Puff und Meise

Das Gute daran, wenn man weiß, wie sich eine Bronchitis anhört, ist, dass man weiß, wann man eine Bronchitis hat. Um das grobe Rasseln beim tiefen Ausatmen zu hören, brauchte ich nicht mal ein Stethoskop. Ich bin bis heute noch nicht wieder völlig gesund. Allerdings schon lange nicht mehr ansteckend, seit zehn Tagen schon wieder auf der Arbeit
– ich darf nicht lange fehlen im Praktischen Jahr. Wenn ich sehr laut sprechen muss, habe ich noch immer den typischen Reizhusten. Aber kein Rasseln mehr, kein grobes und auch kein feines. Also auch keine Lungenentzündung. Und der ganze Mist ist auch ohne Sekundärinfektion und
damit ohne Antibiotikum (und vor allem ohne Neuraminidase-Hemmer, zu denen ich ohnehin ein sehr kritisches Verhältnis habe) wieder weg gegangen. So heftig hat es mich allerdings lange nicht erwischt.

Kleine Anekdote, die die zart besaiteten Leserinnen und Leser lieber überspringen und zum nächsten Absatz vorscrollen: Irgendwann haben natürlich auch meine neuen Nachbarn mitgekriegt, dass ihre neue Nachbarin nicht mehr jeden Morgen früh los fährt. Ob sie mir was vom Einkaufen mitbringen sollen, wollten sie wissen, und klingelten dafür bei mir an der Tür. Ist ja nett. Kräuterbonbons gegen den Reizhusten wären gut. Sie schleppen tütenweise an, allerdings alle mit Süßstoff. Bei einigen hatte ich das gesehen und die gleich weggepackt, bei einer von den Schweizern erfundenen Sorte dachte ich erst, die gibt es nicht mit Süßstoff. Drei Stück habe ich gelutscht und habe so derbe Blähungen davon bekommen, dass ich mir nachts eine Windel angezogen habe, weil ich
nicht abschätzen konnte, was da noch so alles passiert. Es ist nichts passiert, außer dass ich irgendwann durch Blick auf die Uhr festgestellt
habe, dass ich durchschnittlich alle zwei Minuten gepupst habe. Mehrere
Stunden lang von drei Bonbons. Nie wieder.

Man kann, für alle die, die den letzten Absatz übersprungen haben, auch zusammenfassen, dass ich keinen künstlichen Süßstoff vertrage. Und kaum war ich wieder unter Menschen (also seit dieser Woche, in der letzten Woche durfte ich aus Sicherheitsgründen noch keinen Patientenkontakt haben, sondern nur Papierkram erledigen), hatte mich der Alltag wieder. Ich rolle mit einer Rolle (tolles Wortspiel) Krepppapier (mit vier „p“, drei vor dem „a“, eins hinterm „a“) zu einem Patienten, da spricht mich lachend ein Mann an: „Willst du damit nen Puff aufmachen oder wofür brauchst du das alles?“ – Seh ich aus wie ne Puffmutti? Oder eher wie eine Prostituierte?

Hinter dem Vorhang kam mein Chef heraus, guckte den lachenden Mann an
und sagte: „Nehmen Sie sich mal ein bißchen zusammen. Wir sind hier nicht in Ihrer Eckkneipe.“ – Wobei er eher noch der harmlosere Patient war. Eine andere Patientin sollte zum ersten Mal ein bestimmtes Medikament intravenös, also über einen Tropf, bekommen, und noch bevor überhaupt irgendwas in ihrem Kreislauf angekommen sein konnte, fing sie an zu zittern, die Augen zu verdrehen und zu atmen, als hätte sie gerade
einen Sprint hinter sich gebracht. Ich fragte sie, ob alles in Ordnung ist, sie ignorierte mich und zitterte weiter. Ich fragte nochmal: „Hallo? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ – „Ich glaube *schnauf* *schnauf*, ich vertrage das Medikament nicht.“ – „Die Infusion läuft noch gar nicht“, antwortete ich. Sie guckte mich an, hörte schlagartig auf zu tief und schnell zu atmen und sagte dann: „Dann hab ich eine Allergie gegen den Schlauch.“ – Na sicher. Ne Meise hast du. Aber ne große.

Meine Karteikarten sind schon weniger geworden. Aber leider gibt es noch immer einen großen Stapel von Dingen, die ich noch nicht drauf habe. Und neulich habe ich den Fehler gemacht, in den bereits aussortierten Karten noch einmal zu stöbern. Und festgestellt, dass ich einiges schon wieder vergessen habe. Noch rund sechs Wochen bis zum Examen. Und ich habe das blöde Gefühl, dass es nicht reichen wird. Obwohl mein Kopf mir sagt, dass ich völlig entspannt sein sollte. Wenn das bloß erst vorbei ist.

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