Gedanken

Mich fast man im Moment am besten nicht mal mit der Kneifzange an. Weiß ich selbst. Am besten fühlt sich niemand persönlich angepisst, wenn
ich dazu was sage. Ich will niemanden verletzen. Aber ich bin auch kein
kleines Kind mehr, dem man vom Weihnachtsmann erzählt, damit es artig ist, oder dem man einen Lolly gibt, und die Welt ist wieder in Ordnung.

1. Ich werde nie einen vernünftigen Job machen können. Ich habe aber auch noch nie in irgendeine Rente etwas eingezahlt. Wovon soll ich leben? Ein Leben lang auf Kosten anderer?

2. Ich werde nicht mehr bei meinen Eltern wohnen können. Ich muss mir
eine völlig neue Umgebung suchen. Mit oder (vermutlich eher) ohne Eltern.

3. Ich werde nicht mehr auf meine alte Schule gehen können. Ich komme
da nicht rein, und ich bin aus dem Stoff völlig raus. Kein Abi, mittendrin abgebrochen. Gute Voraussetzungen für Punkt 1, siehe oben.

4. Meine Freunde haben mich schon abgeschrieben. Was wollen wir zusammen machen? Ich komme in keine Kneipe mehr rein, in keine Disko. Und wenn ich in der Disko bin, was soll ich da drin? Tanzen?

5. Ich kann mich nicht mal alleine im Bett umdrehen. Ich brauch ein halbes Dutzend Kissen, damit meine Beine so liegen, dass sie nicht wund liegen. Ich brauch jemand, der mir beim Duschen hilft, der mich ins Bett
bringt, der mir aus dem Bett hilft, ich piss und kack mich an wie ein Baby. Ich krieg ständig irgendwelche bekloppten Spastiken, so dass meine
Beine anfangen zu zittern. Wenn ich auf Klo sitz, muss ich mit einem Handschuh im Arsch fummeln, um zu Kacken. Dafür furz ich den ganzen Tag zu den unpassensten Gelegenheiten. Alles andere wollt ihr nicht wissen. Welcher mann will mich?

6. Ich mag meinen Körper nicht mehr. Es ekelt mich an, meine halbtoten eiskalten Beine anzufassen, um sie irgendwo hin zu bewegen. Es
fühlt sich widerlich an, die Beine nicht mehr zu spüren, außer Schmerz.
Sie fühlen sich an wie eingeschlafen oder abgestorben.

7. Andauernd nerven mich Leute, die mit mir Geld verdienen wollen. Wie die Schmeißfliegen machen sie hier Werbung für Rollstühle, Katheter,
Windeln, Einbauküchen, Bettlaken, Pflegebetten, einfach alles. Inzwischen schmeiß ich die schon raus bevor sie Luft geholt haben.

8. Die Versicherungen wollen nicht zahlen. Wahrscheinlich muss ich mich erstmal Jahre lang mit denen anlegen. Die Kraft habe ich einfach nicht.

Ich versuche, irgendwie damit klar zu kommen. Egal wen man fragt, keiner hat dafür eine Lösung. Alle sagen: Sie müssen Ihren eigenen Weg finden, damit klar zu kommen. Wenn ich Ihnen einen Weg nenne, sind Sie zwei Monate glücklich und danach suchen Sie wieder neu. Klasse.

Und gerade wenn ich einen Funken Hoffnung habe, weil man der Trulla, die mich platt gefahren hat, mal so richtig ans Bein pissen kann, schreibt mir jemand: Übrigens, wir wollten Ihnen sagen, dass Sie ein Krüppel sind. Schöne Grüße.

Das soll ich so wegstecken? Tut mir Leid, vielleicht wird man ja mit der Zeit abgewichster, aber ich hätte diese Ansage heute morgen nicht unbedingt gebraucht. Ich weiß auch so, wie beschissen das alles ist.

Wenn Du aus dem Urlaub kommst und hattest eine schöne Reise und kommst zu Hause an und packst die Dreckwäsche aus und findest noch eine Prise Sand und etwas Seegras und draußen prasselt der Regen aus dem einheitsgrauen Himmel, dann kullern dir (dir? mir ja!) die Tränen übers Gesicht und du würdest am liebsten in den nächsten Flieger steigen, zurück an den Strand und in die Sonne. Du packst dich im Nacken und ziehst dich raus und sagst: Der nächste Urlaub kommt bestimmt. Du hast ein Ziel vor Augen und ganz viele Bilder auf dem PC: Irgendwann kommt der nächste Urlaub, und der wäre nicht so schön, wenn er Alltag wäre.

Ich liege jetzt hier seit 7 Monaten in einer Spezialklinik und realisiere, dass mein Alltag der Urlaub war und kein neuer Urlaub mehr kommt. Und vor allem bin ich in den falschen Flieger „nach Hause“ gestiegen. Da wollte ich nie hin! Ich befinde mich in einem unbekannten Land, kenne mich nicht aus und muss mich durchbeißen. Und dann kriegt man einen Brief: Willkommen in Ihrer neuen Welt. Diesen Stand haben Sie in ihr. Sieht übel aus, oder? Aber trotzdem alles Gute für Ihren weiteren Weg.

Scheiße.

Am unerträglichsten sind im Moment die 1000 Begegnungen mit alten Freunden, die mal gucken und mich mal besuchen wollen. Jeder guckt mich an mit versteinerter Miene und sagt: „Oh mein Gott, was hast du denn gemacht?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert