Von Models und von Currywürsten

Ich bin im Moment im Krankenhaus. Seit über 7 Monaten. Ich liege in einem Zweibettzimmer, aber das zweite Bett ist seit einigen Tagen leer. Also bin ich alleine. Auch mal schön.
Ich habe eine Tante. Eigentlich ist sie nicht wirklich meine Tante.
Sie ist die Schwester meiner Oma. Aber ich habe sie immer „Tante“ genannt. Sie ist 64 und Rentnerin. Sie macht den ganzen Tag nichts anderes als sich mit Freundinnen in einem Cafè zu treffen und Kuchen zu essen oder mit ihren ehemaligen Kolleginnen Karten zu spielen. Soll sie.
Meinen Segen hat sie. Aber ihr ganzes Leben beschränkt sich nur auf diese 5 bis 10 Leute und einer ist spießiger als der andere. *abläster*
Sie kommt mich immer mal besuchen. Ok. Freu ich mich auch. Sie bringt aber auch fast immer eine von ihren … sie nennt sie „Karten-Damen“ … mit. Angeblich, weil sie gerade einen Spaziergang gemacht haben und hier vorbei gekommen sind. Das kann ja auch sein. Aber
ich habe eher das Gefühl, sie erzählt allen Freundinnen von mir – was ja auch ok ist – und die wollen mich dann mal sehen. Wär auch ok. Aber ich kenn die überhaupt nicht!!! Und die wollen eben nicht besuchen und Anteil nehmen und reden, sondern ich hab das Gefühl, das geht nur um Sensation und neue Sachen zum Tratschen und Maul zerreißen.
Ich kann das kaum beschreiben. Vielleicht bin ich auch paranoid oder schizophren oder gaga. Aber ich fühle mich wie ein Affe im Zoo. Heute war wieder so ein Tag. Ich hatte heute morgen um 8.30 Uhr eine Stunde KG und gleich danach eine Stunde Bewegungsbad. Samstags morgens ist das immer geballt, weil nur bis mittags noch jemand da ist bei der Therapie. Danach sollte ich aufs Bett zum Entlasten. Damit es keine Druckstellen gibt, soll ich Po und Oberschenkelrückseite regelmäßig entlasten. Gerade nach dem Wasser. Eine Schwester hat mir geholfen, aufs
Bett und dann natürlich untenrum alles ausziehen, weil sonst kann es sein, dass man auf einer Falte liegt (von der Hose) oder auf einer Naht oder so und dann bringt das genau das Gegenteil. Ist halt alles noch sehr empfindlich. Decke drüber und auf dem Scheiß Touchscreen eine lange
Mail beantwortet.
Plötzlich – klonk – springt die Tür auf. So halb. Kein Klopfen. Ein
Kopf kommt zum Vorschein. Eine Frau, die ich nicht kenne. Sie fragt: „Ist das hier?“ Dahinter eine Stimme: „Das ist hier. Geh doch mal rein.“
Die stimme kannte ich, die gehört der besagten Tante. Die kommen reingewackelt und in dem Moment, wo ich schon beide im Zimmer stehen hab, klopft die Tante demonstrativ an die Tür und sagt: „Stören wir? Dürfen wir reinkommen?“
Ich geb die Hand und sag: „Ganz kurz, ich möchte nur eben meinen Brief abspeichern, den ich gerade geschrieben habe. Das dauert 30 Sekunden, sonst ist er nachher weg.“ Sagt die Tante: „Kannst du das nicht später machen?“
„Wir haben uns gedacht, wir wollten dich zum Mittagessen einladen. in der Kantine gibt es so leckere Erbsensuppe mit Würstchen, aber du magst die bestimmt nicht. Aber ich habe mir das so überlegt, ich hole dir dort eine Currywurst. Wie denkst du?“ Ich sag: „Das hört sich gut an. Ich muss mich dann nur noch schnell hier vom Mittag abmelden.“ Ich wollte zum Telefonhörer greifen und die Schwester anklingeln (die haben immer so ein schnurloses Ding in der Tasche), aber da meinte die Tante: „Das hab ich eben schon mit ihr geklärt. Die ist sehr nett. Brauchst da nicht mehr anrufen.“
Ich sag: „Ich muss die sowieso anrufen, weil sie mir aus dem Bett helfen muss.“ Da sagt die Tante wie ein Vorwurf: „Kannst du das immer noch nicht alleine?“
Ich sag: „Nee, stell dir vor. Das wird bei diesem Bett auch nie was
werden, weil das viel zu hoch ist.“ (Das ist nämlich eins mit einer besonderen Luftkissenmatratze, und das kann man nicht runter stellen. Bei anderen Betten oder bei der KG kann ich das aber schon, mich alleine
