Durch die Tür

Ich brauche für die zwei Wochen nach Ostern einen Praktikumsplatz in einer Klinik. Während die meisten Kommilitonen schon alles unter Dach
und Fach haben, bin ich noch immer auf der Suche. Bei uns auf dem Gelände ist nichts mehr frei, aber es gibt genügend so genannte „akademische Lehrkrankenhäuser“ in Hamburg, die ebenfalls für so ein Praktikum zugelassen sind.

Nun kam ich gestern mittag im Personalbüro eines solchen akademischen
Lehrkrankenhauses an. Mit Termin, nach einer entsprechenden Bewerbung. Ich wurde von einer Sekretärin in ein leeres Büro geführt, ein Mitarbeiter wolle sich gleich mit mir unterhalten.

Nach etwa 10 Minuten kam dieser rein. Geschätzt um die 40 Jahre, Polohemd, Wildlederschuhe. Sein erster Kommentar, noch vor einer Begrüßung: „Wie ist denn der Rollstuhl hier reingekommen?“

Ich überlegte nicht lange. Vorstellungsgespräche sollen Bewerber mitunter provozieren. Falls die Frage ernst gemeint war, war ich ohnehin
im falschen Film. Also antwortete ich frech: „Durch die Tür!“

Der Mitarbeiter schien das tatsächlich ernst gemeint zu haben. Er stammelte: „Durch … die … achso, ja. Durch die Tür?“

Ich holte weiter aus. Nickend: „Durch die Tür.“ Und kopfschüttelnd: „Nicht durchs Fenster. Auch nicht durch den Schornstein.“

Seine Antwort: „Ähm. Ja. Ich weiß gar nicht … also.“ – „Ja?“ – „Was ist denn…“

Das konnte nicht ernst gemeint sein. Ich lief zur Höchstform auf: „Was ist eine Tür? Also, eine Tür ist ein optimalerweise vom Tischler aus Holz gefertigtes Objekt, das temporär diejenigen Löcher verschließt,
die die Maurer in den Wänden lassen. In erster Linie zwecks Zugangskontrolle.“

Er stammelte weiter: „Zugangskontrolle. Ja natürlich. Ich … ähm … bin
nur gerade etwas perplex, denn in Ihrer Bewerbung stand nicht … also das mit dem Rollstuhl! Ich meine, das hat man ja nicht alle Tage, dass man mit sowas konfrontiert wird. Also dass … die meisten Rollstühle sind
ja alt.“

Verwendete er tatsächlich die Wörter „sowas“ und „Rollstuhl“ für den Menschen, der ihn benutzte?! Das Gespräch war sowieso gelaufen. Ich sagte dümmlich: „Meiner ist noch gar nicht soooo alt jetzt. Ich finde, er sieht auch noch ganz passabel aus, oder?“

Er musterte mich, dann sagte er: „So meine ich das nicht. Ich meine, dass es ja eher unüblich ist, dass jemand in jungen Jahren im Rollstuhl fährt. Es sei denn, er ist krank, aber dann hat man ihn auf Station.“

Oder im Heim, dachte ich mir leise. Hauptsache, ‚man hat ihn‘. Ich antwortete: „Naja, ob jemand im Rollstuhl durch die Gegend fährt, hängt ja primär von seiner Gehfähigkeit ab.“

Er hatte sich halbwegs wieder gefangen und sagte: „Ich sehe, Sie werden mal eine gute Ärztin. Sie wollen bei uns Praktikum machen, ja?“

Ich antwortete: „Nein.“

Nun war es endgültig vorbei. „Nein? Aber das hatten Sie mir doch geschrieben!? Oder verwechsel ich Sie jetzt? Weswegen sind Sie heute hier? Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge!“

Ich drehte mich bereits in Richtung des mit einer beweglichen Holzplatte verschlossenen Lochs in der Wand und sagte: „Ich hab es mir gerade anders überlegt. Mir gefällt der Umgang Ihres Hauses mit behinderten Menschen nicht. Ich glaube, dass das, was ich im Praktikum hier lernen würde, nicht gut für mich ist. Ich versuche es daher woanders und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

„Oh warten Sie, ich öffne Ihnen die Tür!“ – Jetzt wusste er ja, was eine Tür ist. Und wie ein Rollstuhl ins Haus kommt. Oder es verlässt. Schade, dass der Weg zu weit war, um die Geschichte lustig zu finden. Und schade, dass ich mich manchmal nicht mehr zurückhalten kann. Wahrscheinlich war mein Verhalten nicht klug. Hätte ich die Klappe gehalten, hätte ich vermutlich den Praktikumsplatz bekommen. Aber andererseits geht es mir so sehr viel besser. Eine neue Chance ergibt sich am Dienstag. Zwei Eisen habe ich noch im Feuer.

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