Zimtschnecke

Es macht mich zunehmend aggressiv. Wenn Menschen mich anfassen. Wenn dann ein einfaches „Nein“ nicht reicht. Wenn Freundlichkeit, Höflichkeit und Bestimmtheit nicht reichen und Unfreundlichkeit zu Diskussionen führt. Es ist seit Jahren dasselbe Problem, mit dem ich nicht alleine bin, und das mich irgendwann platzen lässt. Wenn das so weiter geht, kommt irgendwann der Tag, an dem ich mich körperlich zur Wehr setze und zur Backpfeife oder ähnlichem aushole. Ich habe das Gefühl, es wird immer seltener, dafür aber immer schlimmer.

Eigentlich bin ich sehr entspannt. Auch wenn Menschen mich anrempeln und ich fast aus dem Stuhl kippe. Was ich aber überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn fremde Menschen mich einfach so anfassen. Und gerade heute gab es wieder so einen Fall: Ich stehe an der Kasse des Supermarktes, habe meine wenigen Artikel auf das Laufband gelegt und warte. Der Mann, geschätzt Mitte 40, Schmierlappen, steht hinter mir und schließt bis auf wenige Zentimeter auf, lehnt sich mit dem Gesäß gegen eine Stange und mit der Hüfte gegen meine Schulter. Ich fahre wenige Zentimeter vor, um den Kontakt wieder zu unterbrechen, der Mann rückt auf. Ich drehe mich um und gucke ihm einmal ins Gesicht. Es kommt zum kurzen Blickkontakt. Ich drehe mich wieder zurück, er lehnt sich wieder gegen mich.

Ich drehe mich erneut um und sage: „Lassen Sie das bitte! Lehnen Sie sich woanders an.“ – Drehe mich wieder um und rolle noch einige Zentimeter vor.

„Warum sitzt du im Rollstuhl?“, will er wissen. Ich reagiere nicht. Er tippt mir auf die Schulter. Ich reagiere erneut nicht. Er tippt mir nochmal auf die Schulter. Ich drehe mich noch einmal um, sage zu ihm, etwas lauter: „Sie sollen aufhören, mich anzufassen! Ich möchte das nicht!“

Es geht ein Stück vorwärts und nun sehe ich in einem Fenster gegenüber in einem Spiegelbild, dass er sich über mich beugt und mir von senkrecht oben auf den Kopf schaut. Will er wissen, ob ich Läuse habe? Ich drehe mich noch einmal um. Leider nicht schnell genug, er dreht sich im gleichen Moment bereits weg und guckt von mir weg. Da ich ihn nicht ansprechen will, drehe ich mich wieder zurück, dieses Mal aber nur zur Hälfte, um ihn halb im Auge zu haben. Als es etwas weiter geht und ich ihm zum Aufrücken wieder den Rücken zudrehen muss, weil ich ja nun seitlich nicht fahren kann, merke ich, wie mir einer in meinen Haaren herumfummelt und versucht, mein Zopfgummi rauszuziehen. Unglaublich, das würde sich bei nicht behinderten Menschen kaum jemand erlauben. Ich drehe mich erneut um und brülle ihn an: „Ich möchte von Ihnen nicht angefasst werden!“

Keine der umstehenden Personen unternimmt etwas. Ich bitte die drei Halbstarken vor mir: „Darf ich mal bitte durch?“ – „Nö, wir warten auch.“ – „Ich möchte nur raus, weil der Typ hinter mir mich anfasst und in meinen Haaren herumfummelt.“ – Gibt es niemanden, der mir auf diese deutlichen Worte hilft? Nein. Der Halbstarke sagt: „Kann ich verstehen, du bist ja auch eine kleine niedliche Zimtschnecke. Was hattest du eigentlich heute morgen in deinen Lackstiefeln?“ – ‚Zimtschnecke‘ hat mich neulich schonmal so ein Idiot genannt. „Lässt du mich jetzt durch oder soll ich dir über deine Lackstiefel fahren?“ – „Jetzt entspann dich mal, Süße, und rauch noch einen Joint.“

Den Kassierer interessiert das alles nicht, die anderen Menschen auch nicht. Ich drehe mich so, dass ich rückwärts fahre und den Mann hinter mir ständig im Blick habe. Nun fängt der Zimtschnecken-Typ an, in meinem Zopf herumzuspielen und sich meine Haare um seinen Finger zu drehen. Es war wenige Sekunden davor, dass ich eine Packung Milch vom Laufband genommen und sie ihm beim Umdrehen mit voller Wucht ins Gesicht geworfen
hätte, als die drei an der Reihe waren und nach einem Ausweis gefragt wurden, weil sie Alkohol kaufen wollten.

In dem Moment kam ich an ihnen vorbei, habe meine drei Teile auf dem Laufband liegen gelassen und bin auf kürzestem Wege nach draußen. Inzwischen habe ich mich wieder etwas beruhigt. Und Haare gewaschen. Echt widerlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert