Frustrierte Behinderte

Vor genau einer Woche habe ich bei unserem Vermieter angerufen. Nein, nicht wegen der Frage, wann Jana endlich einziehen darf, das liegt
ja nicht an ihm, sondern am Wohnungsamt (ja, immernoch), sondern weil die Sammel-Entlüftung des Hauses defekt ist.

In den Küchen gibt es Dunst-Abzugshauben und in einigen Bädern Abluftschächte, die alle zusammen in einen Raum geführt werden, in dem ein riesiger Ventilator steht, der den gesammelten Mief nach draußen befördert. Dieser Raum befindet sich unter dem Dach des Hauses. Und aus diesem Raum kommen seit einiger Zeit merkwürdige Geräusche. Ein unregelmäßiges Stampfen, durchschnittlich einmal pro Minute, manchmal über zwei Minuten gar nicht, dann wieder im Abstand von fünf Sekunden drei, vier Mal hintereinander. Es dröhnt durch das ganze Haus und hört sich an, als würde beispielsweise eine Aufzugskabine auf einen Gummipuffer im Schachtsockel auffahren und die dabei entstehenden Schwingungen durch irgendwelche Metallträger durch den ganzen Schacht übertragen werden. Irgendetwas hydraulisches, schweres, das fest an Metallträgern angebracht ist und unregelmäßig wiederkehrend finale Bewegungen macht.

An der verschlossenen Metalltür zu dem Raum steht ein Schild, das auf
einen elektrischen Betriebsraum hinweist. Die Geräusche kommen sicher aus diesem Raum, wenn man direkt davor steht, hört man passend zu diesem
Stampfen lautes Klacken. Als würde ein großes Relais schalten. Klick-Klack, Bumm, Klick-Klack. Und dann wieder eine Zeitlang nichts, dann wieder Klick-Klack, Bumm, Klick-Klack. Tag und Nacht, permanent. Und dieses „Bumm“ hört man durch das ganze Haus. Nervtötend. Die Lüftung
funktioniert ansonsten jedoch einwandfrei.

Wie gesagt, vor einer Woche hatte ich bereits beim Vermieter angerufen. Da dieses Geräusch nicht aufhört, dachte ich mir, frage ich mal nach, wann man mit einer Reparatur rechnen kann.

„Welche Entlüftungsanlage?“ – „Na, ich hatte vor einer Woche bei Ihnen angerufen, weil hier im Haus […] die Entlüftungsanlage defekt ist.
Aus dem Raum, in dem der Lüfter steht, kommen laute Geräusche, die sehr
stören.“ – „Hatten Sie da schonmal angerufen?“ – „Ja, wie gesagt, vor genau einer Woche.“ – „Moment mal.“

Wartemusik.

„Hören Sie? Da war der Hausmeister vor Ort, der hat aber nichts feststellen können.“ – „Hm. Und nun?“ – „Was ‚und nun‘?“ – „Naja, wie geht das jetzt weiter?“ – „Ich verstehe nicht ganz.“ – „Es geht um die Entlüftung hier im Haus, da ist irgendwas defekt.“ – „Ja, das sagten Sie
bereits.“ – „Ja, und ich fände es gut, wenn das repariert werden könnte.“ – „Ja, wie ich Ihnen schon sagte, der Hausmeister war vor Ort und hat keinen Fehler feststellen können.“

„Ja, nur damit ist das Problem ja jetzt nicht gelöst.“ – „Komisch ist
nur, dass Sie die einzigen sind, die glauben, dass da etwas defekt ist.
Der Hausmeister hat die Entlüftung bei Ihrer Nachbarin kontrolliert, die funktioniert einwandfrei. Und Sie hängen an demselben Strang.“ – „Es
geht ja nicht um die Entlüftung…“

Sie unterbrach mich. „Nicht? Ich denke, davon reden wir die ganze Zeit. Sie wissen aber schon, warum Sie hier anrufen?“ – „Nun werden Sie mal nicht frech.“ Im Hintergrund hörte ich jemanden „Na, na!“ sagen. Die
schien besonders kiebig zu sein. Ich fuhr fort: „Es geht nicht darum, ob die Luft aus der Wohnung gesogen wird, das funktioniert einwandfrei. Es geht um das Gerät, das unter dem Dach steht, das ist defekt und macht
laute Geräusche. Und das nervt.“ – „Ja, wie schon gesagt, der Hausmeister hat sich das angesehen und konnte keinen Fehler feststellen.
Wir können da leider nichts machen.“

„Naja, wir waren doch oben mit mehreren Leuten und haben das gehört, dass das eindeutig aus diesem Raum kommt.“ – „Sie kommen da oben doch gar nicht rein.“ – „Man hört es laut und deutlich im Hausflur!“ – „Ja, wie gesagt, der Hausmeister war dort und hat nichts feststellen können.“
– „Der hätte doch mal klingeln können und dann wären wir dort gemeinsam
hochgefahren. War er denn in dem Raum drin? Dann hätte er das doch hören müssen.“ – „Ich gehe schon davon aus, dass der Herr … seine Arbeit
ordentlich macht. Hören Sie, wir haben hier wirklich viel zu tun. Die Lüftungsanlage ist in Ordnung, mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

Dann wurde der Hörer unsanft aufgelegt. Normalerweise (ISDN) erübrigt
sich damit das Auflegen für mich. Im Display erscheint für 3 Sekunden „hat aufgelegt“, dann legt mein Telefon automatisch auf und ich erspare mir das Drücken der roten Taste (schnurloses Telefon). Nur dieser Hinweis kam nicht. Wollte sie mir noch etwas sagen oder hatte sie das Telefon weitergereicht? Ich lauschte noch einmal in den Hörer und wurde unfreiwillig Zeuge, wie die Kollegin, die kurz zuvor schon „Na, na!“ gesagt hatte, die Mitarbeiterin ziemlich ruppig zusammenfaltete.

„Sag mal, weißt du eigentlich, mit wem du da gerade telefoniert hast?“ – Eine dritte Stimme sagte: „Mensch, Karin, lass sie leben, sie fällt noch unters Jugendschutzgesetz.“ – „Ist mir doch egal, unter was sie fällt. Aber ich finde es zum Kotzen, so mit einer Kundin zu sprechen, die bei uns anruft, weil sie möchte, dass wir ihr helfen. Und dann sowas, ich könnte dich, du.“ – „Ich habe doch extra im Hausmeisterbuch nachgeguckt und da steht ‚vor Ort keine Feststellungen‘.
Ich dachte doch bloß…“ – „Du dachtest? Wenn du gedacht hättest, hättest
du nicht so einen Scheiß gebaut! Weißt du eigentlich wer das ist? Das ist eine 18 Jahre alte Frau, sitzt im Rollstuhl, und sie wohnt in einer unserer Wohnungen. Und sie zahlt dein Gehalt. Selbst wenn der Hausmeister da vor Ort nichts gefunden hat, dann muss der da eben noch einmal rausfahren und sich das zeigen lassen! Du kannst sie doch aber nicht so behandeln als wäre sie bescheuert!“ – „Der Chef hat gesagt, wir
sollen keine unnützen Kosten verursachen.“ – „Richtig. Und unnütze Kosten wären zum Beispiel, wenn sie ihre Miete um 50% kürzt, weil sie nachts kein Auge mehr zukriegt. Da wohnt ein Anwalt mit in der Wohnung. Die Leute sind doch nicht dumm!“ – „Der Hausmeister war aber schon da! Hier steht es! ‚Vor Ort keine Feststellungen.‘ Was ist denn, wenn da wirklich nichts ist und die sich das nur ausdenkt, um sich wichtig zu machen oder weil sie frustriert ist wegen ihrer Behinderung und einfach was sucht zum Rummeckern?“ – „Dann gibst du dem Chef einen Hinweis, dass
du glaubst, dass das so ist, und dann soll der entscheiden, wie es weitergeht. Dir steht so eine Entscheidung nicht zu. Und jetzt rufst du da an und entschuldigst dich, von mir aus sag ihr, du hattest gerade zu viel auf einmal zu tun, und da kommt selbstverständlich der Hausmeister nochmal raus! Und dann soll er dort klingeln und sie ihm das zeigen.“

Spätestens jetzt war es an der Zeit, aufzulegen. Das Gespräch war nicht für mich bestimmt, aber wenn schon weltweit geheime Daten an die Öffentlichkeit gelangen … hatte dieses „Leck“ immerhin den Nutzen, dass ich nicht umsonst zwei Stunden lang eine böse Mail an ihren Chef schreiben musste. Die Auszubildende (?) entschuldigte sich zwar nicht telefonisch, dafür stand aber eine Stunde später der Hausmeister auf der
Matte. Und zeigte mir ein Dokument, auf dem stand: „Entlüftung prüfen.“
Nicht mehr, nicht weniger. Er sagte: „Das habe ich beim ersten Mal mitbekommen. Ich habe in der Nachbarwohnung geschaut, bei Euch war niemand zu Hause. Dass es um Geräusche aus dem Raum oben ging, konnte ich ja nicht riechen.“

Wir fuhren gemeinsam nach oben. Als er die Tür öffnete, hörte man schon das Klicken und das Stampfen, das durch das ganze Haus dröhnte. Es
handelte sich um einen mechanischen Verschluss, der durch eine elektrisch gesteuerte Hydraulik offen gehalten wird. Bei Ausfall der Lüftung oder bei Auslösen der Brandmeldeanlage / Rauchmelder werde die Stromzufuhr unterbrochen, der Druck der Hydraulik sinke schlagartig ab und die Verschlussklappe falle durch eine mechanische Feder zu. Dadurch werde sichergestellt, dass bei einem Brand kein Kamineffekt entstehe. Diese Hydraulik überprüfe sich einmal pro Tag von selbst durch Schließen
und Öffnen der Klappe und immer dann, wenn eine Lichtschranke anzeige, dass sich etwas in der Öffnung befinde, führe diese Klappe ebenfalls einen Selbsttest durch. Um zu prüfen, ob im Brandfall alles funktioniere
oder ob das vielleicht verschmutzt ist oder sich Tiere dort hinein verirrt haben. Wenn das nicht funktioniert, werde das optisch und akustisch im Treppenhaus signalisiert. Nun müsse man prüfen, warum diese
Anlage diesen Selbsttest ständig durchführe – das ist das Geräusch, was
man im ganzen Haus höre. Wenn diese Klappe zufalle und sich dann hydraulisch wieder öffne. Das passiere innerhalb von Sekundenbruchteilen.

Der Hausmeister schaltete den ganzen Kram aus und öffnete das dazugehörige Aggregat – und stellte sehr schnell fest, dass sich ein Stück Papier in der Lichtschranke verfangen hatte. Immer wenn das durch die Lichtschranke wedelte, führte die Anlage diesen Selbsttest durch, um
zu prüfen, ob sich die Klappe schließen ließ. Und nun, als der Hausmeister diesen Fetzen entfernt hatte, lief alles wieder wie am Schnürchen. Und ich werde die erste Nacht wieder ohne Störung schlafen können. So viel zum Thema „frustrierte Behinderte“. Diese Auszubildende kann froh sein, dass ihre Kollegin sie schon zur Schnecke gemacht hat. Dadurch bleibt mir das erspart.

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