Noch einmal Neopopos

Weil mehrere Sportkolleginnen darauf bestanden haben, die Angelegenheit zu klären und nicht einfach so im Raum stehen zu lassen, fand gestern abend ein ausführliches Gespräch zum Thema „Neoprenpopos“ statt. Vor knapp zwei Wochen gab es großes Theater beim Training, weil drei Leute aus meinem Sportverein extra vorbei gekommen waren, um einen Teilnehmer während unserer Trainingszeit an die Seite zu nehmen und ihm vorzuwerfen, für ein sexualisiertes Klima im Verein zu sorgen.

Die drei Unruhestifter glänzten durch Abwesenheit, ebenso derjenige, um den es ging, wobei der gleich gesagt hat, dass er nicht kommen werde. Dafür war jedoch ein Vorstandsmitglied anwesend, ebenso wie die beiden gewählten Leute für eben genau solche Fragen (Frauen bzw. Kinder und Jugendliche) und ein Dutzend Frauen aus den Trainingsgruppen sowie fünf Elternteile, unter anderem beide Eltern von Lisa. Ich hatte anfangs ein sehr mulmiges Gefühl, nur kann es auch nicht sein, dass solche Dinge wochen-, monate- oder gar jahrelang vor sich hin schwelen oder gar jemanden aus der Gruppe drängen.

Unser Häuptling machte einen guten Job, erzählte erstmal völlig neutral, was sich an dem Tag zugetragen hatte, erklärte dann, dass der Verein eine sexualisierte Atmosphäre entschieden ablehne und ausdrücklich alle Mitglieder unterstütze, die sich dafür einsetzen. Er betonte, dass es bei dem Treffen heute um einen gegenseitigen Austausch zu dem Thema gehe, und zwar aus einem bestimmten Anlass, jedoch eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema und nicht die Verbreitung von Mutmaßungen und Gerüchten über diese Person gewünscht sei.

Als allererstes ergriff der Vater von Lisa das Wort: Lisa fühle sich seit Jahren sehr wohl in der Gruppe. Sie habe nicht nur in Bezug auf die Sportart, sondern vor allem, was ihre emotionale, gesellschaftliche Entwicklung angeht, einen fast schon unheimlichen Push bekommen. Sie sei erheblich selbstbewusster, selbstsicherer, kritischer, reflektierter und auch freundlicher geworden. Sie sei reifer geworden, aufgeblüht, ihr Humor habe sich verändert. Sie sei zuverlässiger und strukturierter geworden. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (bei Lisa sei es diese, bei anderen Kindern und Jugendlichen sei es eine andere) sei durch keine Therapie zu ersetzen und mit Geld nicht zu bezahlen.

Aber gerade wenn Gruppen einen großen und positiven Einfluss auf ein Kind oder einen Jugendlichen haben, dürfe man nicht darüber hinweg sehen, sondern müsse vielmehr sehr genau hinsehen, wenn es in einer solchen Gruppe auch Dinge gibt, die die Entwicklung eines Kinder oder einer Jugendlichen negativ beeinflussen können. Ein nicht altersgemäßer Umgang mit Sexualität sei so ein negativer Einfluss. Insofern unterstütze er ausdrücklich die Haltung des Vereins und auch die Durchsetzung dieser Haltung durch die drei bei dem Treffen nicht anwesenden Personen.

Es käme aber noch ein großes Aber. Das Thema sei so sensibel und facettenreich, dass man hier nicht in schwarzweiß und mit „brutaler Härte“ denken und handeln dürfe. Nur weil seine Frau und er zusammen schlafen, herrsche bei ihnen zu Hause noch lange keine sexualisierte Atmosphäre. Für ihn sei es wichtig, dass unbeteiligte Menschen nicht ungefragt an etwas teilnehmen müssen, was sie nicht wollen bzw. woraus sie sich nicht einfach so entziehen können.

