Dass die Hannoveraner nicht die Helden sind, wenn es um die Organisation eines Trainingslagers geht, weiß ich spätestens seit dieser Aktion. Dass andere niedersächsische Vereine es jedoch auch nicht schaffen, legt die Vermutung nahe, dass es sich um ein landesweites Problem handeln könnte *stänker*. Eigentlich könnte ich jetzt zum nächsten Thema überleiten, denn über das Trainingslager ist eigentlich schon alles gesagt…
… aber ich bin gerade etwas verliebt in meinen plastischen Erzählstil. Daher fang ich damit an, dass wir mit dem ICE hingefahren sind und Simone, Cathleen und ich zunächst im Hauptbahnhof von der freundlichen Mitarbeiterin des Service-Points, zu der Rollstuhlfahrer kommen müssen, nachdem sie sich mindestens 48 Stunden vor der Reise für ebendiese angemeldet haben, gebeten wurden, nicht alleine zum Zug zu fahren, denn auf dem Weg dorthin könnten wir ins Gleis fallen. Wörtlich.
Wegen einer Signalstörung baute der Zug bis Hannover bereits 47 Minuten Verspätung auf, so dass unser Anschlusszug lange zuvor bereits ohne uns davongerollt war. Am Ende kamen wir zwei Stunden später am Zielort an als geplant. Ich freute mich, überhaupt noch anzukommen und war relativ entspannt, da ich vorher meine Hotelreservierung (an diesem Wochenende sollten wir im Hotel übernachten) mit meiner Kreditkarte bestätigt hatte – „wir kommen auf jeden Fall.“
Anders ging es einem Rollifahrer, der gerade erst 16 war, zum ersten Mal alleine unterwegs war und den Tränen nahe im Bahnhof stand. Wir kannten ihn von einem anderen Camp, er kam aus Schleswig-Holstein. Seine
Muddi würde bereits herumtelefonieren von zu Hause aus. Cathleen und Simone nickten: Wir sagten ihm zu, dass wir notfalls das Zustellbett, das wir in unser Zweierzimmer geordert hatten, für ihn freiräumen und zu
dritt im Doppelbett pennen – dann hätte er als Vierter im Zimmer das Zustellbett für sich alleine.
„Wir sind komplett ausgebucht, aber wir haben selbstverständlich auch ihre Kreditkarte nicht belastet“, sagte man auch uns. Wie kann sowas sein? – „Wir haben doch gesagt, wir kommen auf jeden Fall. Dass es 23 Uhr wird und nicht 21 Uhr, das liegt an der Bahn. Sie haben uns doch ein Zimmer bestätigt.“ – „Fragen Sie mal drei Straßen weiter, da ist noch ein Hotel.“
Dass das das erste und letzte Mal war, dass wir in diesem Hotel schlafen würden, war in diesem Moment klar, also lohnte es sich, einen kleinen Aufstand zu proben. „Fragen Sie doch mal für uns drei Straßen weiter, schließlich haben wir einen Vertrag! Haben Sie denn wirklich gar nichts mehr frei?“
„Nur noch eine Suite, die kostet aber 120 Euro mehr pro Nacht.“ – Das riecht nach Abzocke. „Ich schlage vor, sie überlassen uns die Suite zum Zimmerpreis. Ist ja nicht unsere Schuld, wenn Sie Ihr Hotel überbelegen.“ – „Das kann ich leider nicht machen.“ – „Dann nehmen wir die Suite und klären morgen früh mit ihrem Chef den Preis.“ – „Ich sehe gerade, wir haben doch keine Suite mehr frei.“ – „Ach nee, so plötzlich? Woran haben Sie das jetzt gesehen?“ – „Die Schlüssel sind alle weg.“ – „Da hängt doch noch einer.“ – „Das ist die Luxus-Suite. Die darf ich nur mit Einverständnis des Hotelinhabers vergeben.“
„Gut. Was kostet die pro Nacht?“ – „460 Euro pro Nacht plus Frühstück.“ – „Kommen wir da rein mit Rollstühlen?“ – „Theoretisch schon.“ – „Und hat die eine Badewanne?“ – „Die hat einen Whirlpool.“ – „Gut, die nehmen wir. Rufen Sie bitte ihren Chef an.“ – „Das kann ich nicht machen.“ – „Hier ist meine Kreditkarte, wir nehmen das Ding. 460 Euro ist gebont, Frühstück kriegen wir in der Sporthalle. Lassen Sie schonmal das Badewasser ein.“ – „Es tut mir Leid, dass wir überbelegt sind, und ich kann auch Ihre Enttäuschung verstehen, aber ich kann leider nichts machen.“ – „Wir nehmen die Luxussuite. Zu viert.“ – „Wollen Sie die jetzt wirklich haben? Sie müssten die auch zahlen. Der Preis ist nicht verhandelbar.“ – „Ja, wo muss ich unterschreiben? Ich ärger mich doch nicht mit so einem blöden Hotel ab, das seine Zimmer nicht zählen kann.“
