Lob und Kritik

Da bekomme ich doch tatsächlich Post von einer mitgliedsstarken, bundesweit operierenden und in Landesverbänden vernetzten Organisation, in der sich ganz viele behinderte Menschen zusammengeschlossen haben. Auf offiziellem Briefpapier und von offizieller Mailadresse. Man lobt meinen Blog, er trage (wenngleich ich sagen muss, das war niemals mein vorrangiges Ziel) in erheblichem Maße zur Verständigung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung bei.

In einem Punkt möchte man mich aber kritisieren und „freue sich“ über
eine öffentliche Klarstellung. Ich warne schonmal vor: Achtung, Pulleralarm! Durch meinen Blog würde beim Leser der Eindruck, wenn nicht
sogar das Vorurteil entstehen, viele Rollstuhlfahrer seien inkontinent und würden Windeln tragen. Ich wisse, dass das nicht so sei und möge das
doch bitte richtig stellen.

Okay. Dann stelle ich an dieser Stelle doch mal klar: Ich habe nirgendwo gesagt, wieviele Rollstuhlfahrer inkontinent sind oder Windeln
tragen. Vielleicht sind es deutschlandweit nur zwei, vielleicht auch zwei Millionen. Vielleicht liegt die richtige Zahl auch irgendwo dazwischen.

Inkontinenz ist die Einschränkung der Fähigkeit, bewusste (und ausreichende) Kontrolle über (mindestens) einen Schließmuskel auszuüben.
Ist, wie bei Querschnittgelähmten, die Verbindung vom Gehirn zum Schließmuskel unterbrochen, liegt zwangsläufig eine Inkontinenz vor. Auch bei vielen anderen Behinderungen oder Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems kommt es zu einer Inkontinenz.

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die damit verbundenen Folgen so zu
kompensieren, dass dem Betroffenen erspart bleibt, dass Urin aus der Blase läuft und für Dritte sichtbar hervortritt. Bei Männern stehen Kondomurinale (also ein vorne offenes Klebekondom mit einem Schlauch, das den Urin in einen am Bein befestigten Beutel führt) zur Verfügung. Bei Männern und Frauen stehen (zentral oder örtlich wirksame) Medikamente zur Verfügung, die die Blasenmuskulatur (fast) vollständig lähmen, so dass sie Blase durch einen über die Harnröhre oder durch eine
künstliche Öffnung in der Bauchdecke für die Dauer der Entleerung eingeschobenen Katheter entleert werden muss. (Es ist ebenfalls denkbar,
dass die Blase aufgrund einer sehr hohen oder sehr tiefen Querschnittlähmung von sich aus schon spastisch ist und sich nicht mehr selbständig entleert.)

Weitere Möglichkeiten, wie Dauerkatheter, künstlicher Blasenausgang oder Blasenschrittmacher (letzter wird an die Nervenbahnen der Blase angeschlossen und stimuliert die Blase auf Knopfdruck) sind entweder veraltet und/oder kommen bei meinen Leuten eher nicht vor.

Soweit ich nun in meinem Blog von meinen persönlichen Erfahrungen mit
aufsaugenden Hilfsmitteln geschrieben habe, heißt das nicht, dass diese
Mittel der Wahl sind oder von allen Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern benutzt werden. Wenn man insbesondere durch diese blasenlähmenden Medikamente eine weitestgehende Kontinenz erreichen kann, ist sowas entbehrlich.

Bei mir ist es aber so, und das habe ich vor über drei Jahren schon geschrieben,
dass sich meine Blase nicht so ruhig stellen lässt, dass sie konsequent
und verlässlich dicht bleibt. Wenn, dann nur mit erheblichen Nebenwirkungen, das heißt, die Dosis der Medikamente müsste so hoch sein, dass ich nicht mehr Auto fahren dürfte, weil ich verschwommen sehe, zittrig werde und ähnliches. Ich erreiche auch ohne perfekte Einstellung eine so hochgradige Kontinenz, dass ich zu Hause sowieso und
auch im Alltag inzwischen ohne Windeln auskommen würde, wenn in relativer Nähe eine brauchbare Toilette vorhanden ist. Und in relativer Nähe heißt: Das Gefühl, das mir anzeigt, dass die Blase voll ist, merke ich zwischen 3 und 20 Minuten bevor sich die Blase selbständig zu entleeren beginnt. Und die Zeit reicht nicht, um unterwegs immer und überall ein Klo zu finden, auf das ich als Rollstuhlfahrerin komme. Und bevor es dann eine riesige Schweinerei gibt, trage ich vorsichtshalber eine Windel.

Ob das bei irgendwem nun eine Klebewindel, eine große Vorlage, eine kleine Vorlage oder eine ganz kleine Vorlage sein soll oder sein muss, entscheidet sich in erster Linie dadurch, ob es, wenn die Blase zu voll ist, zu tröpfeln (also überzulaufen) beginnt, oder ob die Blase den Füllzustand oder Erschütterungen als Entleerungsimpuls missversteht. Es gibt auch (wenige) Rollstuhlfahrerinnen aus meinem Umfeld, die völlig ohne solche Hygieneartikel auskommen.

Wie jemand damit umgeht, überlasse ich Jemand selbst. Klar. Und ich spreche hier auch nicht für alle Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer. Ich schreibe ein Online-Tagebuch, meistens über mich und mein Umfeld. Ich muss schon sagen: Mich wundert, dass das einigen Leuten offensichtlich nicht klar war.

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