Rapunzelschmetterlinge

Auf öffentlichen Straßen sehe ich bisweilen jede Menge Spinner. Welche, die ohne Führerschein fahren und falsch abbiegen, aber auch welche, die in Bäumen sitzen und wie Rapunzel im geeigneten Moment ihr Haare herunterfallen lassen.

Vor den Rapunzelschmetterlingen wird in Niedersachsen (unter anderem) neuerdings gewarnt. Und ich muss gestehen, die Folgen, die so ein Kontakt mit den Haaren dieses Falters machen kann, sind schon beeindruckend. Ich selbst habe es zwar noch nicht live miterleben müssen, aber wir bekamen gerade ein Video gezeigt, welche zum Teil doch heftigen Symptome auftreten, wenn jemand allergisch auf diesen aus meiner persönlichen Sicht eher hässlichen Schmetterling reagiert. Ein allergischer Ausschlag (Raupendermatitis) ist dabei noch eher nebensächlich, auch wenn es zwei Wochen dauern kann, bis der wieder weg ist.

Insofern halte ich den Warnhinweis, den ich heute bei einer Tour mit meinem Handbike sah, schon berechtigt. Ganz im Gegenteil zu einer Gruppe Männer, die, mit Fahrrädern und einem Anhänger voller Einmalgrills unterwegs, mitten auf dem Radweg vor diesem Schild stehen blieb. Teilweise hatten sie ihre Räder abgestellt. Mitten auf dem Radweg. Und zwar so, dass ich nicht mehr vorbei kam. Etwa zwanzig Leute, alle zwischen 50 und 70 Jahre alt, alle besoffen und laut. Ich musste ebenfalls stehen bleiben und fragte: „Na, Jungs, lasst ihr mich mal durch?“

Ein älterer Mann, in einer Hand eine PET-Flasche mit Bier, hatte gerade einen so tiefen Schluck aus der Plastikpulle genommen, dass er sein Gesicht beim Herunterschlucken verzog, bevor er mit der Bierflasche
auf das Schild deutete sagte: „Morgen wäre Adolf 125 geworden – und wir warnen vor dem Eichenprozessionsspinner. Ist das nicht eine verrückte Welt?“ – „Stimmt.“, erwiderte ich mit bierernster Miene. „Aus dieser Perspektive habe ich das noch nie betrachtet.“ – Der Mann guckte mich einen Moment lang an, dann lachte er schallend laut und klopfte sich mit der rechten, freien Hand, abwechselnd auf seinen linken und rechten Oberschenkel. „Deutschland!“, brüllte er laut. – „Deutschland!“, brüllten die anderen Männer im Chor zurück. Ein einzelner brüllte laut „Athen!“ hinterher. Der Schenkelklopfer lachte erneut laut und sagte dann: „Keine Drohungen, mein Kumpel an der Ecke macht das beste Gyros! Und er hat einen Ouzo“, sagte er und küsste seinen Daumen und Zeigefinger, „herrlich – nur mein kleiner Neffe mag am liebsten Pommes.“
– Erneut lachten alle.

Dann durfte ich vorbei fahren. Hinter mir hörte ich einen Mann sagen: „Ich hab das schon von meiner Großmutter gelernt: Eichen sollst du weichen.“ – „Siehste, die hat das damals schon gewusst, ohne solche Verkehrszeichen“, sagte ein anderer. Wieder lachten alle lauthals. Ich musste schmunzeln. So ein verrückter Haufen. Auf dem Rückweg musste ich natürlich noch ein Foto machen. Nicht von dem Haufen. Sondern vom Schild.

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