umsetzen.) Da sagt sie: „Wir können dir ja helfen, lass mal die Schwester, die hat genug zu tun.“
„Wie geht es denn deinen Beinen?“ Und klappt die Bettdecke über den
Füßen weg. Aus Reflex halte ich sie natürlich obenrum fest. Die Tante sagt wieder vorwurfsvoll: „Hast du gar nichts an???“ Ich werde natürlich
dunkelrot im Gesicht. Das ärgert mich jetzt noch. Ich sag: „Doch ein T-Shirt!“ Aber ich hatte auch Null Bock, da noch was zu erklären. Dann sagt sie: „Das finde ich aber nicht gut! Aber du bist ja alt genug, zu wissen was du tust.“
Keine Ahnung, was sie gedacht hat. Wenigstens hat sie die Decke nicht ganz weg gezogen. Dann hab ich die Decke wieder zugeklappt und gesagt: „So, lass mich mal die Schwester anrufen.“ Dann drückt doch die andere Tussi, diese „Kartendame“ auf die Klingel. Bis da hat sie noch kein Wort gesagt, dann kam: „Ich musste auch mal lange im Krankenhaus liegen. Aber die Klingeln sind überall die gleichen, lustig.“
Ja, sehr lustig. Ich wollte die Schwester bitten zu kommen, wenn sie Zeit hat. Klingeln heißt „Notfall“, und das klingelt dann nicht bei der Schwester, sondern in der Zentrale als Alarm. Kam gleich ne Stimme aus dem Lautsprecher: „Hier ist die Zentrale. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Ich gleich zurück gebrüllt: „Sorry, da ist nur jemand gegen den
Knopf gekommen. Tut mir Leid.“
Dann hab ich doch noch telefoniert, und dann kam die Schwester rein. Heißt Kirsten, wird aber Kiki genannt. Keine Ahnung, warum. Ist ne
ganz ganz ganz Liebe Anfang 20. Sagt meine Tante zu ihr: „Das tut mir Leid, dass sie extra kommen müssen. Wir wollten ihr helfen, aber sie wollte das nicht. Wie das eben so ist in dem Alter.“
Kiki sagt: „Nee dafür sind wir ja da. Wenn sie mal einen Augenblick
auf den Flur gehen?“ Sagt meine Tante: „Wir gehören zur Familie.“ Ey, hallo…
Sagt Kiki: „Bitte warten Sie draußen.“ Sagt meine Tante: „Achso, sie hat noch keine Hose an. Und nimmt meine Sporthose vom Stuhl und kommt damit angewackelt und gibt sie mir.“
Dann sagte die Karten-Dame: „Komm, wir warten draußen.“ Dann musste
Kiki erstmal die Tür hinter den beiden zumachen, am liebsten hätten sie
noch geguckt, ob ich im Schritt rasiert bin oder ein Piercing im Bauchnabel habe.
Als ich dann rauskam, kam Kiki mit dem Laken hinter mir her. Die beziehen das ständig neu, da braucht nur ein Krümel drauf sein. Sagt doch meine Tante: „Oh, hast du das Bett schmutzig gemacht?“
„Sollen wir schieben?“ – „Nein danke, ich kann alleine fahren.“ – „Wir schieben sonst auch gerne, dann musst du dich nicht anstrengen.“ – „Nein, bißchen Bewegung tut mir gut.“ Was macht sie? Schiebt mich trotzdem. Ok. Widerstand zwecklos. Unten am Fahrstuhl treff ich meine Sporttherapeutin. Auch ne ganz Liebe. Hat Feierabend. Sagt sie: „Na, jetzt aber nicht bequem werden zum Wochenende!“ Hat meine Tante nicht verstanden.
Die Kantine ist auf der anderen Seite vom Krankenhaus. Man muss einmal durch das ganze Gebäude. Das sind locker 15 Minuten, wenn man langsam geht. So langsam wie meine Tante. Die Gänge sind so breit, dass da zwei Betten aneinander vorbeikommen. An der Wand lehnen zwei und unterhalten sich. Meine Tante sagt: „Vorsicht, hier kommt ein Rollstuhl!“
Wir sitzen beim Essen und diese Kartendame fängt an zu fragen. Aber
alles bis ins Letze! Sogar ob ich einen Freund habe, wollte sie wissen.
Ich hab gesagt: „Nein.“ Und da meinte sie: „Aber du findest einen, da bin ich mir sicher. Nicht alle Männer wollen Models.“ Alter Schwede!!! Ich hab immer nur geschluckt und gedacht: Ihr habt keine Ahnung. Bringt nichts, sich aufzuregen. Und hab immer nur „Jaja“ gesagt.
Keine Ahnung, worüber wir noch alles geredet haben. Ich hab nur noch auf Durchzug geschaltet. Besuch der Verwandtschaft kann sooo toll sein…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert