Blanker Egoismus

Unsere WG hat seit heute zwei Leute weniger. Lina und Liam sind ausgezogen, nachdem sie kurzfristig ihre Beziehung als beendet erklärt haben. Die Trennung kam innerhalb von drei Stunden. Davor waren sie über
2 Jahre zusammen.

Liam sagt, er hätte gerne Sex mit einer anderen. Lina war nicht einverstanden. „Wollen wir uns dann lieber trennen?“ – „Ja.“ So ungefähr ist das abgelaufen. Kein Streit, keine Tränen.

Anfangs wollte er in der WG wohnen bleiben, erstmal alleine, später sollte dann diese oder eine andere neue Flamme nachträglich einziehen, zum Glück hat Liam uns gebeten, darüber abzustimmen, ob wir damit einverstanden wären. Das Ergebnis war nämlich sehr eindeutig: 100% Nein.

Mit Lina habe ich mich meistens sehr gut verstanden, mit Liam anfangs auch. In den letzten Monaten wurde es jedoch immer schwieriger. Schwieriger, ihn zu ertragen, und schwieriger, ihm etwas zu sagen. Vielleicht bewirkt es ja was, hier darüber zu schreiben. Das zentrale Problem war und ist sein Egoismus. Es ist ja nicht so, dass er sich nicht um andere kümmert. Im Gegenteil, wenn man ihn bittet, hilft er auch.

Aber Zurückhaltung und Bescheidenheit sind für ihn zwei Fremdwörter. Auch kann er sich nicht in die Bedürfnisse und Gefühle anderer Menschen hineinversetzen. Teilweise kann er sie noch nicht mal nachvollziehen. Für ihn gilt, was irgendwo geschrieben wird. Was er aber nicht gelten lässt, ist, dass es auch „ungeschriebene Gesetze“ gibt. Obwohl meine Eltern heute komisch sind, haben sie mir beigebracht: Wenn sechs Leute an einem Tisch sitzen und aus der Schüssel mit Eis auf dem Tisch kann man 12 Portiönchen rauskratzen, bekommt jeder zwei Portionen. Auch wenn jeder gerne drei oder vier hätte, jeder bekommt zwei.

Bei Liam ist es so: Er greift als erster nach der Schüssel, notfalls mit List und Tücke oder nimmt sie anderen aus der Hand, füllt sich sechs Portionen auf, wartet ab, ob jemand was sagt und antwortet dann: „Oh, war wohl etwas viel. Tschuldigung. Hihihi.“ Neulich hat Cathleen zum Grillen eingeladen. Alle aus der WG plus ein paar ihrer Freundinnen aus Schule und Sport. Hatte für abends noch eine DVD ausgeliehen und Knabberkram und Gummibärchen besorgt. Die standen in der Küche, bereits in Schüsseln umgefüllt. Das darf man halt nicht machen, wenn Liam in der Nähe ist, sonst nimmt er nämlich die Schüsseln, in denen das drin ist, was er am liebsten mag, schonmal mit in sein Zimmer. Und es ihm eben nicht peinlich. „Ist doch genug für alle da“, wäre ein passender Kommentar.

Wenn man sich mit ihm verabreden wollte, wollte er sich grundsätzlich alles bis zum letzten Moment offen halten. Niemand wusste, was Phase ist. Alle anderen haben sich irgendwann entschieden und festgelegt, er nicht. Liam erwartete, dass alle anderen entsprechend flexibel sind, damit er sich ganz zum Schluss das für sich beste heraussuchen konnte. Irgendwann sind wir innerhalb der WG dann dazu übergegangen, ihn nicht mehr zu fragen und ihn nur noch einzubeziehen, wenn tatsächlich noch ein Platz (z.B. im Auto) frei ist.

Ich finde es sehr erschreckend, dass man so eine Beziehung nach zwei Jahren plötzlich so beendet. Aber wenn man eben das Bedürfnis hat, jemand anderen zu ficken, sollte man vorher klare Verhältnisse schaffen. Bis gestern sind wir alle zwar noch davon ausgegangen, dass die beiden glücklich miteinander sind, aber … egal. Ich glaube, ich möchte mich nicht weiter mit diesen Gedanken beschäftigen.

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