Erysipel und Erotik

Meine Schleimbeutelentzündung ist inzwischen nicht mehr zu spüren. Bewegen sollte ich mich ja schon die ganze Zeit, seit heute darf ich auch wieder richtig trainieren. Ich weiß, was mir gefehlt hat…

Sobald die größte Mittagshitze vorbei war, sind wir zuerst unsere 42 Kilometer mit dem Rennbike gefahren. Draußen, auf dem Elbdeich. Es wird Zeit, dass wir das Training wieder auf nachts legen. Tagsüber sind einfach zu viele Leute unterwegs. Im Moment trainieren wir tagsüber, weil die Trainerin, die unsere Youngsters betreut, mit einem Erysipel im Krankenhaus liegt und einige ihrer Jungs und Mädels bei uns den Laden aufhalten ihr bestes geben. Die Youngsters fahren natürlich nicht die 42 Kilometer und auch keine zwei Stunden am Stück.

Bekanntlich ist der Elbdeich eine sehr beliebte Rennradstrecke. Ich würde mal sagen: Pro Stunde begegnet man etwa 100 Rennradlern. Das heißt: Tagsüber fahren wir auf einem sehr breiten parallelen Radweg, während die meisten Rennradler jedoch auf der Fahrbahn fahren. Das ist mit den Rennbikes zu gefährlich. Nur hat sich doch heute vor unseren Augen einer der Rennradler derbe abgelegt, weil er seinen Blick nicht mehr von uns lösen konnte. Die meisten „Kollegen“ kennen uns ja bereits, aber es sind doch immer noch einige dazwischen, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Rennbike sehen. Blöd nur, wenn man beim Hinterhergaffen von der Fahrbahn abkommt und den Deich runterrutscht. Glück im Unglück: Es war landseitig und dort war nur Gras und keine Mauer oder ähnliches. Einen Satz neue Klamotten braucht der Herr allerdings trotzdem. Da drei andere Radler anhielten, sind wir weiter gefahren.

Bis uns ein paar Kilometer weiter jemand mit seinem Fahrrad mutwillig in den Weg fuhr und uns zu einer Vollbremsung nötigte. Grund für das Manöver: „Ich hab da mal ne Frage. Gondelt ihr hier nur so rum oder trainiert ihr schon für die Cyclassics?“

Da die jüngeren später angefangen sind als wir, waren wir zeitgleich fertig. Tatjana und die Eltern, die bei den jüngeren Leuten immer dabei sind, warfen den Grill an. Üblicherweise wäre jetzt duschen dran gewesen, jedoch bietet es sich bei dem Wetter ja an, ein Bad im See zu nehmen. Also alle Leute auf den Steg und ab ins Wasser – bis auf einen Jungen, dessen daneben stehende Mutter partout nicht wollte, dass er mit seinen Sportklamotten schwimmen geht. Es war nichts zu machen.

Als die Würstchen auf den Grill gelegt wurden, kletterten wir wieder aus dem Wasser, trockneten uns ab und wollten gerade anfangen zu futtern, als eine andere Frau zu uns kam. Erst jetzt bemerkten wir ein Stückchen weiter zwischen etlichen anderen Badegästen und Sonnenhungrigen eine Gruppe Kinder im Alter um die 10 Jahre, die, wie wir erfuhren, Geburtstag feierten und interessiert zu uns herüber schauten. Die Mutter wollte uns bitten, hundert Meter weiter zu ziehen. Dreimal darf man raten, warum *gähn*: Nicht, weil der Rauch vom Grill in deren Richtung geblasen wurde oder wir zu laut gelacht haben oder so etwas – nein, noch banaler. Ihre Kinder wären irritiert und würden in einer Tour fragen, warum wir krabbeln, im Rollstuhl sitzen oder so behindert sind. Und es wäre doch ein fröhlicher Kindergeburtstag… Die Mutter, die ihrem Sohn verboten hat, in Ermangelung einer Badehose mit Trainingsklamotten schwimmen zu gehen, wäre der anderen Mutter fast an die Gurgel gesprungen. Es hätte wirklich nicht viel gefehlt und die beiden hätten sich da geschlagen. Ich bin erstmal 20 Meter weiter gerollt und irgendwann hat sich Tatjana erbarmt und ist dazwischen gegangen: Alle beide sollten sich doch mal überlegen, wie vorbildlich sie gerade auf ihren Nachwuchs wirkten. Das hat gesessen.

