Wie bereits erwähnt, war ich gestern bei einem Freund, um mit ihm über ein paar organisatorische Details zu einer Sportveranstaltung zu sprechen. Ich habe ihm natürlich von meiner gestrigen Begegnung mit dem hilfsbereiten Herrn, der mich beinahe dorthin geschoben hätte, wohin ich gar nicht wollte, erzählt. Da er selbst auch Rollstuhlfahrer ist, fand er es nur lustig. Er sagte: „Ich frag mich nur immer, was mit den Menschen passiert, die schüchtern sind und sich nicht so wehren können. Die finden sich plötzlich irgendwo wieder, wo sie niemals hinwollten.“ – Ich ergänzte: „Im falschen Bus, im Heim, bei der Polizei oder vielleicht sogar im Puff.“
Er erzählte mir bei der Gelegenheit von einer mindestens ebenso unglaublichen Story, die ihn gerade seit einigen Wochen beschäftigt und die bereits einige Kreise gezogen hat. Er hat eine Versammlung zu organisieren, zu der rund 200 Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer eingeladen werden sollen. Sie soll in einem Haus stattfinden, das gerade mit großem Aufwand saniert wurde. Da dort auch öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden, muss das Haus barrierefrei sein. Die Stadt hat sich mit einer sechsstelligen Summe an den Baukosten beteiligt. Ein dort vorhandener großer (inzwischen auch barrierefreier) Tagungsraum eignet sich sehr gut (um nicht zu sagen optimal) als Veranstaltungsraum – er kann, da die veranstaltende (private) Organisation mitgliedschaftlich mit jener Organisation verbunden ist, der das Haus gehört und deren Haussanierung mit öffentlichen Mitteln unterstützt wurde, für die Veranstaltung sogar auch noch kostenlos genutzt werden.
Die Sache hat aber einen Haken: Auf die Einladung der 200 Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer rechnet dieser Freund mit etwa 50 bis 70 Anmeldungen. Die meisten Leute können auf öffentliche Verkehrsmittel verwiesen werden, bei aber rund 15 Personen handelt es sich um Leute, die beispielsweise ständig beatmet werden oder die kaum Armkraft oder Rumpfstabilität haben, so dass sie nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können. Diese werden mit einem Fahrdienst gebracht oder kommen mit dem eigenen Auto. Selbstverständlich haben diese Personen alle einen blauen Parkausweis für Rollstuhlfahrer.
Nun hat dieses 1950 erbaute und mitten in der City gelegene Haus aber keine eigenen Parkplätze. Im Umkreis von 100 Metern um das Haus befinden sich etwa 200 öffentliche Parkplätze. Also solche, die für jedes Auto einfach nutzbar sind. Einfach Auto reinstellen, Parkticket am Automaten lösen, in die Scheibe legen, fertig. Nur auf diesen Plätzen kann ein Rollstuhlfahrer nicht ein- und aussteigen. Sie sind nicht breit genug. Am einfachsten wäre es wohl nun, wenn man für die drei Stunden, die die Veranstaltung dauert, von den 200 Plätzen rund 20 wegnimmt und als 15 deutlich breitere „Behindertenparkplätze“ kennzeichnet. Also einfach drei Schilder aufstellen: „Parken nur mit blauem Parkausweis für Schwerbehinderte sichtbar im Fahrzeug, am nächsten Dienstag von 18 bis 22 Uhr.“ – Jeweils ein Schild mit einem Pfeil drunter, fertig ist die Laube.
Geht nicht.
So etwas ist in den Gesetzen und Vorschriften nicht vorgesehen.
Und jetzt kommt es: Wenn ich an dem Abend umziehe und eine 50 Meter lange Halteverbotszone brauche, weil dort zwei Möbelwagen quer parken müssen, schließlich habe ich ja eine ganze Bibliothek und einen Steinway-Konzertflügel zu transportieren, dann ist das kein Problem. Wenn ich Hobbyfilmer bin, mir für 15 Euro einen Gewerbeschein hole und dann beantrage, an dem Abend auf dem Hausdach Filmaufnahmen machen zu wollen und dafür ein Teleskopmastfahrzeug quer über 15 Parkplätze stellen zu müssen, bekomme ich die dafür nötige Genehmigung auch. Selbst wenn bei der Veranstaltung jemand Hunger hätte und die Frikadellen aus feuertechnischen Vorschriften nicht im Veranstaltungsraum gebraten werden können, sondern im Cateringbus vor der Haustür, gäbe es die Möglichkeit, Parkplätze für den Cateringbus nebst separatem Generatorfahrzeug abzusperren. Alles, was man braucht, ist eine straßenverkehrsbehördliche Anordnung. Und die gibt es dann auch.
Für Rollstuhlfahrerparkplätze aber nicht. Das sei, so die Verkehrsbehörde, im Gesetz und in den dazugehörigen Verwaltungsvorschriften nicht vorgesehen.
Der zuständige Beamte habe zwar, wie er gesagt haben soll, einen gewissen Ermessensspielraum, nur hier verbiete ihm das Privilegierungsverbot eindeutig eine entsprechende Anordnung. Es sei nicht möglich, Parkplätze für bestimmte Personen vorzuhalten.
„Was ich ja gar nicht will“, führte mein Kumpel aus, „es geht schließlich nicht darum, Parkplätze für namentlich zu benennende Autofahrer zu reservieren. Es geht darum, auf einen temporär erhöhten Bedarf an rollstuhlgerechten, also breiteren Parkplätzen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu reagieren und einer Benachteiligung jener Menschen, die auf einem Parkplatz für Fußgänger nicht ein- und aussteigen können, für die Dauer des Bedarfs entgegen zu wirken.“
Nichts zu machen. Argument des Beamten: „Würde man das gestatten, könnten Sie sich ja vor Ihrer Stammkneipe jeden dritten Freitag im Monat 50 barrierefreie Plätze im öffentlichen Parkraum reservieren lassen, um mit Ihren Kumpels einen Saufen zu gehen.“
Da eine sachliche Diskussion hier nur schwer möglich zu sein scheint, schweife ich auch mal vom Thema ab: Ich kenne keinen einzigen Rollstuhlfahrer, der sich nach einem Tropfen Alkohol noch hinter das Steuer setzt. Ausnahmslos allen Leuten, die ich kenne, ist der Lappen so heilig, dass sie das nicht tun würden. Damit sage ich nicht, dass es in der Szene keine Trunkenheitsfahrten gibt. Damit sage ich lediglich: Ich habe davon noch nie gehört. Sondern ich höre ständig das Gegenteil.
Wie dem auch sei, ich bin jedenfalls gespannt, wie das an dem Abend wohl wird, wenn alle, die einen blauen Parkausweis haben, sich im Umkreis des Hauses in das eingeschränkte Halteverbot stellen. Dort dürfen sie mit dem Ausweis nämlich drei Stunden parken. Wollen wir mal hoffen, dass dadurch nicht der Busverkehr zum Erliegen kommt…