Virtuell und real: Ein kleiner Vergleich

Wenn ich mir meine Kommentare und meine Mails mal so durchlese, darf ich selbstbewusst (und ohne den Anlass eines „runden“ Postings) zusammenfassen: Einigen meiner Leser imponiert mein Umgang mit meiner Behinderung. Andere begeistert meine Reife. Wieder andere lieben meinen Schreibstil, noch andere sind von meinem Urin fasziniert, sobald er nicht ins Klo läuft. Diese breite Mischung wurde, als ich noch nachts gechattet habe, noch ergänzt von den Träumen einiger sehr netter Jungs, die gerne mal mit mir fi***n wollten. Sogar auf dem Küchentisch. Ob ich das gerne getan hätte oder nicht, spielt, glaube ich, keine Rolle. Ich fand die (seriös geführten) Chats darüber durchaus reizvoll. Es kam real
jedoch nicht dazu. Ich spreche von einer virtuellen Welt. In der virtuellen Welt kennen mich meine Leser (bis auf die wenigen aus meinem realen Leben, die wissen, dass ich blogge) nur so, wie ich mich selbst sehe und beschreibe. Ich versuche, mich vollständig und ehrlich zu beschreiben. Selbstverständlich kann man aus dem Geschriebenen sehr viel
ableiten. Selbstverständlich kann man sehr viel zwischen den Zeilen lesen. Vielleicht lernt man einen Menschen durch sein Geschriebenes sogar besser kennen als wenn man ihn „live“ erlebt.

Dennoch habe ich heute versucht, für mich festzuhalten und zu benennen, wie meine realen Freunde mich sehen. Die meisten von ihnen haben selbst eine (ähnliche) Behinderung. Viele von ihnen sitzen selbst im Rollstuhl. Oder kennen viele Leute, die im Rollstuhl sitzen. Imponiert diesen Freunden mein Umgang mit meiner Behinderung auch? Ich denke: Ja. Sehr oft bekomme ich mit, wie sie mich loben, direkt oder indirekt, und dass sie mit mir zufrieden sind. Ich fühle mich gut integriert, habe den richtigen Rollstuhl, komme den Bordstein hoch, die Rolltreppe rauf und runter, kann schwimmen, kann über mich lachen, wenn ich mich mal wieder behinderter anstelle, als ich eigentlich bin – ich glaube, eine derartige Behindi-Prüfung würde ich auf Anhieb bestehen.

Allerdings sind meine realen Freunde nur höchstens halb so begeistert
von meiner oft und gerade in Mails gelobten Reife. Viele meiner unmittelbaren Freunde sind erheblich fitter als ich. Oft komme ich mir dumm vor, fühle mich ungebildet, habe keine Ahnung, worüber sie sprechen. Ob etwas so sein darf, wie es ist, ob etwas ein absolutes No-Go ist und warum, kann ich oft nicht richtig beurteilen. Wenn ich beispielsweise mit Sofie durch die Stadt fahre, macht sie mich auf Dinge
aufmerksam, die mir überhaupt nicht aufgefallen wären. Das kann ein Druckfehler in einem Schild sein, wie der Rollstuhl im Bus aufzustellen ist, das kann eine mahnende Ansprache sein, dass man meine Worte auch anders (nämlich auf unverschämte Art und Weise) verstehen könnte. Ich fühle mich oft überfordert und unreif. Nicht, dass ich darunter leide, denn meine Freunde gehen nicht besserwisserisch mit mir um. Zum Glück. Aber ich fühle, dass ich noch ganz, ganz viel lernen muss.

Bliebe da noch mein Schreibstil. Deutsch 14 Punkte. Bekommt man nicht, wenn man nicht schreiben kann. Oder nur sehr schwer. Glaube ich. Egal. Mich freut, wenn er virtuell gefällt. Wenn ich gerne gelesen werde, schreibt es sich einfacher.

Und mein Urin? Ich überlege gerade ernsthaft, ob es auch in meinem realen Leben Fetischisten in meinem Umfeld gibt. Auch wenn ich noch so lange überlege, ich glaube, aktuell gibt es keinen. Nun, ich weiß nicht,
ob Sofie und Frank oder Lina und Liam nachts die Lederpeitsche oder die
Uniform rauskramen, aber mit Pipi spielt da, glaube ich, niemand rum. Zweifelsohne ist der Umgang mit dem Thema wesentlich offener als in meinem Leben vor meiner Behinderung. Wäre ich früher vor Scham im Boden versunken und wäre es früher ein großes Drama unter meinen Freunden gewesen, wenn ich mir in die Hose gemacht hätte, würde ich heute allenfalls einen flapsigen Kommentar ernten und vielleicht noch einen darauf rausgeben. Und es gibt wohl keine Frage, die ich meinen engen Freundinnen und Freunden zu diesem Thema nicht stellen dürfte, wenn die Gedanken dazu doch mal zu ernst werden sollten.

Wäre also nur noch zu klären, ob im realen Leben jemand mit mir schlafen möchte. Und da kommen wir dann zum deutlichsten Unterschied zur
virtuellen Welt: Irgendwie nicht. Es ist ja nicht so, dass ich es absolut nötig hätte. Geschweige denn, dass ich wüsste, ob und wie es bei
mir funktioniert. Aber manchmal, wenn ich alleine im Bett liege und mit
meiner Bettdecke kuschel, hätte ich schon gerne einen knackigen Typen auf mir liegen, der … lassen wir das. Bevor hier jemand die „Melden“-Flagge hisst.

Was ich jedoch im realen Leben merke: Viele Jungs, gerade ältere, stehen eher nicht auf das selbstsichere, intelligente Mädel, sondern eher auf das schüchterne, leise, zerbrechliche, hilfsbedürftige. Mit einer ernsthaften Diskussion bekommt man eher keinen Mann aus meinem „Beuteschema“, um mit Marcs Worten zu reden, um den Finger gewickelt. Eher mit der Frage, ob jemand meinen Schlüssel gesehen hat. Oder ihn bitte vom Fußboden aufheben könnte. Macht aber nichts. Ich bin flexibel.
Und habe aufgegeben, darüber nachzudenken, ob ich mich mit auf die Stufe stellen möchte.

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