Vergessene Rollis

Wunderbar in die Reihe der Begegnungen der dritten Art fügt sich auch noch ein Ehepaar ein, das wir gestern in einer Therme, demselben Schwimmbad, in dem ich am letzten Wochenende doch nur Mitleid
erhalten habe, kennenlernen durften. Ich möchte natürlich nicht, dass mein Blog zu einem Mecker-Blog wird oder meine Leser über Kurz oder Lang
den Eindruck bekommen, ich würde nur noch von Idioten erzählen oder mein Leben nur noch als Dasein zwischen merkwürdigen Leuten verstehen. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir jede Menge Spaß dabei hatten, unseren verhinderten Saunabesuch nachzuholen.

Jana, Cathleen, Simone, Sofie, Frank und ich sowie Laura, eine laufende Freundin von Jana, hatten einen tollen Tag, kräftig geschwitzt und vor allem uns trotz aller Anstrengungen, die so ein paar Saunagänge mitbringen, gut erholt. Es war erstaunlich leer dort, böse Zungen könnten behaupten, es lag an uns, und so hatten wir verschiedene Saunen,
ein kaltes Schwimmbecken, Ruheräume und Bar einige Male komplett für uns alleine.

Den Vogel abgeschossen hat allerdings, und das muss ich einfach aufschreiben, weil es nicht nur mal wieder zeigt, dass die schräg denkenden Menschen eben nicht in einer zu vernachlässigenden Minderheit sind, sondern auch, weil die Situation so urkomisch war, dass ich sie im
Nachhinein eigentlich nicht vergessen möchte, ein Ehepaar, beide schätzungsweise Mitte bis Ende 60, das uns zunächst in einem warmen Pool
des textilen Bereichs herumdümpeln sah.

Man muss dazu erwähnen, dass wir selbstverständlich nicht mit Rollstühlen ins Wasser gehen und auch unsere Alltagsrollstühle in der Schwimmhalle verwenden. Über das Sitzkissen kommt ein wasserdichter Bezug. Die alternativ bereitgestellten Duschrollstühle sind in aller Regel nicht zum Selbstfahren geeignet. In das Schwimmbecken gelangt man,
indem man sich von der Sitzfläche nach vorne vor den Stuhl auf den Fußboden (oder besser auf die Kante des Schwimmbeckens) setzt und sich hineingleiten lässt. Idealerweise machen das alle Rollifahrer nacheinander, während der nächste jeweils den frei gewordenen Rollstuhl zur Seite stellt, damit nicht alles vollgeräumt ist. Allenfalls der letzte Rolli steht dann noch im Weg, nur hatten wir ja noch eine Fußgängerin mit, die dann auch diesen noch zur Seite schieben konnte. Insofern parkten sechs Rollstühle brav unter den Palmen neben einer Wand
und warteten auf ihren Wiedereinsatz.

Der erwähnte Typ sprach mich auf eine Entfernung von rund drei Metern
laut an, ob ich wüsste, wer denn die ganzen Rollstühle dort an den Rand
gestellt hätte. Offensichtlich war dieses Ehepaar erst seit wenigen Minuten überhaupt in der Anlage. Nun kann man sich fragen, was er mit der Frage bezweckt, denn eigentlich kann ihm das ja egal sein; man kann sich fragen, ob er sich nicht denken kann, dass die Stühle zu den Personen gehören, die da gerade schwimmen; man könnte aber auch meinen, er wollte wissen, welche von den sieben Personen laufen kann, denn es stehen ja nur sechs Rollis da und im Wasser schwimmen sieben Leute. Da ich aber nicht wusste, wer welchen Stuhl an die Seite gestellt hatte, schüttelte ich -wahrheitsgemäß- mit einem dümmlichen Lächeln auf den Lippen den Kopf. Und damit nahm das Schauspiel seinen Lauf. Er sagte: „Hm. Das ischa gediegen. Die müssen doch zu irgendwem gehören! Nicht, dass die hier jemand vergessen hat!“

Ich tickte Sofie an, die sich gerade mit Jana unterhielt. Sie schaute
mich an. „Sag mal, Sofie, weißt du, wem diese ganzen Rollstühle gehören?“ – Sie sah den Typen, der mit fragender Miene inzwischen direkt
neben mir stand, und fragte: „Was denn für Rollstühle?“ – Der Typ erwiderte: „Na die da am Rand. Die muss ja irgendjemand vergessen haben!“ – Sofie blickte nach links und nach rechts, als suchte sie irgendwas, dann antwortete sie: „Nö. Keine Ahnung. Stehen die denn im Weg?“ – Der Typ antwortete hektisch: „Nein nein, nur vielleicht muss man
mal jemandem Bescheid sagen, der die da wegschiebt! Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so erlaubt ist.“

Achso. Erlaubt. Sofie sprach Frank an, der sich eigentlich auch gerade unterhielt. „Frank, weißt du vielleicht, wer die ganzen Rollstühle hier vergessen hat? Der Herr macht sich Sorgen, ob das so erlaubt ist.“ – Frank zeigte, ohne eine Miene zu verziehen, auf die Rollstühle und fragte dumm: „Die dahinten?“ – Sofie und der Typ nickten im Takt. Frank fuhr fort, ohne mit der Wimper zu zucken: „Ja, das kann ich dir sagen. Die sind von diesen Behinderten, die sie vorhin hier rausgeworfen haben wegen dem Sonntags-Schwimmverbot.“

