Noch immer ist kein Ende in Sicht. Ncoh immer darf ich nicht nach Hause, sondern muss weiter auf einem Luftkissenbett liegen und werde auch weiterhin noch intensiv überwacht. Warum, weiß ich nicht, vermutlich gibt es für das Gerät gerade keine andere Verwendung. Allerdings werde ich inzwischen nicht mehr isoliert, sondern habe eine Mitpatientin in meinem Zimmer liegen.
Sie kommt hier aus der Gegend. Dass der sächsische Dialekt gerade Hamburgern, die ja auch einen oft als platt und primitiv empfundenen Dialekt sprechen, gerne im Ohr weh tut, ist eine Sache. Dass die Frau aber so strunzdumm ist, dass ich sie am liebsten pausenlos schütteln würde, ist eine andere. Ich habe nichts gegen einfache Gemüter oder Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Nur diese Frau erzählt mir den ganzen Tag, wem sie am liebsten was in die Fresse hauen würde, wem alles
sie die Meinung geigt, welche Menschen aus ihrem Umfeld welchen Blödsinn verzapft haben – und ist ständig auf Krawall gebürstet.
Wenn das Mittagessen kommt, schaut sie unter den Deckel und stellt fest, dass sie nur drei und keine vier kleinen Kartoffeln hat. Nun weiß jeder, dass die Schwestern genug zu tun haben, also kann man, wenn die das später wieder abräumen, fragen, ob sie noch einen Apfel haben oder sowas, weil man noch Hunger hat, und ob es möglich wäre, künftig größere
Portionen zu bekommen. Stattdessen bimmelt sie und wenn die Schwester reinkommt, pöbelt sie sofort drauf los, es sei hinreichend bekannt, dass
sie vier Kartoffeln haben möchte und wenn sie die nicht sofort bekäme, würde sie das Essen durch das geschlossene Fenster werfen.
Kurz darauf bekommt sie dann noch ein Schälchen mit Kartoffeln. Dann sagt sie: „Sehen Sie, geht doch. Dass man sich aber auch immer erst aufregen muss! Dabei ist soviel Aufregung für uns alle doch gar nicht so
gut! So, jetzt dürfen Sie auch essen gehen. Hihi, war ein Scherz, Sie müssen ja arbeiten.“
Gestern wollte sie unbedingt eine Birne statt einem Apfel. Es gab aber nunmal keine Birnen. Dann kam ihre Mutter zu Besuch und dann hat sie doch allen Ernstes ihre Mutter zum Supermarkt geschickt, eine einzelne Birne kaufen. „Nicht zwei, die zweite wird mir hier schimmelig!“ Und die ist auch noch so doof und macht das.
Sie versucht die ganze Zeit, mit mir ins Gespräch zu kommen, ich blocke das immer gleich ab und pack mir mein iPod ins Ohr, auch ohne Musik. Das geht mir so derart auf den Keks, dass ich hier noch irre werde. Den ganzen Tag läuft der Fernseher, aber permanent solche stumpfsinnigen Sendungen. Talkshows mit so Themen wie: „Heute rechnen wir ab, Du Hure“ oder „Räum Dein Zimmer auf oder Du bist nicht mehr meine Tochter.“ Es gibt dafür extra Kopfhörer, nur dreht sie den Ton so laut, dass sie die Kopfhörer auf den Nachttisch legen kann und so hört, was da geredet wird – in entsprechend mieser Soundqualität und mit Belästigung der Umwelt.
Ihr ewiges Gebimmel nach den Schwestern wegen jedem Blödsinn hat zur Folge, dass wenn ich Hilfe brauche, erstmal eine Viertelstunde niemand kommt. Neulich ist nachts meine Bettdecke aus dem Bett gerutscht, so lag
ich eine Viertelstunde frierend und bibbernd im Bett, weil ein Fenster noch auf Kipp stand. Irgendwann habe ich mir dann mein Kopfkissen auf den Bauch gelegt, damit es zumindest irgendwo warm bleibt. Drei andere Male habe ich das ganze Bett vollgepisst, weil niemand kam. Ich darf ja nicht aufstehen (würde es auch nicht mal schaffen, aus diesem Bett rauszukommen), muss mich dann kathetern, komme aber an diese Katheter auch nicht dran, vor allem, wenn ich auf dem Bauch liege und mich nicht selbst drehen kann auf diesem weichen Luftkissen, das endlos nachgibt. Also habe ich irgendwann ganz brav einen richtig großen schönen See gemacht. Weil man ja absolut gerade liegt und sich das Bett an die Körperkonturen anpasst, verteilt sich die ganze Brühe daraufhin gleichmäßig zwischen Busen und Schienbein. Aber immerhin wird es nicht kalt, weil die Luft unter der Hüpfburg, auf der ich liege, ja auf Körpertemperatur angewärmt ist. Aber ich habe mal irgendwo gelesen, dass
Harnstoff gut für die Haut ist.
Seit drei Tagen bekomme ich regelmäßig Besuch von einem Mädel in meinem Alter, das ein paar Türen weiter liegt und wegen einer Stelle am Fuß (sie hat eine angeborene Querschnittlähmung) in stationärer Behandlung ist. Die ist sehr nett, sie macht eigentlich sonst eine Ausbildung zur Bürokauffrau; mit ihr kann ich mich ganz gut unterhalten.
Sie bringt mir zwischendurch was vom Kiosk mit und organisiert hier ständig irgendwas für mein Wohlbefinden. Auf dem Gelände gibt es eine Kantine, gestern mittag, als es hier nur Linsensuppe gab (die ich überhaupt nicht vertrage), hat sie uns beiden Spaghetti bolognese von dort geholt. Keine Delikatesse, aber essbar und 1000 Mal besser als diese Suppe. Sie liegt zusammen mit einer 15-jährigen in einem Zimmer, wo sogar noch ein Bett frei wäre. Nur leider kann dort mein Bett nicht stehen, sonst hätte ich mein Zweierzimmer gegen ein Dreierzimmer eingetauscht – ohne diese blöde Bettnachbarin. Der Grund ist die Statik des Gebäudes. Mein Luftkissenbett ist so schwer, dass es nur an bestimmten Stellen stehen darf.
Pech gehabt. Nun hoffe ich, am kommenden Montag endlich mehr zu erfahren. Da ist nächste Chefarzt-Visite und dann könnte sich entscheiden, wann ich nach Hamburg darf. Ich hoffe, bereits irgendwann in der nächsten Woche. Bis ich ganz nach Hause komme, werden auf jeden Fall noch mindestens 14 Tage vergehen. Schöne Scheiße.