Behindis unter sich

Durch meinen Blog, genauer gesagt durch die Frage eines Lesers, genauer gesagt eines treuen Lesers und eifrigen Kommentators, … habe ich
in den letzten Wochen sehr intensiv über die Frage nachgedacht, ob ich in meiner Freizeit überwiegend Kontakt zu anderen Rollstuhlfahrern habe und -falls das so ist- warum das so ist. Und warum das ein häufig beobachtetes Phänomen ist oder -falls es gar kein Phänomen ist- warum dieser Eindruck, diese Beobachtung, entsteht.

Ich musste deswegen so intensiv darüber nachdenken, weil ich immernoch glaube, dass es auf diese Frage keine pauschale Antwort gibt. Ich merke lediglich, dass mein Alltag und die Gestaltung meines „Umfeldes“ von sehr vielen Faktoren beeinflusst wird, auf die ich teilweise überhaupt keinen Einfluss habe, und dass es daher einer ungeheuren Kraft bedürfte, wenn ich daran etwas ändern wollte.

Ich habe für mich nicht den Eindruck, dass ich nur oder überwiegend mit Rollstuhlfahrern zu tun habe. Im Gegenteil. In meinem Alltag kommen wesentlich mehr Fußgänger vor als Rollstuhlfahrer. Aber ich merke, dass ich in einer Stunde Stadtbummel als Rollstuhlfahrerin mehr erlebe als an
einem Tag Stadtbummel als Fußgängerin. Rollstuhlfahrer sind in unserer Gesellschaft noch immer etwas sehr eigenartiges und besonderes und viele
Leute wissen einfach nicht, wie sie damit umgehen sollen, dass in ihrer
Nähe jemand mit einer Behinderung ist. Dadurch kommt es fast permanent zu Situationen und Gegebenheiten, die man als Fußgänger nicht hat. Entsprechend mehr gibt es auch zu erzählen.

Viele Menschen, die meinen Blog lesen, schreiben und antworten mir, dass sie viele Einblicke bekommen haben, die ihnen bisher verwehrt blieben. Für die sie sich auch gar nicht interessiert hatten, denen sie überhaupt keine Bedeutung zugemessen hatten. Und damit sind oft gar nicht mal irgendwelche Super-GAUs gemeint, sondern alltägliche Begebenheiten. Wenn ich mich mit Fußgängern aber nicht ohne weiteres über alltägliche Begebenheiten austauschen kann, mit anderen Rollstuhlfahrern aber schon, liegt, glaube ich, auf der Hand, dass die Wellenlänge unter Rollifahrern oft sofort stimmt, während beim ersten Kontakt zu Fußgängern oft erstmal die Wellenlänge bestimmt werden muss.

Was nicht bedeutet, dass sich alle Rollifahrer untereinander verstehen. Sondern was bedeutet, dass der Einstieg, das Kennenlernen leichter fällt. Das verknüpft damit, dass viele Menschen mit Behinderungen auch noch weitere Probleme haben, die sich auf die Kommunikation auswirken, dass viele Fußgänger starke Berührungsängste haben und diese mit sonderbarsten Verhaltensweisen kompensieren (von Weglaufen über Volltexten, Ausfragen, Anmachen, Herz ausschütten, Bedauern, für dumm halten bis hin zu jenen Besserwissern, die mir ungefragt erklären wollen, wie der Aufzug, die Rampe, mein Rollstuhl oder gar mein Leben funktioniert), dass Gleich und Gleich sich von Natur
aus schon gerne gesellt und dass zwei Rollifahrer, die zusammen sitzen und quatschen 1000 Mal mehr Beachtung bekommen als zwei Sparkassenangestellte in zivil – ich glaube, das alles löst diesen Eindruck aus.

Vielleicht kommt auch noch dazu, dass einige nicht den Mut, die Kraft
oder die Lust haben, neue oder andere Kontakte zu knüpfen, vielleicht kommt auch noch dazu, dass viele mit dem glücklich sind, was sie haben. Und es kommt hinzu, dass jeder Mensch einzigartig ist, anders mit dem Thema umgeht, aus anderen Gründen mehr oder weniger Freunde hat. Gemeinsamkeiten kann ich also nicht so viele finden, dass man daraus schon eine „Regel“ ableiten könnte.

Ich weiß lediglich, dass ich heute mehr Freunde habe als vor meinem Unfall. Deutlich mehr, die im Rollstuhl sitzen, aber auch deutlich mehr,
die nicht im Rollstuhl sitzen. Und das finde ich gut..

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