Krank ist krank

Sagenhaft, was ich so alles erlebe, wenn ich eine Woche im Bett liege! Zum Beispiel habe ich mich von meiner linken Seite auf die rechte
Seite gedreht. Und von der rechten manchmal auch wieder auf die linke. Und zwischendurch noch auf den Rücken. Manchmal auch auf den Bauch. Und wieder zurück.

Gemessen an der Anzahl meiner Stunden in der Pädiatrie war ich lange nicht krank. Wirklich lange. Gefühlt ist es schon über ein halbes Jahr her. Aber irgendwann erwischt es jeden. Trotz größtmöglicher Vorsicht und Hygiene. Es fühlte sich schon in der letzten Woche so an, als wenn ich irgendwas ausbrüte. Ich hatte dann vorsichtshalber schonmal die üblichen Verdächtigen aus ihren Tiefs substituiert und meinen edlen Körper maximal geschont, in der Hoffnung, der Kelch würde an mir vielleicht noch vorübergehen. Aber nein: Volle Breitseite.

Wobei sich das Halsweh durch acht bis zehn Kräuterbonbons ganz gut im
Rahmen halten ließ. Allerdings vertrage ich weder diese Mengen an Fruchtzucker, noch diese Mengen an Zucker-Ersatzstoffen, die in den meisten Hustenbonschen enthalten ist. Ich weiß, too much information, aber ich habe stundenlang immer wieder gefurzt und fühlte mich dabei wie
ein Pferd, das irgendwer mit frischem Brot und Würfelzucker gefüttert hat.

Das Kribbeln in der Nase und der ganze Rotz, der danach kommt, war auch innerhalb von zwölf Stunden vorbei. Husten hatte ich gar nicht erst. Fieber auch nicht. Im Grunde waren die klassischen Erkältungssymptome innerhalb von 24 Stunden durch. Aber die Gliederschmerzen: Nicht auszuhalten. Von Sonntag bis Donnerstag habe ich
nicht gewusst, wie ich liegen sollte. Auch Sitzen ging nicht. In Ruhe war es schon nicht wirklich schön, aber wenn ich dann auch noch irgendeinen Muskel anspannen sollte, um mich beispielsweise umzudrehen oder in den Rollstuhl zu kommen, hätte ich am liebsten geschrien vor Schmerz. So eine fiese Geschichte!

Ich musste Schmerzmittel nehmen, weil das ohne nicht auszuhalten war.
An Schlaf war überhaupt gar nicht zu denken. Von den üblichen freiverkäuflichen Tabletten ließen sich die Schmerzen überhaupt nicht beeindrucken. Abgesehen von Paracetamol, das halbierte nach etwa 20 Minuten die Schmerzen auf ein irgendwie erträgliches Maß, nach zwei Stunden war aber alles wieder beim Alten. Das Zeug wie Smarties zu fressen, würde sehr kurzfristig dazu führen, dass die Leber Pfötchen gibt. Absolut nicht empfehlenswert. In telefonischer Abstimmung mit Susi, Maries Mutter, fuhr ich also am Sonntag zur nächsten notdienstbereiten Apotheke, rund 35 Kilometer entfernt, um irgendwas Wirksameres zu bekommen.

Es gibt zwei Mittel, ein Opioid und ein Nicht-Opioid, die etwa 30 Mal
stärker sind als ASS, und die beide noch ohne Betäubungsmittelrezept zu
bekommen sind. Beide Mittel werden von Menschen, die von Opiaten abhängig sind und eine Ersatztherapie machen, häufig nebenbei konsumiert, weshalb diese Medikamente in Apotheken nur sehr schwierig zu
bekommen sind. Es gibt noch einen Geheimtipp, ein Mittel, das ebenfalls
ohne Betäubungsmittelrezept zu bekommen ist, und etwa 200 Mal stärker als ASS wirkt, und das in der Drogenszene uninteressant ist, weil es nicht berauscht, sondern die Wirkung von Opiaten sogar teilweise noch neutralisiert und somit für Beikonsum absolut ungeeignet ist. Da es hauptsächlich in der Anästhesie eingesetzt wird, hat die Dorf-Apotheke sowas in der Regel aber auch nicht vorrätig. Susi meinte, und ich ging unter Abwägung von Nutzen und Risiko d’accord, dass das Mittel der Wahl das einzige Opioid sein sollte, das in allen Darreichungsformen mit normalem Repept verordnungsfähig ist.

