Diskriminieren – aber richtig

Es ist schon spannend zu lesen, wie einige meiner Leserinnen und Leser diskutieren und ihre Ansichten vertreten. Und wie sich so eine Diskussion verselbständigt und immer weitere Kreise zieht. Und vor allem: Wer sich so alles persönlich angesprochen fühlt. Die Rede ist von meinem letzten Beitrag.

Ich glaube schon, dass ich mich mit deutscher Sprache sehr gut ausdrücken kann, sofern die deutsche Sprache eine gute (im Sinne von differenzierte) Ausdrucksweise überhaupt zulässt. Ich weiß auch, dass Sprache nicht nur deskriptive, sondern auch wertende Funktionen hat, auch bei der Beschreibung rationaler Elemente.

Zunächst finde ich sehr wichtig zu unterscheiden, wann Sprache deskriptiv und wann wertend eingesetzt werden soll. Ich finde, dass ein Absender sich größte Mühe zu geben hat, damit der Empfänger das Gesagte so versteht wie der Absender es meint. Man darf dabei aber zwei Dinge nicht außer Acht lassen: Einige Empfänger wollen partout beschreibende Aussagen als wertend verstehen und einige Personen sind überhaupt nicht Empfänger einer Nachricht, fühlen sich aber angesprochen und beziehen den Inhalt auf sich selbst.

Ohne jede Frage: Ich bin sehr dafür, Sprache bewusst einzusetzen und bestimmte Wörter gar nicht erst in den Mund zu nehmen. Ich bin auch dafür, die Verwendung bestimmter Wörter durch Aufklärung einzudämmen. Die Wörter „Schwuchtel“, „Hure“, „Neger“, „Schlampe“ und „Slutwalk“ gehören nicht in meinen Sprachgebrauch, „Krüppel“ allenfalls als Beispiel, wie sich Sprache durch die Verwendung von Euphemismen verändert.

Was ich überhaupt nicht leiden kann, sind Menschen, die sich selbst zu einer Art Hoheit aufspielen, die gleichzeitig festlegt, welche Regeln gelten, feststellt, wann diese Regeln überschritten wurden und den mutmaßlichen Regelverletzer anschließend am besten noch anklagen und verurteilen. Entsprechend muss immer die Frage zulässig sein, ob die Mehrheit der (angesprochenen) Betroffenen etwas ablehnt und verurteilt, oder ob irgendjemand Benimmregeln vermitteln will.

Behinderung ist nach gängiger Meinung die Wechselwirkung körperlicher Beeinträchtigung mit Barrieren der Umwelt (sinngemäß, verkürzt). Also bin ich behindert. Und nicht gehandicapt oder sonstwas. Eine gute Freundin hat eine deformierte Hand, eine andere ein Bein ab und eine weitere vorhin eingekackt. Die stank aus allen Knopflöchern und wurde, bis sie geduscht hatte, auf genau diesen Gestank reduziert. Wie es mir ging, als ich das erste oder das letzte Mal eine Magen-Darm-Grippe hatte, weiß ich noch genau und dass ich vorhin fast in die Ecke vomiert habe, als ich ihr in der Dusche mit Einmalhandschuh und -waschlappen den Arsch (nein, für mich kein Ausdruck verrohter Sprache, sondern als neutral im herkömmlichen Sinne) gewaschen habe, weil sie das wegen ihres vergleichsweise hohen Querschnitts nicht konnte, auch. Das habe ich auch thematisiert. Damit konnten wir beide besser umgehen als wenn ich es mit Tränen in den Augen verschwiegen hätte. Trotzdem ist sie für mich
ein Mensch und ich habe sie sehr lieb.

Ich habe nichts gegen Behinderte. Aber wenn sie stinken, müssen sie damit rechnen, auch dann auf ihren Gestank reduziert zu werden, wenn sie das gar nicht zu vertreten haben. Und ich fange jetzt auch keine Diskussion an, ob die Umwelt so etwas ertragen muss. Muss sie nicht. Ein Behinderter, der eingekackt hat, gehört nicht in eine Theatervorstellung. Diese Ausgrenzung muss er aushalten.

Ich habe niemals gesagt, dass ich etwas gegen dicke oder fettleibige Menschen habe. Ich habe auch zu keinem Zeitpunkt eine Ansprache an alle Menschen gerichtet, deren BMI irgendeinen Wert übersteigt. Ich habe eine
übergewichtige Person auf exakt der Ebene angesprochen, auf der sie mich Sekunden zuvor ebenfalls angesprochen hat. Nachdem ich über das Vordrängeln fast noch einen Scherz gemacht habe und die Beleidigung davor bewusst überhört hatte. Und ich halte diesen Umgang mit dieser einen Frau nach wie vor für angemessen. Einen diplomatischen Hinweis auf ihr Fehlverhalten hatte sie kurz zuvor bereits mit einer Beleidigung (duzen, verniedlichen, nicht ernst nehmen) abgetan. Hätte ich zum Ausdruck gebracht (höflich oder unhöflich), dass ich mich von ihr diskriminiert fühle, hätte sie vermutlich dumm gelächelt oder mich als Weichei, das mit seiner Behinderung nicht klarkommt, abgestempelt. Nein, ich denke, das hat gesessen und vielleicht denkt sie so mal darüber nach.

Ich will mich jetzt nicht rausreden, denn meine Absicht war schon, dass sie „fett“ als negative Eigenschaft versteht. Nicht ohne Grund rennt sie mit Walkingstöcken durch die Gegend. Allerdings ist „fett“ in meinen Augen nicht unbedingt negativ. Die derzeit korrekte Übersetzung der medizinischen Bezeichnung „Adipositas“ ist „Fettleibigkeit“. Ebenso wie die Frage „Warum sitzt du im Rollstuhl?“ ohne den Kontext, die vorangegangene Beleidigung und den abschätzigen Blick nicht unbedingt negativ behaftet sein muss – von der Beschränkung der Person auf den Rollstuhl und der Indiskretion mal abgesehen. So ein Rollstuhl hat auch viele Vorteile.

Und, was hinzu kommt: Ich überlege in aller Regel schon sehr genau, was ich sage. Meistens bin ich auch diejenige, die sich aufregt, wenn beim Training irgendein Halbstarker die heute in vielen Schulen übliche sexualisierte Sprache gebraucht. Andererseits fühle ich mich, trotz aller mit dem Internetblog verbundenen „Berühmtheit“ nicht in der Rolle eines perfekten Menschens, der sich immer korrekt verhält. Und manchmal bin ich auch schlicht mit meinem Latein am Ende, zum Beispiel, wenn ein Angestellter meiner Rehaklinik, Afrikaner mit Unfallquerschnitt, unter jede SMS „LG, Black“ schreibt, zu seinem Geburtstag eine Runde Schokoküsse („am liebsten würde ich allen, die heute mit mir feiern, persönlich einen Kuss geben, aber ich bin erkältet und damit belassen wir es mal bei den Negerküssen aus dem Pappkarton“) verteilt und mir erzählt, die meisten Menschen, die ihn wegen seiner Hautfarbe diskriminieren, wollten nur ihn persönlich provozieren oder davon ablenken, dass sie mit seinem Rollstuhl nicht klar kämen. „Zum Glück wissen sie nicht, dass ich hetero bin. Wenn man mich schon diskriminiert, dann bitte richtig.“


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