WC oder nicht WC?

Ich weiß, dass es ein Thema ist, dass erfahrungsgemäß viele Fetischisten anzieht. Genau aus dem Grund habe ich es, wie die älteren Häsinnen und Hasen unter meinen Leserinnen und Lesern sicherlich mitbekommen haben, zuletzt bewusst vermieden. Es ist nervig, wenn ich merke, dass meine Herausforderungen zur Luststeigerung anderer beitragen; die sich dann noch nicht einmal klar dazu bekennen können, sondern dann noch unter abenteuerlichen Geschichten einschlägige Fragen stellen. Insofern seht es mir bitte nach, dass ich die Kommentare unter diesem Beitrag noch strenger moderieren lasse, als ich es ohnehin schon mit Bezug auf das Thema mache.

Darüber schreiben muss ich aber. Für mich. Und auch für alle die, die sich nicht trauen, dieses Tabuthema anzusprechen. Den Anlass lieferten zwei aktuelle Social-Media-Beiträge von anderen Menschen, die im Rollstuhl sitzen. Und ich muss sagen: Ich erlebe ja viel, aber ich habe echt mal wieder mit dem Kopf schütteln müssen.

Bei einem ging es um ein defektes Klo im Zug, über das sich offiziell beschwert wurde, und wo dann der offizielle Ratschlag ausgeteilt wurde, man hätte ja vorher pullern gehen können. Was genauso diskriminierend ist wie die regelmäßige Weigerung eines Zugverkehrsunternehmens, Menschen mit Behinderung mitzunehmen, wenn das oftmals einzige barrierefreie WC im Zug defekt ist.

Dazu möchte ich mal meine Sichtweise anmerken: Wann jemand pullern geht, ob zu Hause, im dreckigen Bahnhof oder im dreckigen Zug, ist seine Entscheidung. Lenkt also nicht davon ab, dass ihr es nicht schafft, Zugmaterial einzusetzen, das den allgemeinen Anforderungen an die Barrierefreiheit genügt. Und wenn ihr das schon macht, dann hängt gefälligst ein Schild an den oft einzigen barrierefreien Eingang, dass das Klo defekt ist. Dann kann ich nämlich für mich entscheiden, ob ich mitfahren möchte oder nicht. Die Entscheidung kann ich aber alleine treffen. Das muss mir das Zugverkehrsunternehmen nicht abnehmen – schon gar nicht in Hörweite anderer Leute.

Das Argument, ihr könntet ja verklagt werden, wenn ihr mich mitnehmt, obwohl das WC defekt ist, das sei auch schon so geschehen, lasse ich nicht gelten. Die Lösung, die der Richter im Kopf hatte, war sicherlich nicht diejenige, dass künftig Menschen mit Behinderung nicht mehr Zug fahren können. Sondern die, dass das zu funktionieren hat. Und wenn nicht, müsst ihr das rechtzeitig mitteilen und im Bedarfsfall denjenigen
rauslassen. Wisst ihr aber eigentlich auch. Und wenn ihr dann doch verklagt werdet und unterliegt, dann ist das wohl nicht anders, als wenn ich mit einem Auto ohne Scheinwerfer am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme, frei nach eurem Motto: Solange die Sonne scheint, besteht nur ein geringes Risiko.

In einem anderen Social-Media-Beitrag ging es um einen abgelehnten Rollstuhl. Oder einen zumindest teilweise abgelehnten Rollstuhl. Die junge Dame mit fortgeschrittener Muskeldystrophie ist motorisch sehr stark eingeschränkt, fährt im Elektrorollstuhl und profitiert von einer (zugegebenermaßen nicht ganz günstigen) Funktion, die sie aus der Sitz- in die Stehposition bringt. Künftig zu teuer für die Krankenkasse, zumindest solange, wie sich die junge Dame nicht lautstark zu Wort meldet. Als die junge Frau der Krankenkasse erklärte, dass ihr dadurch auch das Übersetzen auf eine Toilette unterwegs erleichtert werde, soll die Mitarbeiterin der Krankenkasse geantwortet haben, sie könne sich ja Windeln anziehen.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wer da was geraucht hatte, aber es dürfte doch eigentlich keine zwei Meinungen darüber geben, dass es meine höchstpersönliche Entscheidung ist, ob und wann ich mit eine Windel anziehe, oder? Was für eine Grenzüberschreitung ist dieser Ratschlag bitte? Und, was noch hinzu kommt, soll die Versicherte etwa ihre Windeln selbst einkaufen, weil die Krankenkasse keine entsprechende Funktion des Rollstuhls bezahlen möchte? Ja, ich weiß, Windeln können auch „zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“ verordnungsfähig sein. Aber bezahlt die Krankenkasse sie dann auch? Nein. Zumindest keine, mit denen
man wirklich an der Gesellschaft teilnehmen könnte.

Fast alle Krankenkassen haben seit Jahren Verträge mit einem (oder mehreren) Anbietern. Diese verpflichten sich (vereinfacht ausgedrückt), an die Patienten der Kasse zu einem bestimmten Preis zu liefern. Und damit da der bestmögliche Gewinn abfällt, macht man einfach Folgendes: Man schränkt die Produktauswahl auf ein, zwei, wenige (günstige und den Mindeststandards genügenden) Noname-Produkte ein, begrenzt die Anzahl der monatlich ausgegebenen Artikel auf ein bis drei pro Tag und macht eine Mischkalkulation, bei der auch diejenigen Versicherten berücksichtigt werden, die nur eine kleine Vorlage brauchen, weil höchstens mal ein paar Tröpfchen abgehen, wenn sie niesen. Also die, die für 4 Euro im Monat optimal versorgt werden können (weil sie zudem meistens noch schnell in der Drogerie ein Päckchen für 7 Euro dazu kaufen).

Nachdem es davon ein paar Millionen Menschen deutschlandweit gibt, fallen natürlich diejenigen auf, die saugendes Inkontinenzmaterial für 100 Euro pro Monat gebrauchen könnten. Wenn man ein sinnvolles Produkt in ausreichender Menge bereitstellt. Die Krankenkassen zucken die Schultern und verweisen auf die Verträge, die Vertragspartner sagen: Ihre Kasse zahlt nur 10 Euro pro Monat. Die anderen 90 Euro müssen Sie selbst zahlen. Was falsch ist, denn der Händler hat sich bei der Erstellung der Mischkalkulation verpflichtet, auch die teuren Fälle einzubeziehen und diese dann auch optimal zu beliefern. Was natürlich nur in der Gesamtschau ein Gewinn sein kann und nicht auf den Einzelfall bezogen.

Aber unabhängig davon, dass adäquate aufsaugende Inkontinenzmittel über die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland kaum zu bekommen sind, ist es doch wohl auch hier ein absolut übergriffiges Verhalten, Menschen offiziell anzuraten, sich doch eine Windel anzuziehen, weil so Gelder für eine bessere Ausstattung eines Rollstuhls gespart werden können. Wenn überhaupt kein Sparzwang besteht und an anderer Stelle viel
Geld für wesentlich fragwürdigere Dinge ausgegeben wird.

Ja, Windeln sind ein Thema bei vielen Menschen mit Behinderung. Auch für jene Menschen darunter, die eigentlich aufs Klo kämen. Es aber nicht können, weil entweder kein Klo da ist oder weil vorhandene öffentliche Toiletten defekt, verdreckt oder nicht barrierefrei erreichbar sind. Als bekennende Teilzeit-Pamperspisserin bin ich einerseits froh, dass es wirklich gute Produkte gibt, die diesen Umstand aus der öffentlichen Wahrnehmung heraushalten. Und die inzwischen so gut sind, dass zumindest ich damit locker umgehen kann und mich nicht erniedrigt fühle. Es ist aber trotzdem eigentlich ein absolutes Unding, dass unsere Gesellschaft es in der heutigen Zeit nicht schafft, adäquat Barrieren abzubauen.

Ich habe gerade mal mein Adressbuch durchgeblättert. Ich bin aktuell mit 32 Rollstuhlfahrerinnen befreundet. Bei 18 von ihnen weiß ich, dass sie regelmäßig prophylaktisch auf aufsaugendes Inkontinenzmaterial zurückgreifen, weil sie es sonst nicht zuverlässig bis zum Klo schaffen.
In fast allen Fällen ist das zu Hause, wenn ein Klo in unmittelbarer Nähe ist, nicht nötig. Sicherlich kann man nicht alle körperlichen Einschränkungen adäquat ausgleichen und sicherlich bleiben in der Öffentlichkeit gewisse Wege bis zur nächsten Toilette. Aber regelmäßig defekte Zugtoiletten (ja, ich weiß worüber ich schreibe) und der Verweis
auf Windeln zur Einsparung bei techischen Hilfsmitteln sind inakzeptabel.

Bleibt nur noch zu erwähnen, dass die junge Frau inzwischen ihren Rollstuhl vollständig bewilligt bekommen hat. Ob das am öffentlichen Druck lag oder an der verspäteten Einsicht, lasse ich mal dahingestellt.


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