Schnucki

Natürlich kann ich kurzfristig einspringen und Nachtdienst machen. Dass ich mein obligatorisches Mittagsschläfchen vor dem Nachtdienst nicht hatte, ist nicht weiter schlimm. Dass ich heute morgen eine ambulante OP hatte, auch nicht. Natürlich komme ich, damit mein aktueller Lieblingskollege nicht so alleine ist. Und ich weiß zu schätzen, dass es nur Bereitschaftsdienst ist. Dann kann ich mich vielleicht eine Stunde zwischendurch hinlegen. Ist noch Zeit für einen Klogang, bevor ich spontan los muss? Gerade noch.

Der Lieblingskollege begrüßt mich mit: „Na, Schnucki, gehen bei dir zu Hause auch die Uhren nach?“ – „Du kannst gerne nachfragen, wenn du meinen Namen nicht richtig verstanden hast.“ – „Ach komm, ‚Schnucki‘ ist doch süß. Ist nicht böse gemeint.“ – „Nee, nur sexistisch, ich weiß. Ich geb dir einen Tipp: Lass es einfach sein, auf die Dauer sparst du dir damit jede Menge Ärger ein.“ – „Sind wir heute wieder zickig?“ – „Du raffst es nicht, oder? Dir haben das doch jetzt schon so viele Leute so oft gesagt, was ist daran so schwierig?“ – „Diese Frauenlogik ist jenseits meiner Auffassungsgabe.“ – „Soll ich dir eine geistige Stärkung aus der Apotheke holen?“ – „Wie nennt dein Freund dich denn, wenn nicht ‚Schnucki‘?“

Ich überhöre das und blättere die Übergabevermerke durch. Mein Lieblingskollege wendet sich der männlichen Pflegekraft zu, die die ganze Zeit im Raum ist: „Sie hat auf Durchzug geschaltet.“ – Die Pflegekraft seufzt tief und geht ohne ein Wort nach draußen. Er wendet sich wieder mir zu: „Wenn Schnucki alles durchgelesen hat, könnte sie ja vielleicht in Zimmer 34 schonmal die Kanüle legen.“ – „Jetzt hör mal zu, Kollege: Wenn du mich im Dienst nochmal ‚Schnucki‘ nennst, noch dazu vor anderen Kollegen, dann kriegen wir beide richtig Ärger miteinander.“ – „Soll das heißen, wir gehen demnächst mal zusammen einen trinken? Nein, vergiss es, es macht einfach Spaß, dich zu ärgern. Nimm es einfach nicht so persönlich, ich meine es nicht böse.“ – „Es belästigt mich. Du kannst gerne dein Haus-Schaf so nennen, aber für Kolleginnen am Arbeitsplatz ist das ungeeignet.“ – „Am besten kaufst du dir ein Fahrrad. Aber eins, das nicht so klemmt wie du. Zimmer 34, nicht vergessen, übrigens die Schokolade hier kommt von der Mutter der kleinen Luisa und ist sehr lecker!“

Als wir das nächste Mal auf dem Flur aneinander vorbei kommen, singt er: „Schnucki, ach Schnucki, roll mal nach Kentucki, in die Bar ‚Old Shatterhand‘, dort spielt ne Indianerband.“ – Wie nervig. Keine Ahnung, was man nehmen muss, um so drauf zu sein. Das geht bei ihm ständig so und ich bin (zum Glück) nicht die Einzige.

Um halb drei kann ich mich einen Moment hinlegen. Da er Nachtdienst (und ich Nachtbereitschaft) hat, muss er wach bleiben. Um halb vier piept mein Melder. Als ich auf der Station ankomme, grinst er mich an. Ich überlege, ob meine Haare nicht ordentlich sind oder mein Hemd verknittert ist, er sagt: „Ich mag dein Orgasmus-Face. Oder hast du etwa nur geschlafen?“

Ich würde natürlich gerne etwas unternehmen, denn diese ewigen Sprüche nerven. Leider gibt es immer keinen Zeugen. Und wenn es doch mal einen gibt, wie den Kollegen aus der Pflege, dann sind es Banalitäten. Hinzu kommt, dass meine Oberärztin gefühlt keinen Bock hat, sich um irgendwas zu kümmern. Also eskaliert es irgendwann, und damit es dann fruchtet, schreiben zwei junge Kolleginnen, die er auch schon gefragt hat, ob er ihnen beim Umkleiden helfen soll und warum sie keine schwarzen Strings unter der weißen Hose tragen etc., bereits alles auf. Schnucki hat es bisher noch nicht getan, protokolliert dann aber ab heute auch mal mit.

Warum können so viele Männer eigentlich Komplimente von sexistischen Sprüchen nicht unterscheiden? Ganz viele können das, aber so viele können das eben nicht. Ist es wirklich so kompliziert?


Schlagwörter:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert