Großer Schub

Ich kann auch was Schönes erzählen. Zum Beispiel, dass mich Marie jeden Tag im Krankenhaus besucht hat. Und Cathleen mindestens jeden zweiten. Auch Maria ist zwei Mal vorbei gekommen. Maries Mama und auch der Papa waren ein paar Mal da. So viele Zeitschriften wie in den zwei Wochen habe ich seit mindestens fünf Jahren nicht mehr gesehen. So viel Blumen wie in den zwei Wochen habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht bekommen. Und trotzdem waren die Wochen scheiße. Zwar nicht ganz so scheiße wie sie gewesen wären, hätte mich niemand besucht, aber schö geht anders.

Einige Tage vor meiner Entlassung kam Marie abends vorbei. „Kann ich bei dir fernsehen?“, fragte sie mich. „Papa will Fußball gucken.“

Das war der Abend, an dem es mit meiner Stimmung allmählich wieder bergauf ging. Ich zog die Schublade meines Nachtschranks auf, holte ein Schlüsselbund heraus und hielt es Marie hin, ohne eine Miene zu verziehen. „Du weißt ja, wie mein Fernseher funktioniert.“ – Und für einen Moment überlegte sie, ob ich sie wirklich missverstanden habe. Aber damit muss sie halt rechnen, wenn sie mir so einen Unsinn erzählt. Als wenn ich nicht wüsste, dass es bei ihr zu Hause mehr als einen Fernseher gibt und als wenn ich nicht merken würde, dass sie mich ablenken will. Ein paar Sekunden dauerte es, bis sie mich angrinste und sagte: „So langsam wirst du wieder die alte.“

Der Rest des Abends hatte überhaupt keinen Krankenhaus-Charme. Wir haben uns zu zweit ins Bett gelegt, Pizza aus dem Karton gespeist gefressen, Schwachsinn im Fernsehen geguckt, ohne Ende gequatscht … un plötzlich kam die Nachtschwester rein. Blieb wie angewurzelt in der Tü stehen, guckte einen Moment und sagte dann grinsend: „Och wie niedlich Braucht ihr noch was zur Nacht?“

Ich schüttelte den Kopf.

Sie sagte: „Einen Tee zur Nacht? Oder zwei?“

Am Ende schob die Schwester ein zweites Bett für Marie rein. Mit den Worten: „Wenn es morgen früh Ärger gibt, müssen Sie ein Zustellbett für Angehörige nachlösen.“

Es gab keinen Ärger. Sondern am nächsten Morgen sogar ein Frühstück ans Bett für Marie. Die Aktion war natürlich mehr erlebnisorientiert al komfortabel. Maries Mutter meinte dazu, wir haben gehörig einen an der Mütze. Aber es war spaßig und ich würde sagen, die Aktion hat, auch wen es nur eine Nacht war, meiner Genesung einen großen Schub gegeben. Ich habe der Nachtschwester bei meiner Entlassung eine kleine Aufmerksamkei ins Fach legen lassen. Ich hoffe, sie ist angekommen.

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