Ich rollte also in die Apotheke, deren Türen trotz sonntäglichen Notdienstes offen waren, und sagte der anwesenden Apothekerin meinen Wunsch und fummelte dabei die Plastikkarte meiner „Handwerkskammer“ aus dem Portmonee. Bevor ich sie auf den Tisch legen konnte, begann sie zu lachen und sagte: „Das bekommst du hier nicht. Kannst gleich wieder abschwirren, sonst ruf ich die Polizei.“ – Ich erwiderte: „Na, na, was sind das denn für Töne?“ – „Ich diskutiere nicht!“

Sehe ich wirklich so mies aus? Ringe unter den Augen, glasiger Blick,
Haare nicht gewaschen, nur mit Sporthose und Hoodie bekleidet. Aber selbst wenn, könnte man das dann nicht vernünftig sagen? Wer gibt ihr das Recht, mich zu duzen, selbst wenn ich von Betäubungsmitteln abhängig
sein sollte? Ich legte meinen Ausweis auf den Tisch. Sie nahm ihn, guckte sich den an: „Sind Sie das?“ – „Jetzt ist aber gut.“ – „Wofür brauchen Sie das?“ – „Für mich selbst. Ich habe starke Schmerzen, die auf die …“ – „Haben Sie es denn schon mal mit Ibuprofen versucht? Verstehen Sie es nicht falsch, aber Sie sind doch noch sehr jung.“ – „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“ – Sie ging kopfschüttelnd durch ihre Apotheke und kam mit einer Flasche zurück. „Mit größten Bedenken“, sagte sie. „Das ist die größte Größe, die ich vorrätig hab. Macht [knapp 20 Euro].“

50 Milliliter dürften mehr als reichen. Und ob sie Bedenken hat, war mir jetzt auch ziemlich egal. Hauptsache ich hatte keine. Als ich wieder
zu Hause war, packte ich mich sofort wieder ins Bett. Einzeldosis sollten maximal 40 Tropfen sein. Ich dache mir, ich würde mal mit 5 Tropfen beginnen. Das klingt zwar homöopathisch, aber das Mittel setzt ja ganz woanders an. Und? Zehn Minuten später: Was für eine Wohltat. Die
Schmerzen waren weg. Komplett weg. Ich fühlte mich wie neu geboren. Ich
las noch eine halbe Stunde lang etwas, um sicher zu sein, dass nicht irgendwelche unerwünschten Wirkungen eintreten würden, dann drehte ich mich um und pennte.

Sechs Stunden hielt die Wirkung an, dann ging es wieder los. Am jeweiligen Morgen lag die letzte Einnahme immer etwa 10 Stunden zurück –
das war nicht auszuhalten. Ansonsten keine Erkältungssymptome mehr, nur
unerträgliche Gliederschmerzen. Am Freitagmorgen habe ich zuletzt die 5
Tropfen eingenommen, seitdem nicht mehr. Seit heute fühle ich mich wieder einigermaßen passabel. Ich werde aber noch bis einschließlich Dienstag zu Hause bleiben.

Marie und Helena waren sehr lieb zu mir. Helena kam immer mit Mundschutz rein, fragte immer wieder, ob sie mir etwas bringen sollte. „Ich würde für dich auch zu [Supermarkt, der Lebensmittel liebt] flitzen
und dir ein Schokoeis holen.“ – „Das ist ganz süß von dir, aber ich habe gar keinen Appetit. Möchtest du dir eins holen?“ – „Nee. Was anderes auch nicht? Ein leckeres Stück Kuchen? Saure Gummitiere? Obstsalat? Einen Gurkensalat aus dem Kühlschrank? Eine fettige Pizza? Gar nix zu machen?“

Nee. Wenn ich krank bin, bin ich krank. Wasser ist okay, Maries Suppe
zwischendrin war auch sehr lecker, aber alles, was ich hätte kauen müssen, hätte meinen Appetit überfordert. Heute habe ich schon wieder zwei Stunden in der Sonne gesessen und Weintrauben genascht. Mittwoch wird mich der Frühdienst wiederhaben.

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