Turnhallenwurst

Ich bin fertig. Den letzten Tag des Praktischen Jahres habe ich überstanden. Ich habe keinen Bock mehr. Ich möchte endlich mein letztes Examen hinter mich bringen und mein Studium abschließen. Ich möchte Gewissheit haben. Und ich möchte sogar diesen Abschnitt meines Lebens abschließen. Auch wenn ich mein Studium zügig, vielleicht sogar im Galopp, durchgezogen habe, und damit sogar schneller war als Marie, die erst im Herbst fertig wird, fand ich es irgendwie viel zu lang.

Am allerletzten Tag gab ich ein Frühstück für die Kolleginnen und Kollegen aus. Wie auch schon zum jeweiligen Ende der letzten beiden Drittel. Dieses Mal verabschiedeten sich allerdings meine Kolleginnen und Kollegen auch mit mehr als nur einem Händedruck. Nachdem der Osterhase in diesem Jahr bereits eskaliert ist, kann ich jetzt ganz sicher meine ganze Straße zum Schokoladen-Fondue einladen.

Und, was eher beschissen war, einer tanzt ja immer aus der Reihe. So gab es am Rande einen Dialog mit einem approbierten Kollegen, den ich noch nie leiden konnte – und der es seinerseits offenbar nicht leiden konnte, dass ich in dem Moment kurz zuvor mehr Aufmerksamkeit bekommen hatte als er in einer ganzen Woche. Sobald ein Mann Sexualität zu völlig
unpassender Gelegenheit ins Spiel bringt, möchte er, so meine These, Dominanz zeigen. Damit meine ich nicht diejenigen lieben Menschen, mit denen man auch über schwierige Themen reden kann, sondern sowas hier: „Ich dachte, du wolltest Ende März schon weg sein.“ – „Ich hatte mir eine Grippe eingefangen und musste 14 Tage dranhängen.“ – „Das hättest du aber auch einfacher haben können.“ – „Nämlich wie?“ – „Zum Beispiel Beine breit machen. Machen viele Studentinnen so. Und dem Chef ist doch vor zwei Jahren die Frau weggelaufen. Auch wenn er froh sein kann, dass er die Alte los ist, wäre es so bestimmt schneller für dich gegangen. Sag mal, was ich dich schon immer mal fragen wollte: Dass Querschnitte poppen können, hat sich ja rumgesprochen, sogar unter Internisten. Aber ist deine eigentlich schön straff oder ist es wegen der Lähmung eher so,
dass Mann dabei das Gefühl hat, man wirft ein Würstchen durch eine Turnhalle?“

Ich saß da mit einem Blumenstrauß und ganz viel Schokolade auf dem Schoß und guckte ihn ungläubig an. Erwachsen? Studiert? Wirklich jetzt? Ich war nicht auf so etwas derart Dämliches und Ekliges vorbereitet, sonst hätte ich ihn schon nach dem „Beine breit machen“ aufgefordert, den Rest runterzuschlucken. Irgendwie imponierte er mir aber überhaupt nicht. Früher hätte ich vermutlich geheult. Nicht sofort, aber sobald er
weg gewesen wäre. In völlig ruhigem Ton sagte ich ganz langsam: „Du bist ein kleiner, schmieriger Mistbock. Und wir sollten beide schnell vergessen, was du eben gesagt hast.“ – Er nickte und machte dazu ein dämliches Gesicht. Ich drückte ihm eine Tafel Schokolade in die Hand und
sagte: „Da, nimm. Ist für dich. Und sei nicht traurig, irgendwann findet dein Würstchen bestimmt den Weg in eine geeignete Turnhalle. Bye!“ – Was für ein bedauernswerter Mensch. So schlecht sozialisiert.

Als ich im Aufzug stand, musste ich über mich grinsen.

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