Kein schönes Ostertraining

Nein, natürlich habe ich nicht gemeint, dass alle Sozialpädagogen einen an der Waffel haben, als ich in der letzten Woche vom Pädagogischen Konzept schrieb. Ich finde, man muss eine Menge in meinen Text hinein interpretieren, um das herauszulesen. Allerdings mache ich keinen großen Hehl daraus, dass ich recht fest davon überzeugt bin, dass es unter Sozialpädagogen mindestens genauso viele Idioten gibt wie in anderen Berufen. Und dass ich glaube, dass idiotische Sozialpädagogen deutlich mehr Unheil anrichten können als Idioten in anderen Berufen – zumal das Unheil wohl oft erst dann auffällt, wenn vieles bereits zu spät ist und ganz offensichtlich viele Kontrollen nicht funktionieren oder zu lasch sind. Oder kann mir jemand erklären, wieso ein Gruppen-, Abschnitts- oder Einrichtungsleiter zulässt, dass Susanne zur Durchsetzung pädagogischer Ziele die eigene Mobilität noch weiter eingeschränkt wird als sie es ohnehin schon ist?

Zum Beispiel habe ich auch keinerlei Zweifel, dass Susanne alleine mit Bus und Bahn zu mir fahren könnte – oder auch zum Training. Zumal der letzte Bus direkt über den Deich fährt, auf dem wir trainieren. Trotzdem darf sie das nicht alleine und wir müssen sie zu zweit aus ihrer WG abholen. Zu zweit, damit im Notfall einer Hilfe holen kann, während sich der andere um Susanne kümmert. Kein Kommentar.

Nun hat es unser Verein auch endlich geschafft, zu der absolut geilen Outdoor-Trainingsstrecke die passende Dusch- und Umkleidemöglichkeit zu finden. Bisher war das alles recht improvisiert, doch ab sofort dürfen wir bei einem Sportverein, dessen Vereinshaus am Ende unserer Strecke liegt, duschen und uns umziehen. Und parken. Was natürlich absolut genial ist. Und wie schon gesagt, der Linienbus hält auch direkt vor der Tür. Eingefädelt hatte das übrigens der Dorfpolizist, der in der Nähe dieses Sportvereins wohnt und regelmäßig nach dem Rechten sieht, wenn wir trainieren. Ein etwas rundlicher, älterer Herr mit je drei silbernen Sternen auf den Schultern, der grundsätzlich alleine in seinem Streifenwagen sitzt und uns offenbar in sein Herz geschlossen hat. Fast jedes Mal, wenn wir nachts trainieren, taucht er auf dem Fahrrad sitzend mit seinem Hund auf, grüßt einmal und haut wieder ab.

Da in der Nacht zu Ostersonntag in dem Bereich ein Osterfeuer war, mussten wir diesmal auf die Nacht von Karfreitag auf Ostersamstag ausweichen. Wir waren gerade mitten im Training, ich auf meiner zweiten Runde mit dem Rennrolli, als ich in weiter Ferne ein Auto mit hoher Geschwindigkeit entgegenkommen sah. Das machte einmal kurz Fernlicht an, blinkte dann aber rechts, fuhr auf den Grünstreifen und schaltete das Licht aus. Es war noch mindestens einen Kilometer entfernt. Das kam mir im ersten Moment etwas merkwürdig vor. Ich verlangsamte die Fahrt und überlegte, vorher zu drehen und zurückzufahren. Immerhin war ich in dem Moment alleine und es war ziemlich dunkel. Aber einen Rennrollstuhl bekommt man nicht so einfach und schnell gewendet. Also beschloss ich, rechts auf den Parkstreifen zu rollen und auf den nächsten zu warten, der hinter mir kommen würde. Das nächste, was nach gefühlten zwei Minuten kam, war ein weiteres Auto, relativ schnell – es gehörte weder zu uns noch zu dem Fußgänger-Team, das mit uns trainierte. In etwa einem halben Kilometer Entfernung folgte diesem Auto ein Kleinbus, der zu einem der beiden Teams gehören könnte. Auf der nahezu schnurgeraden Strecke konnte man kilometerweit sehen.

Das Auto, ein Golf, fuhr an mir mit etwas überhöhter Geschwindigkeit vorbei. Als ich wieder nach vorne schaute, ging an dem Auto, das in zwei Kilometer Entfernung auf dem Grünstreifen im Dunkeln stand, das Licht wieder an. Das Auto wendete. Oder? Nein, es wendete nicht, es blieb quer auf der Straße stehen. Und plötzlich flackerte Blaulicht auf dem Dach. Häh?! Hatte der Dorfpolizist uns etwa so lieb, dass er jetzt alle Leute, die trotz „Einfahrt verboten“ die Straße passierten, kontrollierte? Um es nicht endlos spannend zu machen: Der Golffahrer hatte am anderen Ende der gesperrten Straße eine Kurve so geschnitten, dass ein Radler aus dem Fußgänger-Triathlon-Team in den Graben geschliddert ist. Außer ein paar Schürfwunden und einigen zerfetzten Klamotten ist dem aber wohl nichts passiert. Der Golffahrer hatte noch gehupt, ist aber gleich weitergefahren. Unfallflucht nennt man sowas wohl. Per Handy hatte jemand aus dem Team direkt die Polizei angerufen. Ein Begleitfahrzeug hatte den Golf verfolgt. Und der Dorfpolizist hat sich die vier Jugendlichen, die ohne Lappen unterwegs waren, gleich geschnappt und zumindest so lange festgehalten, bis seine Kollegen vom nächsten ständig besetzten Revier dort waren. Damit war allerdings auch das Training für diese Nacht erstmal beendet.

