwimmen. Drübe die Nudel übergeben.

Meine Mannschaft machte den ersten Platz und gewann eine alte Luftpumpe. Die Mannschaft von Marie machte den letzten Platz. Es lag aber nicht an Marie…

Insgesamt gab es drei Durchgänge. Immerhin waren wir pro Staffel 12 Leute, so dass man erst beim dritten Durchgang das Gefühl hatte, gleich kotzen zu müssen. Zum Glück blieb es allseits bei diesem Gefühl. Marie und ich waren nach dem Tag so fertig, dass wir gleich ins Bett verschwunden sind. Und, wie man sich denken kann, war die zweite Nacht nicht annähernd so entspannt wie die erste. Ich glaube, alleine ich war vier Mal auf dem Klo.

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