Partymeile

Beim Training ist es ganz normal: Weite Klamotten bleiben in den Rädern oder Speichen hängen, Wasser auf der Straße durchnässt schlabberige Ärmel – eng und synthetisch sind hier die beiden Zauberwörter. Was für das Training gilt, gilt für meinen Alltag aber eher nicht. Es sei denn, wie schon mit dem letzten Beitrag eingeleitet, Mann steht drauf. Und was tut rollende Frau nicht alles für rolligen stehenden Mann…

Es mag verwirren, dass mich eine Fahrt im Rollstuhl über Hamburgs Reeperbahn weniger beeindruckt als selbige in schwarzen Wetlook-Leggings, engem Top, dezent geschminktem Gesicht und offenen Haaren. Ich hatte das Gefühl, sämtliche Blicke kleben an mir und jederzeit könnte ich jemanden treffen, der (oder besser die) mich (so nicht) kennt und mich darauf anspricht. Ich weiß nicht, warum es mir anfangs eher unangenehm war, denn wenn ich mich umsah, lief die Mehrheit eher aufgebrezelt bis pikant gekleidet durch die Gegend. Vermutlich war
das alles ganz normal und ich hatte mir lediglich in meinem eher klein- bis spießbürgerlich klimatisierten Studienort einen kleinen Charakterschnupfen aufgesackt.

Philipp gefiel es ganz offensichtlich. Normalerweise mag ich nicht geschoben werden, erst recht nicht, wenn ich mich mit jemandem unterhalten möchte. Ich brauche dazu Augenkontakt oder zumindest die Möglichkeit desselben. Aus dem gleichen Grund machen mich auch jene Leute wahnsinnig, die permanent schräg hinter mir laufen, wenn ich mit ihnen rede. Oder sie mit mir. Philipp aber schob mich, eher an den Schultern als an den Griffen, und an jeder Ampel wurde mir der Nacken massiert oder der Hals gestreichelt. Oder mein Körper eng an seinen gedrückt. Schade, dass ich mich nicht unauffällig umdrehen konnte. Und schade, dass es auf der Reeperbahn so nur wenige Ampeln gibt.

Wer den von Hormonen beeinflussten weiteren Verlauf des Abends lieber nicht lesen möchte, sei gewarnt und blättert an dieser Stelle besser weiter, denn aus dem Tanz-Party-Kneipenbummel wurde nicht viel. Zuerst wollte ich aufs Klo, eher vorsichtshalber, denn ich hatte mich in gewisser Erwartung eines fröhlichen Abends bewusst nicht präpariert, sondern stattdessen für alle Fälle eine trockene Hose im Rucksack. „Kannst du mal bitte mitkommen und mich festhalten, falls das da dreckig ist?“, fragte ich ihn. Der Hauptgrund war eher, ihn ein wenig heiß zu machen. Was auch auf Anhieb funktionierte: „Wie jetzt, nichts drunter?“ –
„Unterwäsche wird überbewertet“, erwiderte ich betont gleichgültig.

„Ich dachte eher an etwas … du weißt schon. Plastik.“ – „Nenn ‚Windeln‘ doch einfach beim Namen. Ich fand es heute mal unerotisch.“ – „Wie bist du denn drauf?“ – „Wenn du unbedingt willst, können wir ja nebenan in dem Laden mit den Gummipuppen welche kaufen.“ – „Haben die hier sowas?“ – „Bestimmt. Stück fünf Euro und mit einem fröhlichen Entchen als Nässeindikator. Dazu Strampelanzüge von XS bis XXL mit rosa oder blauen Rüschen und farblich passender Haube sowie einem quietschenden Riesenschnuller im Set.“ – „Du kennst dich aber gut aus.“

Lustig war, dass er eigentlich auch aufs Klo wollte, aber nicht konnte, während ich daneben saß. Noch lieber hätte ich sogar mal festhalten wollen. Also sein Handy natürlich, damit es nicht ins Klo fällt… Am Ende gab es ein paar Häuser weiter ein Biermixgetränk in einer viel zu lauten Bar, bevor wir uns in Richtung Elbe aus dem Staub machten. Es war zwar arschkalt, im wahren Sinne des Wortes, und auch eher unbequem am dunklen Elbufer, aber sehr dunkel und die Sterne funkelten. Und auf dem Rückweg fühlte ich mich in der S-Bahn schon wieder so, als würden mich alle anstarren. Dieses Mal eher, weil ich etwas zerzaust aussah.

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