Lisa habe zu Hause von dem Neopren-Typen erzählt. Dass er mit den Frauen flirte, dass er ihnen gerne beim An- und Ausziehen des Neos helfe und … dass sie ihn einmal gefragt habe, ob er ihr helfen könne und er sie dann zu Tatjana geschickt hätte. Er und seine Frau seien sich einig, insbesondere weil sie mit Lisa noch einmal intensiv gesprochen hätten, nachdem sie beschlossen hatten, zu diesem Treffen zu fahren, dass der Typ sich zwar besonders benehme, aber in einem noch lange tolerierbaren Rahmen. Alles, was passiere, geschehe freiwillig und mit Zustimmung der anderen Person. Es sei zwar regelmäßig, aber nicht ständig und oft und vor allem nicht bei Kindern und Jugendlichen. Ein „Nein“ werde akzeptiert, ohne dass es ständig oder nachdrücklich wiederholt werden müsse.

Man könne seine Kinder und Jugendlichen nicht vor dem Leben beschützen. Es gebe viele verschiedene Menschen und diese Vielfältigkeit sei gut. Lisa könne und würde Grenzen setzen und er betone noch einmal,
dass das bisher überhaupt nicht nötig gewesen sei. Sie fühle sich durch die Anwesenheit und das Verhalten dieses Neopren-Typens nicht unwohl. Und damit seien für den Vater Wachsamkeit und Entschiedenheit korrekt, man dürfe es aber nicht übertreiben und er erlaube sich die Nachfrage, in welcher Mission diese drei Leute unterwegs gewesen seien, wenn sie nicht vom Vorstand geschickt wurden: Es rieche für ihn danach, als hätte
man einen Vorwand gebraucht, um jemanden einzuschüchtern. „So sieht es für mich aus.“

Sofort hakten auch andere Eltern ein und erzählten dasselbe. Hinzu kommt, dass die jüngsten in seiner Gruppe 16 Jahre alt sind. Cathleen erzählte, sie habe mal geduscht, während er sich in dem daneben liegenden Umkleideraum umgezogen habe. Sie habe nach dem Umsetzen auf den Duschsitz ihren Rollstuhl wegschieben wollen, er sei ihr aus der Hand gerutscht, gegen einen Blechmülleimer gerollt und dieser sei wiederum über die Fliesen polternd umgefallen. Ein tierischer Lärm. Der Neoprentyp habe an die Tür geklopft und gefragt, ob alles in Ordnung sei. Cathleen habe gefragt: „Kannst du mal reinkommen und mir meinen Rolli wiederbringen?“ – Im Ergebnis habe sich der Neoprentyp ein Handtuch umgewickelt und sei so im Schneegestöber nach draußen auf den Parkplatz gerollt, um Tatjana zu holen, die gerade Stühle in den Bus verlud. Cathleen sagte, sie fand das damals übertrieben, zumal oft sogar gemischt geduscht wird. (Natürlich freiwillig, es darf auch jeder einzeln duschen und die Tür schließen.) Inzwischen könne sie es verstehen. Er sagte hinterher: „Ich dachte, du bist gefallen und liegst an der Erde. Ich wollte nicht alleine ein nacktes Mädchen anfassen.“

Zum Ende des Abends bat die Frauenbeauftragte noch darum, dass ein anonymes Meinungsbild erstellt werde. Alle Anwesenden wurden aufgefordert, anonym auf einen Zettel zu schreiben, ob sie sich von dem Neopren-Typen belästigt fühlen. Es schrieb niemand „Ja“ drauf. Keine Ahnung, was dann passiert wäre. Dann hätten sie ja nur jeden einzelnen in ein vertrauliches Gespräch nehmen können. Aber so blieb es dabei: Viel Lärm um nichts.

Und damit ist aus meiner Sicht alles gesagt. Ich bin der Überzeugung, dieses Acht-Augen-Gespräch am See diente nur dazu, ihn rauszumobben oder sich wichtig zu tun. Solche negativen Geschichten verbreiten sich leider schneller als einem lieb ist und sie halten sich auch hartnäckig.
Ich kann dazu nur sagen: Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass er irgendetwas verbotenes getan hätte. Das einzige, was man ihm vorwerfen könnte, ist, dass er auf Neoprenpopos steht. Ich glaube allerdings, das man das dann vielen Männern vorwerfen müsste. Und im Gegensatz zu unserem Typen gibt es mit Sicherheit welche dazwischen, die man nicht einschätzen kann.

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