Zweihundert Euro

Marie und ich ziehen mit einigen anderen Leuten aus unserem Sportverein unsere Bahnen im Wasser. Wir sind genervt, weil nicht nur die barrierefreie Dusche mal wieder außer Betrieb ist, sondern auch der Duschraum für die Damen neu gefliest wurde und daher nicht betreten werden darf. Alle anderen Frauen sollen im Saunabereich duschen, wir können das nicht, weil wir dafür über Stufen müssten.

Wir wundern uns schon längere Zeit über einen Typen, Anfang 40, der in unserer Bahn in unserem Tempo seine Runden dreht. Normalerweise kümmert uns das nicht, es kann ja sein, dass Tatjana, unsere Trainerin, uns gleich noch ein neues Gesicht vorstellen will. Plötzlich, ich bin gerade am Beckenrand und warte darauf, dass die Schwimmerin vor mir genügend Abstand hat, tippt mir dieser Typ von hinten auf die Schulter. Er sagt: „Die Dusche ist gesperrt!“

Ich antworte: „Weiß ich schon!“, und schwimme weiter. Fünf Bahnen später gibt es am Beckenrand eine tierische Aufregung. Unter anderem wartet Marie am Ende der Bahn auf mich und fragt mich: „Was ist das für ein Typ, den ich nicht kenne?“ – „Keine Ahnung.“ – „Der hat mir und einigen anderen gerade 200 Euro angeboten, wenn jemand mit ihm in die Dusche geht.“ – „Waaaas?“

Ende vom Lied: Er ist so unauffälig verschwunden wie er plötzlich da war. Wir haben Tatjana Bescheid gesagt, einer von unseren Fußgängern ist
gleich durch die Umkleiden hinterher, der Schwimmeister hat sogar die Polizei gerufen – aber von dem Typen weit und breit keine Spur.

Marie meinte hinterher: „Jetzt sind mir doch glatt die 200 Euro entgangen. Dabei wollte ich mir diesen Monat noch eine Winterjacke kaufen.“ – Worauf Tatjana antwortete: „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ – „Natürlich nicht. Ich frage mich nur gerade, ob das eine spontane Idee war, oder ob derjenige mit dieser Tour schon einmal oder sogar mehrmals Erfolg hatte.“

Und ich frage mich, was er wohl der Polizei erzählt hätte, hätte man ihn geschnappt. Maries Vater, selbst bei dem blau-weißen Verein, sagte, als Marie ihm das zu Hause erzählte: „‚Da hat Marie etwas gänzlich missverstanden. Ich habe einen Zweihundert-Euro-Schein vor der Damendusche gefunden und wollte wissen, ob das ihrer ist. Ich hatte gesehen, dass sie dort längs gefahren ist und mir war so, als wäre er aus ihrem Rollstuhl geflattert.‘ Und dann übergibt er den Polizisten als
Fundsache den Schein, den Marie für das Beine breit machen bekommen sollte.“

Marie guckte ihn entgeistert an: „Nee, oder?“ – „Doch, alter Hut. Wenn du clever bist, sagst du gleich: ‚Tatsächlich, da ist ja mein Geld!’“

Maries Mutter erzählte bei der Gelegenheit, dass sie, als sie noch studiert und später im Krankenhaus gearbeitet hat, über die Jahre mehrmals einschlägige Angebote von Kommilitonen, Kollegen und sogar Vorgesetzten bekommen hätte. Wahrscheinlich bin ich zu naiv. Ich bin ja inzwischen so drauf, dass ich einen One-Night-Stand (oder vielleicht auch mehrere) mit dem richtigen Typen nicht mehr kategorisch ausschließe. Aber sich dafür bezahlen lassen? Mal eben so nebenbei? Unter Freunden? Unter Kommilitonen? Unter Kollegen? Mit Vorgesetzten? Was geht denn jetzt ab?!

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