Immer mal wieder erzähle ich gerne von den besten Sprüchen, die man sich als Rollstuhlfahrerin der Öffentlichkeit so anhören muss. Über die Ursachen und Hintergründe, warum Menschen in für sie unbehaglichen Situationen (als unbehaglich empfinden halt viele Menschen, wenn etwas in ihrer Nähe ist, was für sie nicht alltäglich ist und sie verunsichert) merkwürdig reagieren, habe ich schon sehr oft nachgedacht und auch das eine oder andere Mal schon etwas dazu geschrieben, viel mit Freundinnen und Freunden darüber diskutiert – aus meiner Sicht bleibt es ein sonderbares Phänomen.
So komme ich aus einem Geschäft auf die Straße, als mich eine Frau, etwa 35 Jahre alt, schwarze Hautfarbe, aufdringlich nach Parfüm riechend, anspricht und mir eine Visitenkarte in die Hand drückt, mit den Worten: „Hier sind Spezialisten, die Leuten wie Sie ein würdevolles Leben ermöglichen.“ Ich war so perplex, dass ich die Karte nicht angenommen, sondern nur den Kopf geschüttelt und mich aus dem Staub gemacht habe. Den Namen der Organisation habe ich mir dennoch gemerkt und zu Hause nachgeschlagen. Es handelt sich um eine Gesellschaft für selbstbestimmtes Sterben. Allerdings war diese Visitenkarte abgegrabbelt, so dass ich vermute, dass diese Frau keine offizielle Vertreterin dieser Organisation war, sondern lediglich … ja was? Mit mir ins Gespräch kommen? Mir ernsthaft helfen? Keine Ahnung. Jedenfalls ist ja völlig unpassend, dass sie von einem „würdevollen Leben“ spricht, wenn es um das Sterben geht. Ich vermute sehr, dass sich die Organisation von dieser Frau distanzieren würde, insofern spare ich mir gleich, den Namen zu nennen.
Ein anderes Mal stehe ich am Hauptbahnhof und warte auf zwei Freundinnen. Zusammen wollen wir shoppen gehen. Laura, die erste Freundin, eine „Fußgängerin“, trifft ein. Wir müssen noch auf die dritte warten. Laura möchte nicht so lange stehen und setzt sich auf meinen Schoß. Kurze Zeit später werde ich von einem Mann des Bahn-Sicherheitsdienstes angesprochen, ich möge bitte aufstehen, man mache so etwas nicht. Ich gucke ihn ungläubig an und frage: „Was macht man nicht?“ – „Na, Behinderten den Sitzplatz wegnehmen!“ Nachdem Laura aufgestanden war, forderte er mich erneut auf, aufzustehen. Ich fragte: „Wem nehme ich denn den Sitzplatz weg?“ – „Na ihr“, sagte er und deutete auf Laura. Im weiteren Gespräch klärte sich dann auf, dass das mein Rollstuhl ist und Laura laufen kann.
Heute waren wir auf dem Hamburger Dom (Volksfest), nein, es gab keine Krawalle anlässlich des St.-Pauli-Fußballspiels nebenan, als wir wegen eines Regenschauers in einer Wurstbude warteten. Plötzlich spricht uns ein wildfremder Mann an, ob wir kein Zuhause hätten. Simone und Cathleen haben ihn gleich ignoriert, ich habe ihn etwas verdattert angeschaut. Ja, sagt er, notfalls hätte er noch ein Zimmer frei, nur müssten wir uns das teilen. Aber es sei warm und trocken. Ich lehnte dankend ab.
Auf dem Rückweg stand in Altona eine Frau, die gerade einen Staubsauger im dortigen Elektronikmarkt gekauft hatte, im Aufzug. Sie musterte uns von oben bis unten und von unten bis oben. Auf dem Bahnsteig, als wir auf unsere Bahn warteten, sprach sie uns an. Sie sei Modeberaterin oder Modedesignerin oder ähnliches, habe auch Kunden, die im Rollstuhl sitzen, und müsse unbedingt Simone einen Tipp geben. Simone trägt sehr viele Klamotten, die von ihrer Mutter selbst genäht werden. Außerdem hat sie einen sehr individuellen Geschmack. Nicht übertrieben und überwiegend schlicht und unauffällig, aber es gibt immer einen absolut schrillen Hingucker. Das kann ein Kleid sein, unter dem sie eine Leggings trägt, die an einem Bein rot und an dem anderen Bein grün ist,
das kann eine schwarze Umhängetasche mit einer pinken Spinne drauf sein – heute waren es Sneaker mit neongelben bzw. neonorangen Schnürbändern. Die Frau meinte, das sei sehr unvorteilhaft, weil sie damit ihre Behinderung so sehr betonen würde. Simone runzelte nur die Stirn und meinte: „Äh… ja. Danke für den Tipp.“
Es wird doch nie langweilig, weil zwischen den üblichen Sprüchen (nicht so schnell, da vorne wird geblitzt; guck mal, die machen einen Ausflug) doch immer noch mal wieder etwas überraschendes ist, was Leute wie ich noch nicht gehört haben.