Dafür durften wir am heutigen Ostermontag zum ersten Mal draußen schwimmen. Der See, ein Baggersee, bis zu 19 Meter tief, nur rund 500 Meter breit, dafür aber rund 2300 Meter lang, hatte eine Wassertemperatur von 14 Grad. Etliche Kinder plantschten bereits im flachen Wasser, einige wenige waren auch komplett bis zum Hals drinnen, aber nie länger als wenige Sekunden, dafür war es einfach noch zu kalt. Marie, Cathleen, Simone und ich saßen bereits auf einer Decke auf dem Rasen, zogen uns bis auf die Badesachen aus, während Tatjana noch mit Yvonne, Kristina, Merle und Nadine ins Vereinsbüro wollte, weil die da noch irgendeine Wettkampfmeldung dringend faxen mussten. Es sollte angeblich nur höchstens 30 Minuten dauern, wir sollten uns so lange etwas sonnen.

Nach 20 Minuten begannen wir, uns in die Neoprenanzüge zu zwängen, inzwischen konnten wir es alleine, lediglich Marie machte es zum ersten Mal und brauchte Hilfe. Gefühlte hundert Augen glotzten uns an. Für die ganzen Kinder war es super spannend, dass ein paar Rollifahrer sich dort auf der Erde liegend in ihre Wurstpellen pressten, deren Eltern ließen für Minuten glatt ihre Campinggrills aus den Augen. Nach 10 Minuten saßen wir da, die Einteiler bis zur Brust hochgezogen, auf Tatjana und den Rest wartend. Nach weiteren dreißig (!) Minuten kamen sie dann endlich. Während die anderen sich am Auto umzogen, quetschten wir noch unsere Arme in das Ding, schlossen einander die Reißverschlüsse und warteten darauf, dass es jeden Moment losgehen würde.

Wir rollten langsam vom Rasen auf den Sandstreifen nach unten. Als wir uns wieder umsahen, waren die anderen vier immernoch am Auto. Meine Güte, brauchten die lange. Wir setzten uns schonmal in den Sand. Marie fing an, mich zu ärgern, indem sie mich so anstieß, dass ich (in Ermangelung von Oberkörperstabilität) seitlich umkippte. Sofort warf sie sich auf mich drauf und drückte mich auf die Erde. „Ich bin stärker als du“, meinte sie. Wir kämpften. Es gelang mir, sie umzustoßen und mich zumindest für einige Sekunden mit meinem Oberkörper auf sie draufzulegen, bevor sie uns ein Stück weiter rollte und wieder oben lag.
Sie war mir durch ihre niedrigere und imkomplette Querschnittlähmung körperlich eindeutig überlegen. Wir wälzten uns in dem Sand hin und her, aber ich schaffte es nicht, sie irgendwie festzuhalten. Stattdessen hatte sie mich ein paar Mal so unter sich fixiert, dass ich kapitulieren musste. Wir sahen aus wie die panierten Schnitzel. Aber wir wollten ja ohnehin gleich schwimmen.

Tatjana kam und brachte uns vier Flaschen Mineralwasser. „Damit ihr nicht völlig dehydriert in dem warmen Ding“, meinte sie fürsorglich. Sie habe ihren Neo im Auto vergessen, ergo müsse sie jetzt mit dem Kleinbus
nochmal zum Parkplatz zurück. Das würde noch weitere 15 Minuten dauern.
Die anderen kämen gleich. Wir sollten warten. Wahnsinn. Marie hatte es faustdick hinter den Ohren. Teilweise trank sie, aber zwischendurch nahm sie den Mund voll Mineralwasser, spitzte die Lippen und spuckte es in meine Richtung, mir direkt auf den Arm oder auf die Brust. Das Spielchen fanden Cathleen und Simone natürlich auch toll und so durften etliche Leute beobachten, wie vier Behinderte sich gegenseitig mit Mineralwasser bespuckten, sich in Schwitzkästen nahmen und im Sand herumrollten. Cathleen begann irgendwann, mit Matsch zu werfen und irgendwann waren wir, obwohl wir auf Tatjana warten sollten, im Wasser. Es war dermaßen arschkalt, dass mir richtig ein wenig übel wurde, als ich komplett drinnen war. Im Neo muss sich ja erstmal ein Wasserfilm bilden, bis er isoliert, und der ist erstmal so kalt wie das Seewasser.

Das Schwimmtraining dauerte nur rund 20 Minuten. Das reichte auch. Vor allem mein Kopf fühlte sich wie eingefroren an und meine Stirn fühlte sich leicht schmerzhaft an. Ich war froh, als wir endlich wieder draußen waren, die nassen Sachen ausziehen und uns abtrocknen konnten. Danach kurz gemeinsam duschen, bevor wir dann einen wunderbaren Grillabend am See hatten – es war richtig herrlich.

In der nächsten Woche sind Osterferien, ich werde die Zeit nutzen, um für meinen Test zu lernen, zwei Referate und zwei Hausarbeiten zu schreiben und intensiver zu trainieren. Das Ostertraining war irgendwie nicht der Brüller. „Nicht schön“, wie auch Cathleen fand. Dieser abgebrochene Nachteinsatz und dieses Schwimmen im Eiswasser … da wäre eigentlich mehr drin gewesen. Schwimmen in der Halle wäre jedenfalls effektiver. Auf jeden Fall möchte ich in diesem Jahr noch an mindestens einem Triathlon teilnehmen!


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