Die Patientinnen und Patienten, die gestern in die internistische Notaufnahme eines großen Hamburger Krankenhauses kamen, mussten einiges über sich ergehen lassen. Nicht jene, die gleich in den Schockraum kamen, damit hatten wir nichts zu tun. Aber durch die Behandlungsräume, wo diejenigen waren, die nicht aus dem letzten Loch pfiffen, rollten zwei eifrige Rollifahrerinnen und wollten was lernen.
Marie und mich gab es nur im Doppelpack: Immer abwechselnd stand eine von uns daneben und schaute zu, die andere musste die Patientinnen und Patienten aufrufen, sie in den Behandlungsraum begleiten, das akute Problem erfragen, zusammen mit einer Schwester je nach Problem Blutdruck, Puls, Temperatur und Blutzucker messen, die Vorgeschichte grob aufschreiben, der Internistin Bescheid sagen und dann zugucken oder sogar assistieren, also irgendwas aus den Schubladen holen oder ähnliches.
Die Reaktionen auf uns waren sehr vielfältig. Es gab eine etwa 70jährige Frau, die Angst vor mir hatte und von mir nicht behandelt werden wollte. Das war krass, aber ich hatte das Gefühl, sie war auch schon etwas durch den Wind. Die Internistin, bei der wir im Moment Praktikum machen, sagte: „Warum wollen Sie sich denn von meiner Kollegin nicht untersuchen lassen?“ – „Die ist krank und ich komme damit nicht zurecht. Sie macht mir Angst.“
Ein Mann hatte einen kleinen Dachschaden, das merkte man aber nicht sofort. Erstmal wurde er richtig giftig. Wir müssen alle einen Button tragen, dass wir noch lernen. Sofortiger Brüll-Kommentar: „Ich möchte von einem Doktor der Chirurgie behandelt werden, Sie müssen einen Doktor rufen, es ist wichtig!!“ – Auch mit der Schwester wollte er nicht reden. Die rief die Ärztin, erklärte ihr, dass der Patient nicht mit uns reden wollte. Woraufhin er wiederholte: „Ich kann nur mit einem Doktor der Chirurgie reden, drunter mach ich es nicht.“ – Unsere Ausbilderin stand noch in der Schiebetür, eine Hand am Griff, antwortete: „Der Herr guckt zu viel Schwarzwaldklinik. Jetzt sag ich Ihnen mal was: Ich bin Doktorin. Professorin sogar. Und du kannst mich mal. Du sagst jetzt der Schwester schön deinen Namen oder du kannst hier warten, bis du schimmelst.“ – Marie und ich guckten uns mit großen Augen an, während neben uns die Tür ins Schloss fiel. Kurz danach kam der klinikeigene Security-Mensch in unser Zimmer und stellte sich in die Ecke, bis die Schwester mit Blutdruckmessen fertig war. Wo denn sein Problem liege, wollte sie wissen. Der Typ meinte: „Mir sitzt ein Pups quer. Hier oben.“ – Dann packte er Zigaretten aus, wollte rauchen. Der Security-Mensch nahm ihm die Schachtel weg: „So. Raus.“ – Spuk beendet.
Ansonsten waren sehr viele alkoholisierte und damit kotzende Leute da. Einer wurde mit Unterbauchbeschwerden mit einem Taxi gebracht, als er auf der Liege saß, kippte er plötzlich nach hinten weg, fing an zu krampfen und einen Moment später setzte er sich wieder hin und spuckte mindestens einen halben Liter Blut diagonal durch den Raum. Zum Glück stand niemand von uns in der Schussbahn. Was für ein Schweinkram, und wie das stank! Boa, pfui Teufel. Wir mussten natürlich sofort raus. Was aus dem Typen geworden ist, wissen wir noch nicht.
Eine weitere Gruppe: Viele Obdachlose, die zum Teil sehr merkwürdige Beschwerden hatten. Die Ärztin meinte, oft kämen sie auch, weil es draußen kalt und ungemütlich ist. Dann sei es im Krankenhaus warm und trocken, ein sauberes Bett … nur da müsse man hart sein. Wenn sich das rumspricht, hätten wir hier bald ein Obdachlosenhaus und das sei halt nicht unser Zweck. Da sei die Stadt gefragt, den Menschen vernünftige Betten zu geben. Das entbinde einen allerdings nicht von der Pflicht, sehr genau zu schauen. Man dürfe nie das Vorurteil haben, dass jemand komme, um nicht draußen schlafen zu müssen. Und bei der Frage, ob man jemanden einen Tag lang zur Beobachtung aufnimmt, müsse immer derselbe Maßstab gelten, so dass selbstverständlich auch jeder Mensch ohne festes Zuhause zur Beobachtung aufgenommen werden könne, wenn die Beschwerden unklar seien. Wem sagte sie das?
Die Mehrzahl der Leute, die an dem Abend da waren, hatte Beschwerden, die man auch einen Tag zuvor beim Hausarzt hätte klären können. Viele Patienten haben Marie oder mich in der Zeit, wo wir auf die Ärztin gewartet haben, angesprochen und gesagt, dass sie das toll finden, dass wir uns von unseren körperlichen Einschränkungen nicht den Berufswunsch diktieren ließen. Das ist natürlich nett gemeint, ich reagiere darauf auch immer mit einem „Dankeschön“; es zeigt aber andererseits auch, dass es eben für die meisten Menschen nicht selbstverständlich ist, was mir machen. Insgesamt hat der Tag Marie und mir sehr viel Spaß gemacht. Es war einer von sieben Terminen, die wir samstags im Rahmen eines Vorbereitungspraktikums ableisten müssen. Die Kolleginnen und Kollegen sind allesamt sehr nett und auch erstaunlich gut gelaunt, es ist beim Personal bisher niemand dazwischen, mit dem man nicht irgendwie zurecht kommt. Beim Personal war es auch deutlich entspannter: Wir waren nicht die ersten Studentinnen, die im Rollstuhl sitzen. Das fand ich sehr angenehm. Das Haus ist zudem sehr gut ausgestattet, soweit ich das beurteilen kann. Wenngleich mir der Samstag eigentlich so gar nicht passt, freue ich mich schon auf den nächsten Termin.