„Ich möchte von allen die Personalausweise kopieren und bei ihrer Kreditkarte würden wir 10.000 Euro anfragen. Anfragen, nicht belasten. Belasten würden wir nur 460 Euro, es sei denn, Sie würden morgen die Suite völlig zerstört zurückgeben.“ – Irre. „Ja, machen Sie das.“ – Plötzlich musste er doch niemanden mehr fragen…
Keine halbe Stunde später saßen/lagen wir mit vier Leuten in einem absolut geil beleuchteten runden Whirlpool unter einem künstlichen Sternenhimmel. Bewegen konnte sich keiner, aber wir wollten ja auch nur entspannen. Den Typen aus Schleswig-Holstein brachte es sichtbar durcheinander, mit drei nackten Mädels in einem Whirlpool zu sitzen. Cathleen massierte ihm die Schultern, irgendwann setzte sie sich bei ihm auf den Schoß und verlangte, dass er ihre Schultern massiert.
Die Suite hatte außer dem Bad und einer separaten Dusche zwei Räume. In einem stand ein Sofa, in dem anderen ein überdimensioniertes Bett mit vier Kissen und einer großen Decke. Drei Leute konnten dort nebeneinander liegen, ohne dass es eng werden würde, aber Cathleen bestand darauf, dass unser junger Schleswig-Holsteiner nicht auf dem harten Sofa schlafen müsse. „Wollen wir nackt schlafen?“, fragte sie.
„Hast du gerade Hormonstörungen?“ fragte Simone. – „Ich schlaf nicht nackt“, sagte ich. Fehlte noch, dass nachts meine Blase verrückt spielt und das Hotel am Ende doch noch ein paar Tausender nachbelastet. Schließlich lagen wir zu dritt im Bett und der Typ auf dem Sofa und alle hatten etwas an. Was solche Whirlpool-Suiten so alles auslösen können…
Am nächsten Morgen wollten wir auschecken. Die Rechnung betrug nicht 460 Euro, sondern 520 Euro. Vier mal Frühstück – wir hatten doch gesagt, wir essen in der Halle?! Nach dreimaliger Bitte und 10 Minuten Wartezeit kam der Chef aus dem Frühstücksraum. Ein Krawattentyp Anfang 60. Er sagte nichts, sondern zog nur die Augenbrauen hoch und schaute uns fragend an. Ich sagte: „Es war nicht die Rede davon, dass wir Frühstück abnehmen müssen. Das haben wir auch nicht unterschrieben. Es müsste doch eigentlich reichen, wenn wir auf eigene Kosten upgraden, weil Sie überbelegt sind.“ – „Wieso überbelegt?“ – „Wir hatten ein Zimmer reserviert und bekamen vom Nachtdienst um kurz nach 11 angeboten, es drei Straßen weiter zu versuchen.“
„Sie hätten Ihre Reservierung mit einer Kreditkarte bestätigen können, dann wäre das nicht passiert.“ – „Das hatten wir gemacht.“ – „Das kann nicht sein.“ – Wie schön, dass Stinkesocke immer alle Papiere dabei hat. Ich reichte sie ihm über den Tresen. „Und er hier hatte dasselbe Problem. Das war auch bestätigt.“ (Wie wir inzwischen erfahren hatten.) – „Zeigen Sie mal her. Das ist doch nicht möglich.“ – Er verschwand mit den Papieren. Nach 5 Minuten kam er zurück, hatte unseren Belegungsvertrag von gestern abend in der Hand und gab ihn uns zurück. „Sie sind unsere Gäste. Sie sind eingeladen. Haben Sie noch Zeit für das Frühstück oder dürfen wir Ihnen etwas für unterwegs zusammenstellen?“
Wir lehnten dankend ab, denn wir hatten es wirklich eilig. Als wir an der Halle ankamen, waren da zwar rund 60 Teilnehmer, aber die Trainer, die in der Ausschreibung angekündigt waren, hatten sich zum größten Teil wegen Magen-Darm-Grippe krank gemeldet. Eine ältere Frau, die beim Ausrichter arbeitet, meinte, es sei besser so, als wenn wir alle angesteckt werden würden. Wahnsinn. Zwei unerfahrene Trainerinnen für 60 Teilnehmer.
