Finger klemmen

Meine Finger klemmen nicht: Zeit für eine Gute-Nacht-Geschichte. Jene von der kleinen Gretel, die wegen ihrer Behinderung immer gehänselt
wurde.

Gretel fehlte ein Finger. Sie hatte ihn verloren, als sie 3 Jahre alt
war. Damals stand sie in einer gläsernen Aufzugskabine, sah die Welt, in die die Elektronik sie in wenigen Sekunden entlassen würde, und patschte mit ihren drolligen kleinen Händen gegen die Glastür der Kabine.

Mama stand hinter ihr, war bekifft und machte am Telefon gerade die Scheidung klar, und so achtete sie nicht darauf, dass die kleine Gretel sich in wenigen Sekunden die Finger klemmen würde. Nämlich dann, wenn die Tür völlig überraschend zurückfährt, hinter der Kabinenwand verschwindet, während Gretel ihre kleinen Fingerchen feste gegen die sich bewegende Tür drückt und wie von Geisterhand mit in diesen Zwischenraum ziehen lässt.

Böse Aufzugstüre. Und so hinterhältig! Inzwischen ist Gretel ein wenig älter geworden und hat ein offenes Ohr bei einem Verein gefunden, der die technische Sicherheit überwacht.

Und so gab es zu einer Zeit in einem Land, in dem Großmütter Wölfe fressen, Schildbürger auf Amtsschimmeln durch die weite und endlose Demokratie reiten, in großen Bananenkisten den Papierfluss überqueren und sich mit zünftigen Verwaltungsakten bei Laune halten, einen Mann, der anordnete, dass überall bestimmte gläserne Aufzüge, die vor 2005 gebaut worden sind, mit einer Folie beklebt werden müssen, durch die man nicht mehr durchschauen kann.

Dann nämlich, hat er herausgefunden, patschen kleine Gretels nicht mehr an die Glastür. Schließlich gibt es dahinter ja nichts spannendes mehr. Stattdessen spielen sie lieber -plitsche platsche- in des Jägers Pipifütze auf dem Fußboden, die dadurch entstanden ist, dass von draußen
niemand mehr in die Kabine schauen kann, während der Weidmann seinen Wein ungestört in die Ecke lullert. Dafür müssen die undurchsichtigen Folien auch mindestens 5 Mal so hoch sein wie eine dreijährige Gretel.

Wie gut, dass das alles nur eine Gute-Nacht-Geschichte ist. Ich will nun wirklich ins Bett. Und ich glaube, ich nehme lieber die Treppe.

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