Buckelnder Amtsschimmel

Cathleen braucht einen neuen Rollstuhl. Das kommt bei Menschen im Rollstuhl hin und wieder vor. Bei jungen Menschen häufiger, wenn sie nämlich rauswachsen, bei älteren Menschen nicht mehr so häufig. Der, den
Cathleen fährt, ist fünf Jahre alt. Als sie ihn bekommen hatte, war sie
Jugendliche, gerade ausgewachsen. Inzwischen müsste er für mehrere tausend Euro repariert werden, die teuersten Punkte wären eine neue Sitzbespannung (die alte ist eingerissen und löst sich auf) und ein Rahmen (der alte ist weich und verzieht sich immer mehr, knarzt und knackt bei jeder Bewegung). Die Räder müssten auch neu eingespeicht werden, verschiedene Lager sind schwergängig, knacken – das Ding ist einfach fertig. Die Krankenkasse hat eine Reparatur abgelehnt, da „die Reparaturkosten den Zeitwert des Stuhls vielfach überschreiten und eine nachhalte Wiederherstellung des Stuhls trotz umfangreicher Reparaturarbeiten nicht sichergestellt werden“ würde.

Daraufhin musste Cathleen eine Stellungnahme ihrer Hausärztin (Maries
Mutter) einreichen, dass sie noch immer auf einen Rollstuhl angewiesen ist… Die tippte sich nur an die Stirn. Als das Rezept vorlag, wurde sie vom Medizinischen Dienst eingeladen, der zu der Frage Stellung nehmen sollte, ob sie alleine fährt oder geschoben wird. Das war Anfang Oktober
mit einem Gutachten abgeschlossen. Der Gutachter, in dem Fall ein Orthopäde, empfahl eine besonders hochwertige Versorgung, um Cathleens Mobilität, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von Pflege bestmöglich zu unterstützen und, mit Blick auf das langjährige dauernde Sitzen, Fehlhaltungen vorzubeugen. Außerdem müsse ausreichend dem Wundsitzen vorgebeugt und ausreichend auf ihre von den Standardmaßen abweichende Körpergröße (unter 150 cm) eingangen werden. Mit Blick auf Cathleens Körpergröße schrieb er vorsorglich: „Die Versorgung mit einem Kinderrollstuhl ist bei einer erwachsenen Frau nicht angemessen.“

Ein befreundetes Sanitätshaus erstellte daraufhin einen Kostenvoranschlag über einen fest verschweißten Aktivstuhl nach Maß im Sonderbau plus Anti-Dekubitus-Sitzkissen im Gesamtwert von rund 4.900 € und schickte diesen, ebenfalls Anfang Oktober, an die Krankenkasse. Davon genehmigte die Krankenkasse am 20. Dezember insgesamt 1.800 € für den Stuhl und 360 € für das Sitzkissen. Eigenanteil für eine mittellose Schülerin: 2.700 € für den Stuhl und 150 € für das Sitzkissen. Plus 2 x 10 € Zuzahlung, denn Rollstuhl und Sitzkissen sind jeweils ein Hilfsmittel, zu dem die gesetzliche Zuzahlung zu leisten wäre. Cathleen könnte nicht mal die 150 € für das Sitzkissen bezahlen. Der Genehmigungsbescheid kam Montag bei Cathleen an.

Heute nun waren Cathleen und ich bei Maries Mutter und haben was fürs
Leben gelernt. „Bitte wählen Sie mal diese Nummer und stellen durch“, sagte sie zu ihrer Mitarbeiterin. – „Warum wählst du nicht selbst?“, fragte ich sie. – „Psychologischer Trick. Der Sachbearbeiter hat in aller Regel kein Vorzimmer, sondern muss selbst wählen, damit ist die Rangordnung von vornherein abgesteckt. Ich bin zwar kein Fan von solchen
Manövern, aber wenn in einer Behörde der Amtsschimmel schon buckelt, kann meine Verstärkung ihn ruhig schonmal ans Halfter legen.“

Das Telefon läutete. Es ginge um ihre Patientin Cathleen, da liege ihr jetzt die Entscheidung über den Rollstuhl auf dem Tisch und da sei irgendwas in den Sieben der Bürokratie hängen geblieben. Sie habe gerade
so gar keine Zeit für irgendeine Paragrafenreiterei und die Patientin könne jetzt nicht auch noch ein weiteres Vierteljahr auf die nächste Entscheidung warten, daher möchte sie gerne von ihm als Fachmann wissen,
wie „wir die Patientin resourcenschonend zu einer angemessenen Versorgung“ bekämen. Die Antwort war denkbar einfach: Sie müsse nur das verordnen, was der Gutachter in sein Gutachten geschrieben hätte. Also einen fest verschweißten Aktivrollstuhl nach Maß im Sonderbau unter Berücksichtigung der besonderen ergonomischen Verhältnisse. Wenn sie eine solche Verordnung vorab faxe, mache er noch heute die Bewilligung fertig.

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