Der Typ war naiv und dumm und … und machte nur große Augen. „Sonntags-Schwimmverbot?“ – Frank antwortete: „Ja! Die Behinderten dürfen doch seit einiger Zeit sonntags nicht mehr Schwimmen gehen. Da ist doch neulich so eine neue Verordnung rausgekommen, weil das ja auch meistens sonntags so voll ist und irgendwann will man ja auch einfach mal seine Ruhe haben und nicht ständig überall Rücksicht nehmen müssen. Gerade so in Thermen und Saunen und so. Das reicht ja, wenn man das unter der Woche überall hat.“ Dann lehnte er sich nach vorne und sagte leise hinter vorgehaltener Hand: „Einer von denen hatte sich sogar eine Frikadelle mit reingebracht und wollte sie hier im Becken essen.“ Dann lehnte er sich wieder zurück und schüttelte leicht empört mit dem Kopf.

Der Typ starrte ihn mit offenem Mund an, dann schluckte er. Der glaubte Frank jedes Wort. Jana fuhr fort: „Das hab ich auch gelesen. Ich
glaube nur, dass das auch dadran liegt, dass sie immer zum Wochenende neues Badewasser einlassen und die wollen nicht gleich am ersten Tag, dass alles wieder dreckig wird.“ Der Typ nickte noch aufgeregter. Frank fuhr fort: „Ja, viele Behinderte waschen sich ja auch nicht. Können
sie oft ja auch gar nicht richtig. Aber wenn denn solche Leute sich in so ein Becken setzen…“ Frank schüttelte sich einmal. „Mag man gar nicht drüber nachdenken.“ Der Typ lehnte sich zurück und sagte: „Ja ja, es ist
nicht alles gut, was die modernen Tage so mit sich bringen.“ Seine Frau
fügte hinzu: „Früher wären die auch überhaupt nicht reingekommen mit ihren ganzen Rollwagen.“

Cathleen, noch nicht mal volljährig, fügte nachdenklich hinzu: „Das waren noch Zeiten.“ Niemand verzog eine Miene. Einen Moment später ging der Typ aus dem Wasser, fasste an Janas Rolli an die Rückenlehne, rüttelte dran und meinte: „Steht auch kein Name dran oder so. Ich werde dem Bademeister mal Bescheid sagen.“ Er und seine Frau verschwanden. Zwei Minuten später kam tatsächlich ein Bademeister zu uns und fragte, ob wir einen Rolli zu viel hätten. Ein Typ sei zu ihm gekommen und habe etwas von einem herrenlosen Rollstuhl gefaselt. Frank schüttelte den Kopf und meinte, es sei alles in Ordnung. Damit endet der erste Akt.

Der zweite Akt des Schauspiels begann, als wir das Ehepaar im textilfreien Bereich wiedertrafen. Und zwar nach einem Saunagang in einem nicht allzu warmen Außenschwimmbecken. Der Typ schwamm auf Frank zu und sagte: „Sie haben uns aber schön verkohlt. Aber das geschieht uns
ganz recht, wir hätten ja selbst mal darauf kommen können, dass die Rollstühle zu ihnen gehören.“ – Frank erwiderte diplomatisch: „Das wäre zumindest recht naheliegend gewesen.“ – Der Typ konnte es aber nicht sein lassen mit seiner dummen Fragerei und wollte wissen: „Sie sehen aber alle gar nicht so behindert aus! Keinem fehlt ein Bein oder gar zwei.“

„Oder drei“, fügte Sofie hinzu und Frank grinste, genau wissend, worauf sie anspielte. Inzwischen war ich aber kurz davor, den Typen einmal durchschütteln zu wollen. Ob eher dünne Beine wegen fehlender Muskeln, großer Rückennarbe oder beidem zusammen – irgendwie kann man doch … ach vergiss es! Es ist so hohl! Der Typ sagte: „Nein, aber mal im
Ernst: Haben Sie so Prothesen?“

Würde man dann im Rolli fahren? Würde man mit denen Schwimmen gehen? Argh!!! Wenn Leute bloß nicht immer so viel Stuss labern würden. Nicht auskennen ist ja eine Sache, aber dann noch mitreden wollen und sich dabei so überhaupt nichts vorstellen können – das nervt! Frank deutete auf Sofie und sagte: „Sie hat ihre neulich verloren beim Schwimmen. Dann
trieben plötzlich zwei Beine im Wasser rum. Das gab ein Geschrei, sage ich ihnen.“ Der Typ glaubte ihm schon wieder. Zumindest für zwei Sekunden, dann runzelte er die Stirn.

Ich nutzte diese Denkpause für das Finale: „Sag mal Frank, weißt du eigentlich, ob das Wasser gechlort ist?“ – Er antwortete ernst: „Ich glaube schon, wieso?“ – „Ich hab grad aus Versehen ins Wasser gestrullert und nun hab ich Angst, dass alle anderen sich anstecken und demnächst auch im Rollstuhl sitzen müssen.“ Ich zog eine ängstliche Miene und biss mir auf die Unterlippe. Cathleen und Simone verschluckten
sich schon vor Lachen. Der Typ ging kopfschüttelnd davon. Vermutlich wird er ab sofort nicht mehr an die guten Geister dieser Erde glauben und beim nächsten Hexenschuss an mich zurückdenken.

Danach war eine Bombenstimmung. Wehe, jetzt spielt hier einer den Moralapostel. Dann erzähl ich nie wieder was..

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