Das Bundeskabinett hat heute beschlossen, die blinde frühere Biathletin und Skilangläuferin Verena Bentele (31) zur neuen Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen zu
bestellen. Die Amtszeit ist an die Wahlperiode des Bundestages gebunden. Der bisherige Inhaber des Ehrenamts, Hubert Hüppe, scheidet turnusmäßig nach vier Jahren aus.
Ich muss vorweg nehmen, dass ich Verena Bentele überhaupt nicht kenne. Ihr Name ist mir als Sportlerin mit Behinderung selbstverständlich ein Begriff, aber ich habe sie bislang weder live gesehen noch hatte ich irgendwelche persönlichen Schnittpunkte mit ihr, ihrem Sport oder ihrem Beruf. Entsprechend habe ich ein völlig neutrales
Bild von ihr. Oder salopp gesagt: Ich finde sie weder gut noch schlecht. Ich würde sie durchaus gerne mal kennen lernen.
Ich habe die Zeitungsmeldung über ihre Bestellung als Behindertenbeauftragte heute mit großem Erstaunen zur Kenntnis genommen.
Aus zwei Gründen: Erstens bin ich bisher immer davon ausgegangen, dass dieses Amt ein hohes Maß an Verständnis für behindertenpolitische Fragestellungen erfordert. Ich möchte, und das möchte ich ganz deutlich zum Ausdruck bringen, Verena Bentele dieses Verständnis nicht absprechen. Aber eben auch nicht zusprechen. Zumindest nicht nach dem, was ich bisher gelesen habe.
Nämlich nichts. Vielleicht habe ich bisher nur auf den falschen Seiten gesucht, aber ich habe nirgendwo etwas darüber gefunden, welche Ansichten sie überhaupt vertritt. Wie sie sich zu vielen aktuellen und brennenden Themen positioniert. Wo bei ihr die politische Korrektheit aufhört und wo ihre persönlichen Ambitionen beginnen, auf die Politik Einfluss nehmen zu wollen.
Und da wären wir auch beim zweiten Punkt: Einfluss nehmen. Hubert Hüppe war wegen seines CDU-Mandats Mitglied des Bundestages, hatte also konkrete Rede- und Antragsrechte. Er wusste, wie Politik funktioniert, denn er hat Verwaltungsrecht studiert, ist seit 40 Jahren politisch aktiv, davon seit rund 20 Jahren im Deutschen Bundestag. Er hatte verschiedene Spitzenämter in der Politik inne, bevor er Behindertenbeauftragter wurde. Er hat selbst ein Kind mit angeborener Querschnittlähmung.
Verena Bentele ist selbst aufgrund einer Erbkrankheit blind und hat diverse Medaillen bei den Paralympischen Spielen (1998 bis 2010) abgeräumt. Sie ist Botschafterin verschiedener Blindenprojekte. Ihre politische Karriere begann 2012 mit dem Eintritt in die SPD. Sie soll nun die Gesetzgebung auf Bundesebene und all jene Vorhaben, die mit Menschen mit Behinderung zu tun haben, begleiten. So sei sichergestellt,
dass die Interessen behinderter Menschen angemessen vertreten werden.
Tatsächlich? Werden die Menschen mit Behinderung so angemessen politisch vertreten? Ich befürchte nämlich, dass bei der Auswahl von Verena Bentele ihr Ansehen und ihr Name in der Öffentlichkeit als ehemalige Leistungssportlerin mit Behinderung zu großen Ausschlag gegeben haben. Ich befürchte, man wollte eine salonfähige bewundernswerte Frau „zum Vorzeigen“, die einerseits innerhalb „ihrer“ Behindertenszene den Weg der großen Koalition vertritt, andererseits als
politisches Gewissen für nicht ganz so soziale Entscheidungen dient. Diese Angst drängt sich mir, und leider nicht nur mir, sondern auch vielen Menschen, mit denen ich heute über das Thema gesprochen habe, aus
einem Bauchgefühl heraus auf. Und nochmal: Ich freue mich, wenn sich diese Angst nicht bestätigt.
Ich finde es gut, dass die Behindertenbeauftragte selbst eine Behinderung hat. Ich finde ihr „Ja“ zu diesem Amt sehr mutig und ich bitte sie, sich mit den vielen anderen Menschen mit Behinderung eng zu verknüpfen, sich viele Verbündete zu suchen, deren Sorgen und Wünsche in
die Politik einzubringen und vor allem mit den Menschen zu diskutieren,
um ihre Meinungen zu erfahren. Ich wünsche mir, dass sie sich nicht verheizen lässt, sondern an den richtigen Stellen auch richtig laut und unbequem kämpfen wird, und bei den vielen brennenden Fragen, die sich die Politik stellen muss, in die richtige Richtung lenken kann. Ich wünsche ihr einen guten Start.