Noch eine andere Idee

Ich hatte es ja bereits angedeutet: Wenn ich verhindern möchte, dass bei der aktuellen Zins- und Inflationslage meine Entschädigung, die ich wegen meines unverschuldeten Unfalls einst bekommen habe, immer mehr an Kaufkraft verliert, muss ich sie anders anlegen. Darauf bin ich nun schon mehrmals hingewiesen worden, und zwar nicht nur von meinem Bankberater, der vielleicht noch selbst ein Interesse an neuen oder anderen Abschlüssen haben könnte. Das weiß eigentlich auch jeder inzwischen – die Frage ist nur, wo man sein Geld vernünftig anlegt. Irgendwelche spekulativen Geschäfte, bei denen man sehr schnell sehr viel Geld verlieren kann, kommen für mich überhaupt nicht in Frage.

Es gab daher in der letzten Woche die Überlegung, in Wohneigentum zu investieren, und es gab auch bereits eine etwas konkretere Idee, die sich aber inzwischen wieder zerschlagen hat. Die Übernahme eines Grundstücks mit einem begonnenen Bau aus einer Versteigerung nach Tod des Eigentümers kommt nicht in Frage, da der Rohbau Schrott ist und abgerissen werden müsste. Die Bauarbeiten wurden im Oktober eingestellt und das Ding hat erhebliche Frostschäden erlitten, sagte zumindest ein Freund von Maries Vater, der sich das vor Ort angeguckt hat und das beurteilen kann. Im Gegensatz zu mir.

Aber, und das ist absolut lustig, ich ziehe ja immer alle möglichen Leute an. Viele Idioten, aber anscheinend auch Nicht-Idioten. Während also Marie und Maries Papa und dieser besagte befreundete Fachmann und ich dort standen und die beiden Männer über den Zustand des halben Rohbaus fachsimpelten, kam in Hausschuhen ein alter Mann mit weißen Haaren in brauner Cordhose mit Hosenträgern und Holzfällerhemd aus dem Gebäude auf der gegenüber liegenden Straßenseite angeschlurft und stellte sich dazu. Grüßte mit „Moin moin“, fragte, ob die beiden das Grundstück kaufen wollen. Maries Vater gab ihm die Hand und sagte: „Eher nicht, das sieht nicht so toll aus, was die hier gemacht haben.“ – „Nö, das muss wieder abgerissen werden, das haben sie ja alles vergammeln lassen. Ein Schandfleck hier vor meiner Haustür, bald 50 Jahre wohnen wir hier, ich habe schon überlegt, ob ich das aufkaufe, den Schrott wegmache und dann wieder verkaufe. Teuer kann es ja nicht sein, gerade wenn man der Bank erklärt, dass das alles Schrott ist. Aber die Nerven habe ich nicht mehr. So gucke ich dann auf der anderen Seite aus dem Fenster und hoffe, dass sich hier schnell jemand findet, der das Grundstück kauft.“

„Wie ärgerlich“, antwortete Maries Vater. „Wir suchen eigentlich was für die beiden jungen Damen, die wollen bauen, da wäre das Grundstück eigentlich gut geeignet.“ – Marie und ich guckten uns an. Wir wollen bauen? Davon wussten wir ja noch gar nichts. Aber es ist spannend, wer sich so alles Gedanken um die sinnvolle Anlage meines Geldes macht und Maries Vater wird schon wissen, warum er das dem alten Mann so erzählt. Und tatsächlich: „Nee, das ist kein Schnäppchen hier, da handeln Sie sich nur Ärger mit ein. Da lassen Sie mal die Finger von! Obwohl ich die beiden Hübschen ja gerne als Nachbarn haben würde, so ist das ja nicht!“ – Er klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Spaß muss sein, ja? Meine Frau und ich haben schon goldene Hochzeit gefeiert, also bitte nicht falsch verstehen.“ – „Ich fühl mich geschmeichelt“, antwortete ich.

