Nicht so verwerflich

Dass es nicht leicht ist, das Auto einer Rollstuhlfahrerin anzuhalten, weiß ich ja inzwischen. Solange die Rollstuhlfahrerin trotzdem ihre gerechte Strafe bekommt (und die Verwarnung, bei der es bleiben sollte, wurde ja ausgesprochen, bevor man wusste, dass ich Rollstuhlfahrerin bin), ist das ja okay. Das Gefühl. Menschlich.

Wenn ich jetzt Geld bräuchte und, auf der Suche danach, die Hausbriefkästen in meiner Umgebung durchkämme, ist das schon einigermaßen dreist. Wenn mir dabei zufällig eine frische EC-Karte in die Hände fällt, ich danach auf die PIN warte, die einige Tage später bekanntlich kommt, sie ebenfalls aus dem Briefkasten friemel, mit Karte und PIN zu verschiedenen Banken gurke, innerhalb von fünf Tagen in 65 Einzelaktionen über 20.000 € vom Konto abhebe, davon die Hälfte in der Spielhalle verzocke … dann lande ich dafür, so dachte ich bisher, im Knast.

Es sei denn, ich bin Rollstuhlfahrer. Und bin auf einem Auge blind. Und kann die Richterin überzeugen, dass die 20.000 € nur die erste Rate waren für eine Augen-OP, die mir die Sehkraft wiedergeben soll (zumindest steht das so immer in den Illustrierten).

Wie gut, dass ich keine Richterin bin. Ich hätte es nicht glaubwürdig gefunden, dass ein 32jähriger mit Muskelschwund auf der Suche nach 80.000 € die Post aus Briefkästen klaut. Sondern ich hätte angenommen, dass da jemand seine Behinderung zur Ausrede macht, nachdem er eine EC-Karte gefunden hat, auf der so viel Geld drauf war. Und dass jemand 11.000 € verspielt, in der Hoffnung, da werden 80.000 € draus? Naja, das
soll ja auch bei nicht behinderten Menschen passieren. Der Mensch ist mittellos, das Geld ist weg. Immerhin hat die Versicherung der Bank dem Opfer den Schaden ersetzt. Das Urteil: Ein Jahr auf Bewährung. Weil sein
Motiv „nicht so verwerflich wie bei anderen Taten“ sei.

Das passierte gerade in Hamburg. Und in Berlin? Da stand auch ein Rollstuhlfahrer vor Gericht. Ich schreibe bewusst „stand“, denn er saß nicht. Zumindest am Ende des einjährigen Verhandlungsmarathons nicht. Nicht mehr. Mehrmals bekam ich von meinen Leserinnen und Lesern einen Link auf entsprechende Zeitungsmeldungen geschickt. So häufig, dass ich nun doch einmal darauf eingehen möchte, obwohl eigentlich klar sein sollte, was ich davon halte.

Was ich davon halte, wenn jemand vorspielt, er habe MS. Seine Beine nur noch zucken lässt, eine Hand nur noch schlaff herabhängen lässt, rumsabbert und einen wirklich bemitleidenswerten Eindruck macht. Nein, es geht nicht um all jene Leute, die finden, ihr Körper sei zu Unrecht gesund. Ähnlich wie die Frauen, die darunter leiden, kein Mann zu sein. Oder umgekehrt. Es geht um Leute, die sich in den Rollstuhl setzen, um Geld zu bekommen. Ich würde es nicht so krass formulieren, wenn es kein Geständnis gegeben hätte, das am Ende die Haftstrafe auf vier Jahre und sechs Monate gedrückt hat.

Über mehrere Jahre hat ein heute 45 Jahre alter Mann in Berlin auf behindert gemacht. Und monatlich neben seiner Grundsicherung auch Pflegegeld und ergänzend Sozialhilfe erhalten, um die angeblich 10 Stunden am Tag benötigte Assistenz bezahlen zu können. Monatlich kamen so 5.000 € zusammen, über die Jahre sind summa summarum eine Viertelmillion Euro aufgewendet worden.

Zwischenzeitlich soll er einige Geliebte gehabt haben, eine davon habe ihn angezeigt. Bei der Festnahme stellte die Polizei neben sieben teuren Uhren und elf Apple-PCs auch das Auto sicher, mit dem er vorwerfbar 56 Mal ohne Führerschein unterwegs gewesen sein soll. Ein Schaltwagen ohne behindertengerechten Umbau. Was mich wundert, denn das müsste doch mal jemandem auffallen. Richtig kränk finde ich aber den Elektrorollstuhl für 16.000 € … daran merkt man spätestens, wie behindert der Typ ist. Wenn Maria schon Probleme hat, einen Elektrorollstuhl im unteren vierstelligen Bereich genehmigt zu bekommen, warum braucht dieser Mann dann unbedingt einen so teuren? Hätte es nicht, wenn das schon sein muss, um die Legende des Schwerkranken zu untermauern, auch ein einfacher für 2.800 € getan?

Und was mich am meisten ankotzt, ist die Tatsache, dass es oft so unglaublich schwer ist, benötigte Leistungen und Hilfen zu bekommen. Ich erinnere mich da nur an Cathleens Pampers oder an Marias Assistenz. Vielleicht brauchen Cathleen und Maria einfach nur etwas mehr schauspielerisches Talent…

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