Kampf-Lesbe

Im Jahr 2018 werden junge Schüler gefragt,
wie eine Familie entsteht. Laut dem inzwischen vorliegenden Lösungsmuster gibt es die volle Punktzahl bei: „Ein Mann heiratet eine Frau und zeugt ein Kind mit ihr.“

Ich finde, dass nicht nur die Schüler Fehler machen dürfen. Ich hätte
es stark gefunden, wenn die Lehrerin, die nicht mehr die Jüngste ist, etwas nachliest und sich eingesteht, dass ein großes Stück gesellschaftliche Entwicklung unbemerkt an ihr vorbei gezogen ist. Sie war in einem Trott, hat jedes Jahr dieselben Tests geschrieben, ist vielleicht schon lange ausgebrannt … keine Ahnung.

Da mit ihr nicht zu reden war und sie mich, obwohl ich super freundlich war und ihr diverse diplomatische Brücken am Telefon gebaut habe, fragen musste, ob ich „eine kleine Kampf-Lesbe“ sei, habe ich mich
anschließend direkt mit dem Schulleiter unterhalten. Das fand ich echt unglaublich und irgendwann ist dann auch mal Schluss. Seine Meinung: „Ich kann der Kollegin ihre Ansicht von Partnerschaft und Familie nicht vorschreiben. Aber die darf nicht der Maßstab für eine Leistungsbeurteilung sein.“

Danke. Mehr wollte ich gar nicht hören. Die Tatsache, dass Fragen wie
beispielsweise nach der Funktionsweise der Temperaturmethode nur zwei Punkte gaben, während das vorgenannte Familienbild mit fünf Punkten bewertet wird, unter Ausschluss sinnvoller Antworten, lässt in mir die Vermutung aufkommen, dass hier nur die Sonne scheint, wenn alle Kinder ihren Teller homophobe Grütze mit Milch brav aufgegessen haben.

Nein, das mit der Kampf-Lesbe habe ich nicht gepetzt. Darüber kann ich auch alleine laut genug lachen. Ich gehöre zwar auch zu jenen Menschen, die nicht jeden gendersensiblen Formulierungsvorstoß passend finden. Allerdings: Eine Lehrkraft, die meine vermutete Homosexualität auf beleidigende Weise an völlig unpassender Stelle thematisiert, verhält sich übergriffig. Bevor sie da nicht an sich arbeitet, wäre ich strikt dafür, den Sexualkunde-Unterricht künftig anderen Personen zu übertragen.

„Rapunzeln“ kam übrigens nicht von ihr sondern von Helena. Ich muss gestehen, ich finde diese Umschreibung irgendwie süß.

Und während ich nach Dienstschluss in meiner Alltagskleidung im Krankenhausflur stehe und auf den Aufzug warte, sehe ich beim Blick aus dem Fenster einen wunderschönen Sonnenuntergang. Hinter mir sprechen zwei ältere weibliche Subjekte: „Oh nein, die arme Frau. Das ist ja nun wirklich kein Leben mehr.“

Ich drehe mich um, möchte wissen, ob ich gemeint sein könnte. Oder ob
sich vielleicht zwei Kolleginnen einen Scherz mit mir erlauben. Ich bin
gemeint. Und es sind weder Kolleginnen, noch ist es ein Scherz. Bevor ich überlegen kann, ob ich darauf etwas erwidere, fragt mich diejenige, die schon den ersten Spruch rausgehauen hatte: „Wie lange geben Ihnen die Ärzte denn noch?“

Ich habe einen Moment lang mit dem Gedanken gespielt, im Vorbeirollen
ein paar Backpfeifen zu verteilen, bevor ich mich dann doch wieder dem wunderschönen Sonnenuntergang zugewandt und die blöden Schrippen alleine
mit dem Aufzug vorweg fahren lassen habe. Man soll sich ja nicht provozieren lassen. Und ich glaube, sie wollten mich provozieren. Denn so kaputt sehe ich nun wirklich nicht aus, dass man denken könnte, mein Ableben stünde unmittelbar bevor.

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