„Fragen Sie doch mal dahinten bei … nach. Der will schon seit Jahren verkaufen und kommt nie in Schwung. Vielleicht lässt er sich ja von ihrem Wimpernaufschlag hinreißen. Da hätten Sie wirklich ein tolles Grundstück. Große, ebene Fläche, sehr reizvoll.“ – Maries Vater fragte nach: „Darf man da denn überhaupt bauen?“ – „Das ist als Bauland verkauft worden, damals. Er hat sogar richtig Ärger gekriegt, weil er es nicht bebaut hat. Musste Strafe zahlen, und nicht zu knapp. Irgendwann haben sie ihn dann aber in Ruhe gelassen. Er hat das damals nur gekauft,
weil er eine große Fläche für seine Schafe und Ziegen haben wollte. Die hat er aber schon lange nicht mehr. Soll ich den mal anrufen? Ich kenn den noch von früher. Ich ruf den gleich mal an. Kommen Sie doch kurz mit rein. Ach nee, Sie kommen die Stufen ja nicht hoch. Dann kommen Sie doch alle mit auf die Rückseite zur Terrasse.“

Er schlurfte vorweg, die Karawane hinterher. Ein Schäferhund stand an der Grundstücksgrenze und beobachtete alles genau. Herrchen streichelte ihm im Vorbeigehen über den Kopf und sagte: „Ist gut, Dicker, Opa bringt Besuch mit.“ – Das war das este Mal, dass ich jemanden über 70 das Wort „Dicker“ in den Mund nehmen hörte. Sonst ist „Digger“, „Alder“ und so weiter ja eher Jugendslang – furchtbar, wie ich finde. Seine Frau, ebenfalls weiße Haare, mit bunter Kittelschürze, guckte erstaunt. „Wen schleppst du denn da an?“ – „Muddi such doch mal das Telefon raus, ich will Erwin eben anrufen.“ – „Was willst du denn von Erwin?“ – „Hier die suchen ein Baugrundstück. Erwin hat doch immernoch seinen Acker da. Wo die ganzen toten Bäume draufstehen. Vielleicht verkauft er den ja endlich. Die beiden Männer suchen was für ihre Töchter hier. Ich wollt den mal eben anrufen.“ – „Wenn der sich mal nicht gerade hingelegt hat.“ – „Denn steht er eben wieder auf, sowas hat man ja nicht alle Tage.“

Maries Vater sagte: „Wir wollen keine Umstände machen, wir können auch später nochmal vorbei kommen.“ – „Nö nööö, nu lassen Sie mal, Erwin und ich kennen uns nun auch schon 50 Jahre, ich hab ihm damals geholfen, als er sein Haus gebaut hat. Das kriegen wir schon hin. Möchten Sie was trinken?“ – Ein schnurloses Telefon wurde weitergereicht und tutete schon. Der alte Mann ging ran: „Moin Erwin, hier ist …, du hör mal: Ich hab hier gerade zwei Männer in der Bude stehen, die wollten sich das Grundstück von dem alten … angucken, das ist aber nichts für die. Die suchen Bauland für ihre beiden Töchter und die Töchter sitzen beide im Rollstuhl. Ich hab gedacht, wir können uns doch mal deinen Acker angucken eben, oder? Steht der noch zum Verkauf? Im Prinzip ja, siehste. Dann kommen wir mal eben rum oder machst du gerade ein Nickerchen? Mutter kommt auch mit, die hat noch frische Eier für dich. Ja bis gleich. Ende.“

Und so machten wir uns auf den Weg. Der Hund blieb zu Hause und bewachte den Hof, alle anderen trotteten oder rollten rund 500 Meter weiter zu Erwin, der schon aufgeregt am Straßenrand stand. Ich könnte jetzt noch stundenlang erzählen, aber ich kürze es mal ab: Zwischenzeitlich hatte das Grundstück schonmal jemand gekauft, der dort ein Verwaltungsgebäude für eine Spedition bauen wollte, das hatte das Bezirksamt aber untersagt, weil Gewerbe im Wohngebiet nicht erlaubt ist, und entsprechend sei der Kaufvertrag anulliert worden.

„Das ist das gute Stück“, sagte Erwin, der mit Gummistiefeln am Straßenrand stand und gerade eine handvoll herum wedelnde Zeitungsseiten eingesammelt hatte. Anhand der Aussage war schon deutlich, dass man mit
ihm durchaus ins Geschäft kommen könnte. Nach einigem Hin und Her fragte Maries Vater: „Und was wollen Sie für das Prachtstück haben?“ – Und da mischte sich der alte Mann mit der Cordhose ein: „Nu überleg dir das gut, die Chance kommt so schnell nicht wieder. Für die beiden Hübschen hier musst du eigentlich noch was dazu geben, wenn sie sich zu dir in die Nähe trauen.“ – „Na du bereitest mir ja gleich den richtigen Einstieg. Also so 50 bis 70 Braune wollte ich da schon noch für haben.“ – „Bist du verrückt, 70 Braune, das sind junge Frauen, woher sollen die das denn nehmen?“ – „Der letzte wollte mir 100 geben.“ – „Der war ja aber auch nicht ganz beieinander, der hatte hier schon ein großes Schild stehen, bevor er überhaupt gefragt hatte, ob er hier graben darf. Das war ein Vollidiot! Die hättest du auch nie bekommen, der hätte nämlich nach einem halben Jahr Konkurs angemeldet, so einer war das nämlich.“ – „Ach ihr kanntet euch? Du bist vielleicht ein Schnacker. Ja pass auf, wir machen 50 Braune. Die Hälfte wenn ihr anfangt und die andere Hälfte sagen wir in 10 Jahren. Wenn ich dann schon unter der Erde bin, habt ihr Glück gehabt. Sonst krieg ich nochmal was für mein Auskommen.“

