Die Woche fängt gut an, sagte der Mann, der am Montag gehängt werden sollte.
Es ist völlig egal, ob ich zur Zeit zur Schule, zur Arbeit oder sonstwo hin muss – ich hasse sie, die Leute, die mir an einem Montagmorgen ungefragt erklären müssen, dass ja eine neue Woche begonnen
hätte. Als Rollstuhlfahrerin hat man ja unfreiwillig eine Art Beamtenstatus. In einem mehr oder weniger schmerzhaften Akt wird man zu dem, was man später ist, bekommt vom Staat darüber eine amtliche Ernennungsurkunde und einen Dienstausweis (ab nächstem Jahr aus Plastik und in Scheckkartenform), auf dessen Rückseite der Dienstgrad eingetragen wird und der einem (mitunter) die freie Mitfahrt in öffentlichen Nahverkehrsmitteln garantiert, einen je nach Dienstgrad manuell oder elektrisch angetriebenen Dienstwagen und das eine oder andere mehr.
Uniformen sind zum Glück abgeschafft, man ist ja auch so gut zu erkennen, allerdings muss man eben auch ertragen, dass sich all jene, die auch Briefträger und Polizisten vorsorglich grüßen oder in ein oberflächlich-bürgernahes Wortgeplänkel verstricken, zu einem hingezogen
fühlen und einen entweder nach dem Weg, nach der Ursache der Behinderung, dem Preis des Rollstuhls oder sogar nach der eigenen Fruchtbarkeit fragen und anschließend mit der eigenen Lebensgeschichte oder der des Nenn-Onkels, der selbst sechs Wochen im Rollstuhl saß, konfrontieren. An einem Montagmorgen ist es besonders schlimm. Und bin ich einmal schlecht gelaunt und reagiere nicht auf solche dummen Ansprachen, schließlich muss es nicht pausenlos kommentiert werden, dass
der Aufzug kommt, das Wetter neblig ist oder ich schöne Haare unter der
Mütze habe, tun die Leute so, als hätten sie mit ihren Steuern meine Freundlichkeit beglichen und wären gerade um eine bereits bezahlte Leistung betrogen worden. „Sie reden auch nicht mit jedem, oder?“ – Ein „Halt die Fresse“ hab ich mir nur leise gedacht und so getan als sei ich
gehörlos.
Irgendwann bin ich auf meinem Weg zur Physiotherapie am Bahnhof Bergedorf angekommen, stehe vor dem deutlich zu klein geratenen Aufzug und warte. Noch acht Kinderwagen vor mir, noch sechs, noch vier – mit Glück passen zwei gleichzeitig in die Kabine. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, bin ich dran, die Tür geht auf, da drängelt sich von
der Seite eine ältere Frau mit breitem Arsch und zwei kaputten Skistöcken vorbei, steigt mir fast über meinen Schoß. „Vorsicht! Ich mach Nordic Walking!“ – Es juckte mir in den Fingern, aber ich stoppte meinen Rollstuhl. Es wäre kein Problem gewesen, sie lang hinschlagen zu lassen, ich hätte nur nichtbremsen müssen. „Und ich mach Nordic Rollstuhling und kann mich auch hinten anstellen“, konnte ich mir nicht verkneifen. Sie grinste doof und meinte: „Schätzelein, ich werde kalt, wenn ich so lange warten muss.“
Ich hatte bereits gedrückt, die Tür schloss sich, da fängt sie an, an
den Knöpfen herumzufummeln. Drückt nochmal die „0“ statt der „-1“, was zur Folge hat, dass die Tür sich nochmal öffnet. Anschließend drückte sie nochmal auf „Tür auf“ und rief: „So, Abfahrt, Tür zu! Die Kiste ist vielleicht lahmarschig. Ich werd kalt!“ – Dann endlich fuhren wir. „Warum sitzt du im Rollstuhl?“, fragte sie und drehte sich zu mir. Das war jetzt eindeutig zu viel. Ich antwortete: „Warum bist du so fett?“ – Ihr fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Unverschämtheit“, blubberte sie. Der Aufzug war angekommen. Wutschnaubend stiefelte sie aus der Kabine.
Meinen Bus hatte ich verpasst. In 10 Minuten kam der nächste. Ich stand dümmlich vor der hinteren Tür. Hatte der Fahrer mich nicht gesehen, als er die Haltestelle angefahren hatte? Ich drückte auf den Knopf mit dem Rollstuhlsymbol. Nichts passierte. Ich blickte nach vorne,
winkte in Richtung seines Außenspiegels und nuschelte ein leises „Huhu“
in meinem Schal. Nichts. Ich rollte zur vorderen Tür, wo der Fahrer die
Fahrausweise der Einsteigenden einzeln kontrollierte und entsprechend beschäftigt war. Ich rief durch die Menschentraube hindurch: „Können Sie
mal bitte hinten aufmachen und absenken?“ – „Ich komm gleich nach hinten!“ – „Es reicht, wenn sie die Tür aufmachen und absenken!“
Ich fuhr wieder nach hinten. Die Tür blieb zu. Okay, dann warten wir eben erstmal, bis der Bus voll ist. Endlich, als vorne alle eingestiegen
waren, ging die Tür auf, der Fahrer kam raus. „Absenken würde reichen, dann komme ich so rein.“ – „Das dürfen Sie nicht.“ – „Bitte?“ – „Das ist
zu gefährlich. Ich klappe die Rampe aus. Ist kein Problem, dann kann ich auch mal aufstehen und mich bewegen. So, machen Sie mal etwas Platz,
die Frau im Rollstuhl will auch noch mit und die muss sich dort drüben hinstellen. Sie da, suchen Sie sich mal einen anderen Stehplatz, ja? Wo wollen Sie aussteigen?“ – „Unfallkrankenhaus.“ – „Ich komme dann zu Ihnen und helfe Ihnen raus.“ – „Jaja.“ So ein Blödsinn. Würde er einfach
den Bus absenken, käme ich so rein und raus. Aber nein … er braucht Bewegung. Und alles glotzt. Es ist sicherlich nett gemeint, aber ich helf ihm doch auch nicht beim Busfahren. Das würde mit Sicherheit auch an seinem Ego kratzen.
Für Ronja, meine Physiotherapeutin, hatte die Woche auch klasse begonnen. Sie hat erfahren, dass sie ab Januar in einem anderen Bereich eingesetzt wird. Bisher hatte sie nur mit Querschnitten zu tun, dann soll sie nur noch Muskelaufbau bei Leuten machen, die an der Hand operiert worden sind. Sie ist totunglücklich und hat in meiner Stunde drei mal angefangen zu weinen. Sie tut mir so leid. Aber ich habe schon eine Idee. Mal sehen, ob das klappt…