Eine Mama eben

Ich war lange nicht körperlich so neben der Spur. Grippe und grippaler Infekt sind nicht zu verwechseln. Das wissen wir alle, nachdem
es ja oft genug in den Zeitungen aufgegriffen wird. Mit etlichen Tipps zu Hausmittelchen, die helfen sollen. Nein, Grippe ist was anderes. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir eine Influenza eingefangen habe, trotz Impfung (mein damaliger arbeitsmedizinischer Dienst hatte wohl die Sparversion, mit der nur drei der vier wichtigen Erreger verabreicht werden), und ich muss sagen: Noch einmal brauche ich
das nicht.

Schnupfen, Husten, Heiserkeit haben sich nicht großartig von dem unterschieden, was man von einem (ausgeprägten) grippalen Infekt kennt. Fieber: Ging gleich heftig los und blieb auch konstant über zwei Tage zwischen 38 und 39 Grad. Allerdings habe ich es nicht als so unangenehm empfunden wie sonst bei einem grippalen Infekt. Nur die Gliederschmerzen
– unerträglich. Sowas! Es war wirklich nicht auszuhalten. Ob im Sitzen oder im Liegen: Am liebsten nicht bewegen. Und am liebsten ständig doch bewegen, denn die Schmerzen waren im Ruhezustand auch nicht erträglich.

Es war so heftig, dass mir bereits übel wurde. Ich hatte null Appetit. Fühlte mich dabei unterzuckert, fast schon zittrig. Wenn ich mich hinsetzte, musste ich das langsam tun, weil ich sonst gleich Sterne
sah. Und das waren nicht die an meiner Schlafzimmerdecke. Mein Muskeltonus war in den Beinen total erhöht, es reichte, einmal die Decke
über mein Knie zu ziehen, damit alle Muskeln in beiden Beinen verrücktspielten und sich zehn bis zwanzig Mal nacheinander rhythmisch zusammenzogen. Kontrollieren kann ich das nicht. Hätte ich an einer Nähmaschine gesessen, hätte ich damit locker vier Strümpfe fertigstellen
können. Einmal vom Bett in den Rollstuhl umsetzen brachte nicht nur Schüttelfrost, sondern ich war auch gleich außer Atem.

Nein, der Beitrag wird nicht vom Impfstoff-Hersteller für die Grippe-Impfung gesponsert. Mit denen habe ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen. Bietet doch im nächsten Jahr einfach keine abgespeckte Impfung mehr an. Oder färbt den abgespeckten Kram schlumpfblau ein, damit jeder sofort erkennen kann, dass er eben nicht geschützt ist.

Ich könnte mich noch immer ohrfeigen, dass ich kaum Medikamente zu Hause hatte. Abschwellendes Nasenspray habe ich immer im Haus, aber jetzt hatte ich nicht mal genügend Schmerzmittel. Die letzten zwei Paracetamol hatte ich noch vor dem Fieber eingeworfen. Ich hätte so gerne was gegen die unerträglichen Gliederschmerzen, aber die ganzen haushaltsüblichen Mittel waren da ja eher kontraproduktiv. Hätte ich kein Medizinstudium absolviert, hätte ich vermutlich einfach ASS oder sowas eingeworfen. Das, was jetzt Sinn machen würde, bekomme ich nicht mal eben so in der Apotheke.

Ich versuchte zu schlafen. Alle drei Atemzüge quälte mich der Reizhusten. Plötzlich klingelte es an der Tür. Vermutlich irgendein Nachbar. Oder ein Paketbote. Oder Werbung. Leute, leckt mich. Ich bin krank und bleibe im Bett. Es klingelte noch mal. Ich könnte jetzt ja auch mein Handy gucken und dort sehen, wer vor der Tür steht. Dazu müsste ich mich aber bewegen. Und das tut weh. Es klingelte ein drittes Mal. Dazu klopfte jemand. Eher zärtlich. Mein Handy empfing irgendwelche
Nachrichten. Dauerfeuer. Sollte ich doch mal gucken? Wie spät war es eigentlich?

Es war Maries Mama. Ich hatte mit Marie telefoniert und … mich eigentlich mit Marie zu einem weiteren Telefonat morgen verabredet. „Bin
unterwegs zur Tür“, schrieb ich ihr zurück. Könnte ja einen Moment dauern.

Den Reizhusten stellte Maries Mama als erstes ab, nachdem sie auf meine Lunge gehorcht hatte. 20 mg Codein und es war, als würde jemand in
einer Disko den Lautstärkeregler runterdrehen. Es dauerte keine fünf Minuten, da war der Reizhusten abgeschaltet. Ich legte mich wieder ins Bett, der hohe Muskeltonus ging zurück, ich konnte dabei zugucken. Und die Schmerzen hörten auf. Keine drei Minuten später war ich eingeschlafen.

Gegen ein Uhr wachte ich auf. Es dauerte etwas, bis ich realisierte, was passiert war. Ich wollte aus dem Bett zum Klo. Ich war noch immer wie gerädert und die Schmerzen waren wieder da. Maries Mama saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und hackte irgendwas in ihr Laptop. Der Fernseher lief nebenbei. „Du bist ja noch da. Ich bin einfach so eingeschlafen. Ohne mich zu bedanken.“ – „Das war das einzige, was ich jetzt nicht hören wollte. Was machen die Schmerzen?“

„Sind wieder da. Und genauso unerträglich wie vorhin.“ – „Das wirkt ja auch nur drei bis sechs Stunden. Was macht der Husten?“ – „Der ist erstmal weg.“ – „Ich würde da jetzt trotzdem nochmal 20 mg Codein drauf geben, damit die Schmerzen aufhören und du schlafen kannst. Ich gucke gleich mal, wie du schläfst, und dann fahre ich irgendwann zurück und ziehe die Tür einfach hinter mir zu. Ich lasse dir das Codein da, falls das um 5 oder 6 wieder unerträglich wird, kannst du noch einmal was nehmen. Tagsüber nicht. Weißt du ja.“

Wusste ich. Sie ist ein Engel. Am heutigen Morgen waren die Schmerzen
nicht mehr so stark wie in der Nacht. Aber noch deutlich spürbar und vor allem auch noch so stark, dass ich nicht lange in einer Position liegen konnte. Das Fieber war auf 37,6 Grad zurückgegangen. Ich entschied mich gegen eine weitere Codein-Tablette. Und schlief tatsächlich noch einmal ein. Um 9 Uhr war das Fieber komplett runter.

Maries Mutter hatte mir sowohl Paracetamol als auch Tramadol vor Ort gelassen. Mit einem Zettel dran: „Du bist für eine Medizinerin sehr schlecht ausgestattet.“ – Dann konnte die Party ja beginnen. Das Tramadol habe ich erstmal in eine Geldkassette geschlossen, nicht, dass irgendein Besuch mit Kindern auf die Idee kommt, die mal auszuprobieren.
Oder ich im Halbschlaf zum falschen Blister greife.

Inzwischen ist der Husten, der ja nur Reizhusten war, komplett weg. Der Schnupfen ist eher wenig bis mäßig, die Nase auch ohne Nasenspray frei. Nur die Gliederschmerzen sind noch da. Wie gesagt, bis Ende dieser
Woche werde ich davon wohl noch etwas haben.

Und im Kühlschrank steht Gurkensalat. Und zwei kleine Portionen Nudelauflauf. Und Joghurt. Und sie hat die ganzen Handtücher aus dem Trockner gefaltet und weggeräumt. Und den Geschirrspüler eingeräumt und angestellt. Eine Mama eben.

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