Maries Vater antwortete: „Nee wenn, dann schaffen wir gleich entspannte Verhältnisse. Also fünfzigtausend Euro wollen Sie haben?“ – „Euro doch nicht – Mark! Euro ist zu viel. Die Hälfte in Euro. Also 25.“ – Der alte Mann mit der Cordhose mischte sich wieder ein: „Das ist ein fairer Preis, Erwin. Das reicht auch, um mich mal zum Bierchen einzuladen, schließlich hab ich den Leuten überhaupt erst von deinem Acker erzählt.“ – „Ja du bist der Beste.“

Ich verrate Erwin natürlich nicht, dass die Bank für das andere Grundstück 192 T€ hätte haben wollen. Allerdings mit dem angefangenen Bau, der Preis ist aber nicht zu halten. Und dabei ist Erwins Acker eigentlich viel schöner. Für 25 T€ ist das ein Schnäppchen, selbst für 50 oder 60 T€ wäre es noch okay gewesen. Aktuell haben sich Frank und Maries Papa nun folgendes angedacht und mit dem Architekten besprochen, der auch bereits unsere WG realisiert hatte: Es soll ein Wohnhaus gebaut werden, in dem unten zwei große Wohnungen und oben vier kleinere Wohnungen Platz finden. Komplett barrierefrei, mit Tiefgarage und Aufzug. Das Grundstück hat rund 500 m², die Grundfläche des Hauses wurde mit rund 300 m² angesetzt. In die Wohnungen unten könnten Marie und ich
einziehen, wenn wir das denn wollten, die vier Wohnungen oben an jeweils einen Single-Haushalt mit Rollstuhl vermieten. Die vier Wohnungen oben werden öffentlich gefördert, die unten nicht. Die unten könnten natürlich auch an andere Interessenten vermietet werden. Ich habe von solchen Planungen natürlich keine Ahnung. Also ich kann das schon nachvollziehen, aber ich würde niemals auf solche Ideen kommen. Aber insbesondere Frank vertraue ich da und Maries Papa natürlich mindestens genauso.

Das zuständige Bezirksamt würde, vorausgesetzt, eine andere Stelle stimmt dem ganzen „Projekt“ noch zu und alles andere passt auch, grundsätzlich eine Baugenehmigung erteilen. Das wurde Frank bereits so in Aussicht gestellt. Der Architekt rechnet die Baukosten auf rund 1,35 Mio Euro. Es würde öffentliche Fördergelder geben für den Bau, nämlich rund 170 T€, dazu einen zinsgünstigen Kredit bis maximal rund 780 T€. Der Eigenanteil, der selbst finanziert werden muss, liegt bei rund 250 T€. Über die nächsten 30 Jahre würden die vier Wohnungen, die vermietet werden, mit jeweils 91 T€ subventioniert werden. Gleichzeitig müssten rund 100 T€ für den Kredit gezahlt werden (Zinsen und Bearbeitungsgebühr).

Am Ende sieht es im optimalen Fall so aus, dass nach 30jähriger Laufzeit die gleiche Summe herauskommt, als hätte man den Eigenanteil von 250 T€ mit 4,3% verzinst. Plus ein komplett bezahltes Wohnhaus mit 6 Parteien. Im ungünstigsten Fall ist das Geld weg und das Haus eingestürzt. Alles dazwischen ist möglich. Damit es im schlimmsten Fall bei diesem Eigenanteil bleibt (und nicht noch jemand auf den Rest meines Privatvermögens zugreifen kann), ist es auch wichtig, dass nicht ich direkt der „Veranstalter“ bin, sondern dass eine Firma gegründet wird, die mit ihren Einlagen haftet und ich die Einlagen bereit stelle, zumindest zu einem großen Teil. Ich bin gespannt, wie es weitergeht – als nächstes müssen sich die Investitionsbank und das Bezirksamt positionieren, ob sie für das Ding grünes Licht geben würden. Falls ja – ich glaube, ich würde zuschlagen. Zumindest klingt es sehr verlockend.

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