Nach dem Essen hatten die älteren unter uns noch eine Stunde Zeit, sich zu sonnen, dann war noch Schwimmtraining dran. Die jüngeren hatten eigentlich Schluss und fuhren auch sukzessive nach Hause, nur ein 11jähriges Mädel nicht. „Darf ich nicht mit euch mitschwimmen? Ich kann schon kraulen und ich kann auch ganz lange schwimmen, ich bin sogar schon mal eine Stunde am Stück geschwommen ohne an den Rand zu fassen.“

Tatjana: „Nee, das ist Training für die älteren. Ihr trainiert noch nicht im See, da musst du noch ein paar Jahre älter werden. Wenn du 14 bist, dann kannst du hier mitmachen.“ – „Ich bin aber schon richtig gut. Bitte! Nur einmal ausprobieren.“

Ich sagte ihr: „Du brauchst einen Neo, wir schwimmen jetzt wirklich eine Stunde lang und das Wasser ist zu kalt. Du frierst nach einer Viertelstunde.“ – „Das ist so gemein.“

Das Mädel zupfte einzelne Grashalme ab und biss sich auf die Unterlippe, ich glaube, sie war kurz davor, loszuheulen. Ich fuhr Tatjana hinterher und fragte sie: „Kann sie sich nicht den zweiten Neo von Marie ausleihen? Anja ist nicht da und vielleicht kann sie einfach noch ein bißchen rumschwimmen? Sie muss ja nicht unser Training mitmachen.“ – „Klär das mit Marie, mir ist das egal. Nur ihr sollt trainieren und nicht eine Stunde abgelenkt sein, weil ihr auf ein Küken aufpassen müsst.“

Das Küken hat sich natürlich riesig gefreut. Da sie nicht dieselbe Behinderung hat wie Marie und Marie wegen ihrer Behinderung eher klein ist, passte der Neo von Marie auch dem Küken, man könnte sogar sagen: Wie angegossen. Das gab eine Show! „Guckt mal, der steht mir richtig gut, dadrin sehe ich aus wie eine richtige Leistungssportlerin! Ist man damit schneller als ohne? Kann mal jemand ein Foto von mir machen?“ – Und dann posierte sie vor Papas Handykamera mit Victory-Zeichen…

Als wir dann endlich alle im Wasser waren, schwamm unser Küken auf mich zu: „Das fühlt sich richtig erotisch an in dem Ding!“ – Marie ging fast unter vor Lachen. Unser Küken lachte schüchtern mit. Ich fragte sie: „Was meinst du denn damit?“ – „Na das fühlt sich richtig toll an, das kribbelt im Bauch.“ – „Das liegt an deinen Würstchen und der Limo.“ – „Quatsch, ich hab auch Herzklopfen dabei!“

Als wir losschwimmen sollten, schloss sich das Küken an. „Ich schaffe das, eine Stunde lang! Ich hab das schon paar Mal geschafft und mit Neo geht das viel einfacher.“

Also hatte ich doch eine Stunde lang jemanden im Auge. Aber es war okay. Sie hielt zwar nicht unser Tempo, aber da ich sowieso nach meiner Schleimbeutelentzündung etwas kürzer getreten war, war es für mich okay,
wenn ich mit 70% trainiere und mit dem Küken auf einer Höhe blieb. Zudem hatten wir Rückenwind. Sie war in der Tat nicht schlecht und wird morgen einigen Muskelkater haben. Ich hoffe nur, sie kann es akzeptieren, dass das eine Ausnahme war und wir beim nächsten Mal wieder richtig trainieren wollen.

Den Neo wollte sie übrigens nicht wieder hergeben. Keine Ahnung, was sie an dem Ding so toll findet. Auf jeden Fall weiß Papa jetzt, womit er seiner Tochter zum nächsten Geburtstag eine Freude machen kann…


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