Immerhin sollte ein Qualifizierungslauf stattfinden, an dem ich unbedingt teilnehmen wollte. 1.500 Meter auf einer Tartanbahn mit versetztem Start, so dass man also seine Bahn halten muss. Entsprechend muss man natürlich auch die so genannte Kurvenvorgabe in seinem Rennrolli einstellen, das ist eine kleine Schraube, mit der man einen Radius vorgeben kann, mit dem der Rolli durch eine Kurve fährt. Wenn man das richtig macht, muss man zu Beginn der Kurve einen Hebel umlegen und zum Ende der Kurve den Hebel wieder zurückstellen. Das muss man aber sehr präzise einstellen und im richtigen Moment auslösen, sonst fährt man aus der Bahn und wird disqualifiziert.
Kann es sein, dass in der zweiten Runde Leute durch die Bahn trödeln? Ein älteres Ehepaar, das auf die andere Seite des Platzes wollte und die Abkürzung mitten durch die Bahnen nahm, zwang mich und eine Hessin zur Vollbremsung. Zehn Meter radierte Linie auf der Bahn sollten als Beweis eigentlich ausreichen – also Protest. Man muss sich sehr schnell entscheiden, ob man weiterfährt oder aufhört. Ich habe mich für das Aufhören entschieden, die Hessin für das Weiterfahren. Hätte sie auch aufgehört, wären die Chancen hoch gewesen, dass das Rennen wiederholt wird oder mit einem neutralen „CLD“ (cancelled) in die Wertung eingeht. So stand bei mir, weil mein Protest keinen Erfolg hatte (die andere war ja weitergefahren), ein „DNF“ (did not finish = nicht angekommen), was gleich hinter „DSQ“ (disqualified) und „DNS“ (did not start) die drittnegativste Bewertung ist und mal eben darüber entscheiden könnte, ob man einem bestimmten Kader angehört oder nicht.
Am Ende wurden aber drei Rennen doch noch aus der Wertung genommen, unter anderem meins. Grund: Die zweite hatte auf dem Papier eine schnellere Zeit als die erste. Warum, das ließ sich nicht mehr nachvollziehen. Eigentlich war geplant, dass wir abends nach Hannover zurückfahren, dort die zweite Nacht schlafen und am Sonntag dort gemeinsames Schwimmtraining machen, aber sämtliche Hamburger sagten ihre Übernachtung per Handy ab, zogen ihre I-am-fed-up-T-Shirts an und fuhren nach Hause. Da wir eine Fahrkarte mit Zugbindung hatten, mussten wir noch nachlösen – aber wir hatten schließlich zwei Übernachtungen gespart und einen netten Abend im Whirlpool. Bleibt noch zu erwähnen, dass die Rückfahrt ohne weitere Zwischenfälle verlief und der Sonntag in Hamburg genial war. Aber davon erzähle ich ein anderes Mal.