Schimmel

Es gibt Themen in der Medizin, die finde ich besonders spannend. Und es gibt Themen, die finde ich sogar noch spannender. Derzeit bilde ich mich fünf Jahre lang fort im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin. Da lerne ich hin und wieder auch mal ein paar neue Dinge, und was meinen aktuellen Arbeitsplatz betrifft, kann ich auch nicht klagen, aber … Maries Mama hat vor einiger Zeit eine Einladung zu einem Workshop bekommen. Sie bekommt ständig solche Einladungen. Und in diesem Fall meinte Marie zu ihr: „Wenn du da nicht hin willst, lass das bloß nicht verfallen. Ich kenne jemanden, der leckt sich die Finger danach.“

So machte ich mich am Freitag auf den Weg. Nach rund fünf Stunden Zugfahrt kam ich pünktlich (ja, das halte ich für erwähnenswert) am Zielort an. Einen Rollkoffer vor mir hergeschoben, eierte ich durch den Bahnhof, bekam die
richtige Bimmelbahn und fuhr bis fast direkt vor das Hotel. Checkte ein, mein Zimmer sollte im obersten Stockwerk sein. Und wie ich so am um die Ecke gelegenen Fahrstuhl wartete, sagte doch die eine Mitarbeiterin von der Rezeption lachend zu ihrer Kollegin: „Die Behinderte ist in zwei Minuten wieder hier. Wetten?“

Hm? Warum? Zimmer nicht gereinigt? Der vorherige Gast liegt noch im Bett? Die Schlüsselkarte passt nur zur Putzkammer? Der Aufzug fährt nicht ins oberste Stockwerk? Das Fenster liegt mitsamt seinem Rahmen im Hof? In der Badewanne schläft ein Krokodil?

Nein, ganz anders: Die Tür zum Bad und die Fläche neben dem Bett sind so schmal, dass ich gar keine Chance habe, dort hinein zu gelangen. Hochfloriger Teppichboden. Zum Fenster müsste ich krabbeln. Ich rolle also wieder nach unten. Sie erzählt mir, dass die barrierefreien Zimmer leider renoviert werden. Leider habe man beim Einbuchen der Reservierungen nicht darauf geachtet, dass ich ja ein barrierefreies Zimmer bräuchte. Ob ich auch mit diesem Zimmer klar käme, wollte sie wissen.

„Das fragen Sie mich ernsthaft, nachdem Sie gerade schon vorausgesagt hatten, dass ich in zwei Minuten wieder hier bin? Sie lassen mich hier mit dem Koffer durch das halbe Hotel fahren, obwohl Sie wissen, dass ich das Zimmer nicht nutzen kann und stellen sich jetzt auch noch doof? Werden Sie dafür von mir bezahlt?“ – Ich finde das ungeheuerlich. Die Dame zuckte mit den Schultern und sagte: „Dann müssen Sie sich halt ein anderes Hotel suchen.“

„Ja. Und jetzt hätte ich gerne meine Anzahlung zurück. Die Mehrkosten stelle ich Ihnen hinterher in Rechnung.“ – „Welche Mehrkosten?“ – „Das, was das andere Hotel jetzt mehr kostet. Plus die Taxifahrt dorthin. Kurzum: Der Schaden, der mir dadurch entsteht, dass Sie unseren Vertrag nicht erfüllen.“ – „Welchen Vertrag?“ – „Den in meiner Tasche. Von Ihnen schriftlich bestätigt. Ein barrierefreies Zimmer für zwei Nächte. Können Sie mir dann bitte noch vermerken, dass das bestellte Zimmer nicht verfügbar ist?“

Hat sie tatsächlich gemacht. Ein anderes Hotel, auf der anderen Seite der Stadt, hatte noch ein barrierefreies Zimmer frei. Für 133 Euro pro Nacht. Plus Frühstück. Das ist eigentlich nicht meine Preislage. Aber günstiger ging es nicht.

Nun hätte ich ja erwartet, dass das Zimmer sauber ist. Den Müll hat man sofort abgeholt, das Bett hat man auch noch sofort bezogen, die restlichen Reinigungsarbeiten könnten dann erst am nächsten Morgen stattfinden. Es heißt ja immer, dass bei denen, die am meisten meckern oder sogar einen Meckerblog schreiben, das eigene Zuhause noch viel schlimmer aussieht. Nee, Leute, ich würde mich schämen, wenn meine Bude so schimmelig wäre.

Ich muss jetzt ins Bettchen. Deshalb kann ich nichts mehr von dem Typen schreiben, dem ich da begegnet bin. Aber ich hole es nach. Versprochen.


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