Ich weiß, wir sind sehr spät dran. Aber seit heute gibt es bei uns einen Weihnachtsbaum. Noch steht er auf der Terrasse. Maries Papa hat ihn zusammen mit Helena besorgt. Man kann ihn nach Weihnachten einpflanzen (also es ist einer mit Wurzeln im Eimer), und wir haben auch
schon einen Abnehmer in der Nachbarschaft. In den letzten Jahren hatten
wir nur ein paar nadelnde Tannenzweige und einen Adventskranz auf dem Tisch, dieses Jahr kommen Maries Eltern zu Besuch und Helena fragte irgendwann mal, ob wir uns eigentlich auch einen Weihnachtsbaum besorgen. Meinetwegen müsste das nicht sein, aber jetzt, wo er auf der Terrasse steht und am Heilig Abend drinnen geschmückt werden soll, freue
ich mich schon darauf. Es erinnert mich auch ein wenig an meine Kindheit.
Seit heute gibt es bei uns auch Weihnachtsplätzchen. Ja, ich weiß, auch spät dran. Aber noch rechtzeitig. Und keine Unmengen. Marie hat sie
vorhin mit Helena gebacken. Ich habe auch achteinhalb Sternschnuppen ausgestochen. Ich glaube, das sind meine ersten selbst gebackenen Weihnachtsplätzchen seit meinem Unfall.
Und seit heute habe ich alle Weihnachtsgeschenke beisammen. Für einen
Moment dachte ich, ich würde es nicht mehr schaffen, aber heute gaben sich Paketdienste und Postbote die Klinke in die Hand und lieferten Dinge aus, die teilweise zehn Tage innerhalb Deutschlands unterwegs waren.
Ebenfalls seit heute hat Helena ein eigenes Girokonto. Beziehungsweise heute kamen die dazugehörigen Karten mit der Post. Es sind zwei Girokonten, ein Taschengeldkonto und eins für alle übrigen Finanzen. Das gab es bisher nicht, allerdings sind Marie und ich uns mit
ihrem Vormund einig geworden, dass wir trotz aller familiärer Geschlossenheit dennoch ihre Finanzen über keins unserer Girokonten laufen lassen wollen. Nicht nur, um uns bei Bedarf besser rechtfertigen zu können, sowohl eines Tages vielleicht ihr gegenüber als auch Dritten,
sondern auch, um sie in zwei, drei Jahren vielleicht an mehr Selbständigkeit heranführen zu können. Was das Taschengeld angeht, soll das ab heute so sein. Sie bekommt aktuell noch 20 € pro Monat, über die sie mit einer Karte frei verfügen kann. Die zweite Karte bleibt bei Marie oder mir und die bekommt sie dann in die Hand, wenn wir Klamotten einkaufen oder andere Dinge bezahlt werden müssen. Ich bin sehr gespannt, ob und wie das funktioniert. Und als drittes werden wir das Geld, das neben dem „Unterhalt“ als „Aufwandsentschädigung“ vom Jugendamt gezahlt wird, auf ein Sparbuch einzahlen, da Marie und ich dafür kein Geld haben wollen – das kann sie sicherlich gut gebrauchen, wenn sie irgendwann mal einen Führerschein oder ähnliches bezahlen muss.
Wir haben auch lange Diskussionen darüber gehabt, ob es zu früh ist, einer knapp dreizehn Jahre alten Schülerin ein Smartphone zu geben. Wir sind der Meinung, dass es passt. Wir werden das an Bedingungen knüpfen, das heißt, wir werden mit ihr eine Art „Vertrag“ machen, wo wir schriftlich mit ihr vereinbaren, wie das läuft. Damit sie sich das notfalls wieder vor Augen halten kann, was wir vereinbart haben, wenn das Gedaddel mit dem Ding doch gerade spannender ist als der Rest der Welt. Ich bin auch hier sehr gespannt, wie sich das entwickeln wird. Ich
hoffe: gut.