Ein Kaffee für einen Schulplatz

Ich habe auf den Rat der netten Sachgebietsleiterin in der Schulbehörde gehört und bei dem Gymnasium mit Schwerpunkt „Pädagogik/Psychologie“ angerufen und gefragt, ob ich mir die Schule ansehen dürfte. „Dürfen Sie gerne, nur die Bewerbungsfristen für das kommende Schuljahr sind schon lange abgelaufen.“ Ich habe erstmal nichts gesagt, sondern habe mich heute auf den Weg gemacht.

Ich wollte mich auf der Station abmelden, brauche von der Ärztin einen Ausgangsschein. „Wo sollen wir denn so schnell eine Begleitung für Dich herkriegen?!“ – „Nix Begleitung, ich fahr alleine.“ Zack.

„Sicher?“ – „Sicher.“ Herzklopfen. Durchdringende Blicke der Stationsärztin. Genaue Musterung. Dann die Erlösung: Sie zückte den Stift. Nichts wie raus. Ich hatte Glück und habe den Schnellbus erwischt, der bis zum Hauptbahnhof durchfährt. Von dort weiter nach Eppendorf – und dort traf mich der Schlag. Die Schule habe ich auf Anhieb gefunden, aber ich dachte, die sei rollstuhlgerecht?! Stufen, Treppen, Altbau … ich fass es nicht. Wollen die mich alle nur verarschen?

Ich bin ins Geschäftszimmer gerollt, dorthin kam ich wenigstens. „Ich wollte mir eigentlich mal das Gebäude ansehen, weil ich noch eine Schule suche.“ – „Da kommen Sie aber reichlich spät, die Bewerbungsfristen sind schon abgelaufen.“ – „Ich komme jetzt direkt aus dem Krankenhaus und habe ein Jahr dort gelegen. Ich werde jetzt bald entlassen und möchte weiter zur Schule.“

Der Oberstufenleiter wurde angerufen und kam sofort aus dem Nebenzimmer. Auch er redete von Bewerbungsfristen. Dass das Haus gar nicht rollstuhlgerecht ist, erwähnte er mit keinem Wort. Ich erzählte ihm von meinem fast einjährigen Krankenhausaufenthalt. Er sagte: „Ich habe jetzt eine halbe Stunde für Sie. Lassen Sie uns reden. Wir müssen nur einen Raum finden, in mein Büro kommen Sie nicht rein.“ Die Angestellte aus dem Geschäftszimmer sagte, dass alle Räume im Erdgeschoss belegt seien. „Sie kommen jetzt extra vom Krankenhaus hierher, oder?“ Ich nickte. Er biss sich auf die Unterlippe.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Schräg gegenüber ist ein Bäcker. Ich lade Sie schnell auf einen Kaffee ein und dann reden wir dort.“ Dem Oberstufenleiter fielen fast die Augen aus. Dachte er, ich wollte ihn bestechen? Es sollte nur eine nette Geste sein! Er schluckte. Nickte. Sammelte einige Blätter zusammen und wir gingen los.

Ich erzählte ihm von meiner bisherigen Schule, von meinem Unfall, vom Krankenhaus, von der Situation mit den Eltern, von meinen WG-Plänen, dass ich Abi machen möchte, dass ich mir schon etwas in Richtung Pädagogik vorstellen kann im späteren Berufsleben oder Studium, dass ich, falls ich mir das anders überlegen sollte, auf jeden Fall mein Abi habe und vielleicht noch das eine oder andere lerne, um meine persönliche Situation besser in den Griff zu bekommen, …

Und nebenbei erfuhr ich auch, dass in „meinem“ Jahrgang noch zwei weitere gehbehinderte Schülerinnen sind, eine auch im Rollstuhl, dass die Schule ab nächstem Schuljahr in einem 100% rollstuhlgerechten Neubau, direkt an einer U-Bahn-Station untergebracht ist, dass ich zwei Büchersätze bekommen kann, um nicht so viel schleppen zu müssen, dass ich mein von der Unfallkasse vorgegebenes maximales Stundenpensum einhalten darf (wenn ich denn zu Hause nacharbeite), dass ich einen unterfahrbaren Tisch bekomme, und und und.

Den Kaffee und den Kakao hat er bezahlt. Er war davon nicht abzubringen. „Sie dürfen sich anmelden. Sie haben mich überzeugt, eine Ausnahme zu machen. Wissen Sie, was genau mich überzeugt hat?“ Ich schüttelte den Kopf. „Der Kaffee. Das ist mir selten passiert, dass eine Schülerin vor mir mein Problem gelöst hat.“ Ich grinste. Und fühlte mich geschmeichelt.

Ich habe den Schulplatz.


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