Dieses Kribbeln im Bauch

Wenn ich lange nichts schreibe, gibt es dafür meistens drei mögliche Gründe: Entweder stecke ich bis über beide Ohren in Arbeit (ja, auch Schüler langweilen sich nicht immer nur), mir geht es sehr schlecht oder mir geht es sehr gut.

Die erste Möglichkeit scheidet aus, ich will zwar nach den Ferien wieder in die Schule gehen und habe das eine oder andere nachzuholen (und damit sind nicht nur die Übungen gemeint, möglichst elegant den doppelten Stinkefinger auszufahren), die zweite auch (ich habe gerade beschlossen, dass ich erstmal oft genug im Krankenhaus war oder mich habe ärgern lassen) – also muss es die dritte Möglichkeit sein. Nein, ich muss das nicht umständlich herleiten, ich wollte nur einen Spannungsbogen aufbauen.

Ich weiß, es lesen ein paar Kinder mit, und es lesen auch ein paar Erwachsene mit, die besorgt sind, Kinder könnten mitlesen – aus beiden Gründen formuliere ich die nächsten Absätze sehr artig. Auch wenn ich mal wieder ziemlich unartig war. Gemeinhin wird ja behauptet, Ferien seien auch zum Ausschlafen da: Stimmt. Irgendwie sind Markus und ich rund eine Woche nicht aus dem Bett gekommen…

Wir haben am Anfang, vor ungefähr einer Woche, ziemlichen Stress miteinander gehabt und es wäre fast dazu gekommen, dass ich ihn abgeschossen hätte. Er gelang plötzlich zu der festen Überzeugung, mich wie ein zerbrechliches Püppchen behandeln zu müssen. Er wollte zwar mit mir ins Bett, machte sich auch über meine Lähmung und meine Blase überhaupt keinen Kopf, störte sich daran scheinbar überhaupt nicht. Aber er hatte immer, wenn es etwas lebhafter wurde, Befürchtungen, mir an der einen oder anderen Stelle weh zu tun, zu grob zu mir zu sein. Und obwohl ich das immer wieder verneinte, nahm es immer schlimmere Formen an. Bis ich ihm irgendwann sagte: „Wenn du mich jetzt nicht endlich so durchf…st wie du das bei einer nicht gelähmten Frau machen würdest, schmeiß ich dich raus. Ich will jetzt hart rangenommen werden und nicht stundenlang diskutieren. Wenn Blut spritzt, darfst du nochmal fragen, vorher nicht. Wenn mir was nicht gefällt, sage ich schon was.“

Nun wird es auch wieder Leser geben, die meinen, etwas mehr Intimsphäre sollte ich mir bewahren. Nein, das hier möchte ich erzählen, weil es mich beschäftigt: Ich mag es … ich weiß nicht, wie ich es genau nennen soll … wenn ich die komplette Verantwortung für die Situation und auch für mich abgeben kann. Wenn er einfach mit mir macht, was er mit mir machen will. Wenn er mich „benutzt“, wie er es gerne hätte. Seine Wünsche mit an mir befriedigt, ich mich dem unterordnen muss. Natürlich in einem klar definierten Rahmen. Zumindest außerhalb jeder Fantasie. Nun wird es Psychologen geben, die daraus innere Sorgen, Ängste, Wünsche und Schwächen ableiten oder zumindest konstruieren können oder mir vielleicht bescheinigen, für mein Alter zu viel Verantwortung tragen zu müssen und alles gerne mal in fremde Hände lege – kann sein, dass das so ist. Ist mir aber in dem Moment völlig egal, weil es mir damit total gut geht. Es ist sehr schön für mich, wenn er sich nimmt, was er braucht. So komisch das vielleicht klingt.

Umgekehrt, und das macht die Sache vielleicht paradox, habe ich aber auch gerne mal die völlige Kontrolle. Das heißt: Auch ein Querschnitt muss nicht zwangsläufig unten sein, sondern kann den Spieß auch prima umdrehen. Ich liebe es, wenn es mir gelingt, ihn wie selbstverständlich bis zu einem Punkt zu bringen, an dem alles kippen könnte, um dann noch eine neue Runde einzuläuten. Wie bei einer rasenden Karussellfahrt, bei der es schon unerträglich im Bauch kribbelt, als der Mann an den Hebeln und Knöpfen noch ein weiteres Mal Vollgas gibt.

Kribbeln im Bauch gibt es bei mir aber nicht nur auf dem Jahrmarkt, sondern auch, als wir nach unserem Straßentraining in der Nacht auf Sonntag im Auto schliefen. Nackt. In zwei miteinander verbundenen Schlafsäcken. Ein Radio mit MP3/USB-Stick, eine große umklappbare Viano-Ladefläche und eine Standheizung sind doch was tolles. Und wenn man dann auf einem verlassenen Parkplatz an der Elbe steht, der Vollmond leuchtet und nach und nach ein paar kaum beleuchtete Schiffe vorbei tuckern, während Jule sich nach etlichen Trainingskilometern (ja, ich darf wieder) glücklich fühlt, während ein völlig erschöpfter Markus in ihrem Arm vor sich hinschnorchelt, möchte man am liebsten die ganze Welt umarmen. Das einzige, was noch fehlt: Elbe oder Badesee sollten so warm sein, dass man morgens gleich eine Runde schwimmen kann.

Beim nächsten Outdoor-Training möchte Marie mitmachen. Mit ihrem Handbike (kein Rennbike) kurvt sie öfter mal in der City rum, vom Schwimmen ist sie (wie wohl alle Leute mit angeborener Querschnittlähmung) fasziniert. Ein paar Mal war sie beim Schwimmtraining, beim Rennrolli-Training auf dem Sportplatz war sie wohl auch zwei Mal, als ich im Krankenhaus war. Marie ist die Tochter meiner Hausärztin. Wir (Cathleen, Simone und ich) treffen uns morgen mit ihr zum Shoppen. Marie braucht auf jeden Fall einmal vernünftige Trainingsklamotten, mit denen sie ein paar Stunden überlebt. Auf dem Sportplatz geht auch mal eine halbe Stunde lang die Baumwollhose, die sich mit ihren 500 Falten in die Haut drückt. Alle die, die seit längerer Zeit regelmäßig dabei sind, dürfen sich ja über einen Sponsor versorgen, alle anderen bekommen etwas zum Selbstkostenpreis – nur der liefert nicht so schnell und Marie möchte jetzt anfangen. Schaun wir mal.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert